Gudrun Sailer berichtet seit 18 Jahren aus dem Vatikan

Vatikanjournalistin: Papst Franziskus hält uns sportlich

Veröffentlicht am 30.03.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Wie ist es, jeden Tag über den Papst und den Vatikan zu berichten? Gudrun Sailer tut das schon seit vielen Jahren und wohnt in Blickweite ihres Chefs. Im katholisch.de-Interview spricht sie über die Faszination ihres Arbeitsplatzes, aber auch über das, was sie rasend macht.

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Seit 18 Jahren lebt die Österreicherin Gudrun Sailer in Rom und berichtet dort für Radio Vatikan/Vatican News aus dem Zentrum der katholischen Welt. Franziskus ist nun schon der dritte Papst, den sie miterlebt und in dessen unmittelbarer Nähe sie auch privat wohnt. Ein Gespräch über einen besonderen Blick aus der Wohnung, einem Café in luftiger Höhe und einem fordernden Papst.

Frage: Frau Sailer, wie ist es, direkt gegenüber dem Vatikan zu wohnen?

Sailer: Wenn ich über meinen Schreibtisch aus dem Fenster schaue, sehe ich schräg vis-à-vis hinter ein paar Pinien die Rückseite der Casa Santa Marta, wo Papst Franziskus wohnt. Man ist also in direkter räumlicher Nähe zum Arbeitgeber. Meine Familie sieht an dieser Vatikan-Wohnung eher die praktischen Aspekte: Wir sind mitten in der Stadt und haben fünf Buslinien vor dem Haus, die direkt ins Stadtzentrum fahren – auch wenn meine elfjährige Tochter das noch nicht so wertschätzen kann. Für mich bedeutet das schon noch mehr: Direkt am Vatikan zu wohnen und diesen Arbeitgeber zu haben, ist auch nach 18 Jahren noch etwas Besonderes.

Frage: Haben Sie einen Lieblingsplatz im Vatikan?

Sailer: Ich gehe nach wie vor sehr gerne in die Vatikanischen Gärten. Die liegen zwar direkt gegenüber meinem Haus, aber nur ganz wenige Vatikan-Angestellte gehen dorthin, sodass ich da auch nicht mehr so oft bin – weil das auffallen würde. Der Vatikan besteht etwa zur Hälfte aus diesen Gärten, den schönsten und gepflegtesten Roms. Da sind Gärtner am Werk, die in ihre Arbeit viel Herzblut legen, das ist ein schöner Flecken Erde. Nicht zuletzt wohnt dort der emeritierte Papst Benedikt XVI. auf halber Höhe in einem kleinen ehemaligen Klösterchen.

Frage: Welche Besonderheiten gibt es noch?

Sailer: Wenn man zum Beispiel auf die Kuppel des Petersdoms steigt, befindet sich auf halber Höhe auf dem Dach des Petersdoms eine Café-Bar. Da oben kann man außerhalb von Corona-Zeiten einfach so einen Cappuccino nippen und dabei eine Postkarte aus dem kleinen Souvenirladen nebendran schreiben, die landet dann im Briefkasten direkt daneben. Das finde ich schon ganz adrett.

Außerdem gibt es eine Art kleines Geschäftsviertel im Vatikan, wo unsereiner regelmäßig hinkommt, mit einem Supermarkt, einem Gesundheitszentrum mit Ärzten, einem Kaufhaus und vielen anderen Einrichtungen. Dazu gehört kurioserweise auch ein Standesamt, ein kleines Kino (das nur auf Einladung zugänglich ist) und noch vieles mehr.

Papst Franziskus schaut auf Petersplatz
Bild: ©KNA/Vatican Media/Romano Siciliani

Gudrun Sailer wohnt in Blickweite ihres Chefs – Papst Franziskus.

Frage: Wie sieht denn Ihr Alltag als Vatikanjournalistin aus?

Sailer: Viele Informationen, die den Papst oder den Vatikan betreffen, bekommen wir im Vorhinein und verarbeiten sie dann zu Meldungen. Wir haben viele Geschichten also als Erste. Das lässt sich allerdings von so manchem Papst-Interview nicht sagen, denn Franziskus gibt ja am laufenden Band Interviews. Von denen erfahren wir dann aus der Zeitung, dem Internet oder aus Agenturen. Da fragen wir dann nach, ob wir das bringen dürfen – manchmal möchte das der Papst auch nicht.

In den letzten Jahren sind wir schleichend zu einem Online-Medium geworden. Wir heißen nach einem Intermezzo, in dem wir nur noch unter der neuen Marke "Vatican News" firmiert haben jetzt auch offiziell wieder Radio Vatikan, der neue Name wird für unser Online-Angebot benutzt. Wir machen nach wie vor Radioprogramme, die auch von Partnersendern übernommen werden. Der Schwerpunkt unserer Arbeit ist allerdings mittlerweile die Webseite.

Frage: Gibt es denn Themen, die Ihnen Probleme bereiten – vielleicht gerade auch als Frau in der Kirche?

