Warum ein Hase und nicht Jesus Ostereier legt
Sie sind eine leckere Tradition, um die beiden höchsten christlichen Feiertage etwas zu versüßen: Osterhase und Weihnachtsmann aus Schokolade – auch wenn für den traditionsbewussten Katholiken der Dezember eine "weihnachtsmannfreie Zone" ist. Am 6. Dezember hat sich längst der Schoko-Nikolaus durchgesetzt. Doch warum gibt es eigentlich einen Schoko-Osterhasen? Das schmackhafte Nagetier hat mit Ostern genauso viel gemein wie mit dem Eierlegen: "Der Osterhase hat nichts mit Ostern zu tun, – er ist eine evangelische Erfindung", weiß Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti. Ostereier und ihre schokoladigen Vertreter hingegen kämen wirklich aus der christlichen Tradition: mehr als 1.000 Jahre reiche die Geschichte der Ostereier zurück.
Schon vor dem morgenländischen Schisma (1054), und damit lange vor der Trennung in Katholiken und Protestanten, verteilte die Geistlichkeit am Ende der Osterliturgie gekochte rote Eier an die Gläubigen. Die Eier symbolisierten das Grab Jesu. Sie sind "kalt und hart", aber rot wie das Leben, erklärt Becker-Huberti. Ursprung des Brauches ist wohl ein "großer Eieranfall" der Christen am Ende der Fastenzeit: Strenge Fastenregeln verboten den Gläubigen das Essen von Eiern. Gekocht waren sie jedoch bis Ostern haltbar und konnten nach der Feier der Auferstehung gegessen werden. Im Laufe der Zeit wurden die Eier dann immer bunter und aufwendiger verziert. Am Ostertag brachten die Gläubigen die kleinen Kunstwerke in die Kirche, dort wurden die Osterkörbe mit den Eiern gesegnet und verteilt.
Dieser Brauch habe die Jahrhunderte und auch die Reformation überdauert: "Die Protestanten fanden das mit den bunten Eiern auch schön", ergänzt Becker-Huberti. Da der Protestantismus den Brauch der kirchlichen Speisesegnung aber nicht kenne, mussten die Eier anders verteilt werden: "Also wurden sie versteckt." Nun stellte sich die Frage, wie die "evangelischen Eier" in ihre Verstecke kamen. Im 17. Jahrhundert setzte sich vor allem in den Städten der Hase als Eierbringer durch. Dass dies auf dem Land unplausibel war, liegt für den Brauchtumsforscher auf der Hand: "Die Geschichte konnte man nur Stadtkindern erzählen. Landkinder wussten: Die Eier, die der Hase im Feld legt, sind winzig klein und man kann sie nun wirklich nicht essen." Nachdem im 19. Jahrhundert viele Bräuche die konfessionellen Grenzen überwanden, fingen auch Katholiken an, ihren Kindern vom Osterhasen zu erzählen: "So existiert heute der Osterhase neben dem Osterlamm", erklärt Becker-Huberti die tierische Ökumene.
Das Osterlamm dient ebenfalls zur Versüßung des Osterfestes. Es hat sowohl in der Liturgie als auch auf der heimischen Kaffeetafel seinen Platz. Ob als theologische Denkfigur, Kuchen oder Schokoladen-Gebilde – seinen Ursprung hat es in den biblischen Geschichten. Im Alten Testament ist es Opfertier, im Neuen Testament wird diese martialische Symbolik auf Jesus übertragen. Vor allem in den johanneischen Schriften spielt das Lamm eine wichtige Rolle. In jeder Eucharistiefeier wird das Agnus Dei (Lamm Gottes) gebetet. Die griechische Chrysostomusliturgie kennt dazu einen besonders eindrücklichen Ritus: Dort ruft ein Diakon dem Priester "Schlachte Herr!" zu, bevor in der Liturgie das Agnus Dei (Joh 1,29 und Joh 1,36) gesprochen wird. Die Parallelisierung des Lammes mit Jesus schlägt sich auch in populären Osterbräuchen nieder: "Es ist eine alte Tradition, Jesus in Form des Osterlammes zu backen", erklärt Becker-Huberti.
Als ein Schoko-Jesus in die deutschen Supermärkte kommen sollte
Nicht jedem ist die besondere Bedeutung des Lammes für Christen klar. Es geht auch eindeutiger: Vor einigen Jahren sollte ein Schoko-Jesus die deutschen Supermarktregale erobern. Arne Homburg, der vor mehr als zehn Jahren die Gussform für den "Sweetlord" genannten Schoko-Jesus entwarf, erinnert sich: "Zu Weihnachten gibt es nur die Werbefigur 'Weihnachtsmann', aber eigentlich keinen wirklich christlichen Saisonartikel. Das wollten wir ändern." Zwar habe es aus dem kirchlichen Bereich auch kritische Stimmen gegeben, jedoch freute sich eine "Vielzahl wohlwollender Kirchenvertreter" über die Idee. Leider habe sich am Ende der Einzelhandel gescheut, dem Schoko-Jesus einen Platz in den Regalen zu bieten. Solange er seine Dinge gut verkaufe, wolle man dort wohl kein Risiko eingehen, resümiert Homburg. "Letztlich verdient der Handel an den anderen Sachen sehr gut."
Laut Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) wurden 2019 in Deutschland rund 220 Millionen Schoko-Hasen produziert. Verkauft wurden davon in Deutschland rund 114 Millionen, der Rest wurde exportiert. Zählt man alle Schoko-Nikoläuse und Weihnachtsmänner zusammen, die 2020 in Deutschland produziert wurden, kommt man laut BDSI auf rund 151 Millionen. 100 Millionen blieben davon in Deutschland, 51 Millionen gingen in den Export. Dass man beim BDSI nicht zwischen Weihnachtsmännern und Nikoläusen differenziert, passt zu einer Beobachtung Becker-Hubertis: "Viele Leute legen auf die Unterscheidung keinen Wert."
"Man würde es als infam begreifen, wenn man plötzlich einen Jesus zum Ablutschen hätte."
Alles in allem sei man in Deutschland wenig traditionsbewusst, das zeige sich gerade an der Indifferenz in Hinblick auf Schoko-Nikoläuse und Weihnachtsmänner. Während die Auswahl an Nikoläusen in Österreich und den Beneluxstaaten immens ist, sucht man den Nikolaus in Deutschland oft vergeblich. Seit einigen Jahren ist das anders: Der Schoko-Nikolaus des Bonifatiuswerks werde zunehmend nachgefragt, freut sich Becker-Huberti. Beim Osterlamm sei das jedoch anders, konstatiert der Experte, der die Herstellung von Nikolaus und Lamm mitinitiierte. Beim Bennoverlag gibt man sich reservierter und lässt wissen, dass die Anzahl der produzierten Hohlfiguren von Schoko-Nikolaus und Osterlamm jeweils im sechsstelligen Bereich liege. Auch wenn sich der Bennoverlag betont, zufrieden mit der Nachfrage zu sein, ist für Becker-Huberti klar: "Es ist heute überhaupt ein Problem, Leute für Brauchtum und Symbole zu begeistern."
Die Idee eines Schoko-Jesus findet Becker-Huberti trotz allem eine schlechte Alternative: "Eine solche Darstellung hat keine Geschichte. Man würde es als infam begreifen, wenn man plötzlich einen Jesus zum Ablutschen hätte." Aus diesem Grund gäbe es auch kein Herz Jesu in Schokolade, das man verzehren könnte.
Was den deutschen Brauchtumsforscher gruselt, ist in den USA längst keine Seltenheit mehr: Jesus-Bonbons, Kreuz-Lutscher und Bibel-Kekse warten dort auf religiöse Leckermäuler. Dass diese Süßigkeiten auch den Weg nach Deutschland finden, kann Becker-Huberti nicht ausschließen. "Wenn es drüben funktioniert, versucht man es auch nach Europa zu importieren." Der Kapitalismus mache schließlich vor nichts Halt. Als man den "Sweetlord" präsentierte, erinnert sich Arne Homburg, sei der Kapitalismus-Vorwurf nicht aufgekommen. "Wir wollten aus der Religion kein Kapital schlagen", betont er. Bei den Leuten sei die Idee gut angekommen; auf eine erste "Mini-Serie" habe es durchweg positive Reaktionen gegeben. Die Gussformen stünden auch noch im Archiv, jedoch sei die Produktion für ein kleines Unternehmen zu aufwendig, erklärt Homburg. Trotz hörbarer Begeisterung für den "Sweetlord" zeigt er sich wenig zuversichtlich, dass in absehbarer Zeit jemand auf die Idee komme, daran etwas zu ändern.