Sailer: Das schwierigste Thema ist der Missbrauch durch Kleriker. Das macht mir als Journalistin und als Mutter Schwierigkeiten. Der Zugang der Institution Kirche zum persönlichen schweren Versagen einiger ihrer Mitglieder war viel zu lange der, alles zu verschweigen, um Schaden von der Kirche abzuwenden. Dieses Verschweigen hat so lange funktioniert, weil sich auch die Opfer geschämt haben, nicht nur die Täter. Das hat in anderen Institutionen ähnlich funktioniert, auch in Schulen, Sportvereinen und Parteien. Die Scheu in der Kirche, über sexuelles Fehlverhalten von zölibatär lebenden Priestern zu sprechen, ist allerdings riesig. Außerdem ist der Effekt des Verschweigens hier viel schlimmer als bei anderen Organisationen, weil die moralische Fallhöhe größer ist. Der Auftrag der Kirche ist es, Menschen zu Gott zu begleiten – nicht, sie zu vernichten. Missbrauch ist eine Form des Mordes, das haben wir in den vergangenen Jahren gelernt. Bis heute sind aber diese Reflexe des verschämten Schweigens und der Diskretion an falscher Stelle auch in der kirchlichen Kommunikation nicht verschwunden. Das macht mich rasend.

Eine Luftaufnahme von dem Haus Casina di Pio in den Vatikanischen Gärten
Bild: ©KNA

Gudrun Sailers Lieblingsort sind die Vatikanischen Gärten

Frage: Ein weiteres großes Thema ist die Kurienreform, an der Papst Franziskus schon seit langem arbeitet. Wie oft merken Sie da den Amtsschimmel?

Sailer: Wir warten momentan auf das neue Grundgesetz der Kurie, eigentlich sollte das schon vor eineinhalb Jahren veröffentlicht werden. Kurienreformen sind immer heikel und langwierig, weil Apparate grundsätzlich so geeicht sind, dass sie von allein laufen – das gilt auch für den Vatikan. Das konnte man unter Johannes Paul II. sehr gut sehen. Als es ihm in den letzten Jahren seines Pontifikats sehr schlecht ging, ist der Apparat trotzdem perfekt weitergelaufen, praktisch ohne den Papst. So ein Apparat sieht selbst die Notwendigkeit zu Reformen nicht so sehr – jedenfalls so weitreichender Veränderungen, wie sie Franziskus im Sinn hat. Wenn Sie Vatikanmitarbeiter fragen, ob eine Reform notwendig ist, werden Ihnen alle sagen: Natürlich. Trotzdem müssen noch ein paar Dinge geklärt werden. Da ist es vernünftig, sich die nötige Zeit dafür zu nehmen, damit die Reform vernünftig wird.

Frage: Wie sieht denn der Vatikan auf Deutschland und die Kirche hier?

Sailer: Von einer großen gegenseitigen Liebe kann man da im Moment nicht sprechen. Allerdings: Der Synodale Weg wird im Vatikan nicht grundsätzlich abgelehnt. In seiner Form wird dieser Prozess allerdings mit der Sorge vor einer Spaltung oder einer Polarisierung betrachtet – was der Synodale Weg nicht will. Papst Franziskus hat 2019 den berühmten Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland geschrieben – den empfehle ich sehr zur Lektüre. Grundsätzlich wünscht sich der Papst, dass Reformprozesse nicht Macht- oder Strukturfragen im Blick haben, sondern die Sendung der Kirche, ihre Mission, die Frohe Botschaft. Natürlich gehören beide Seiten zusammen, aber es muss in jedem Moment klar sein, was wesentlich ist.

Frage: Was waren die spannendsten Momente ihrer bisherigen 18 Jahre im Vatikan?

Sailer: Die spannendsten Momente sind die Papstwahlen. Ich durfte bisher zwei davon miterleben: 2005, als Benedikt XVI. gewählt wurde, gab es vorher ganz klassisch den Papsttod zu berichten. Da konnte man sich wirklich lange drauf vorbereiten. Im Moment der Trauer wurde dann schon dieses Anliegen einer Heiligsprechung laut: "Santo subito!" In meiner Heimat Österreich spricht man von einer "schönen Leich'", also einer schönen, würdigen Beerdigung – das hat für mich in diesem Zusammenhang fast eine neue Bedeutung gewonnen. Dieses Konklave dann aus der Nähe, aber doch mit Entfernung mitzuerleben, war bemerkenswert. 2013 gab es keine "schöne Leich'", sondern einen Helikopterflug des emeritierten Papstes Benedikt XVI. vom Vatikan nach Castel Gandolfo. Dann dieses Konklave, das den Papst vom anderen Ende der Welt gewählt hat – das waren alles enorm spannende Dinge. Ich bin schon gespannt auf das nächste Konklave – hoffentlich dauert das noch ein bisschen. Danach sieht es aus, unser 84-jähriger Papst hält sich wacker. Man sieht ihm sein Alter nur deswegen an, weil er hinkt und manchmal ein wenig Ischias hat. Ansonsten ist das ein außerordentlich energischer Papst, den medial und kommunikativ zu begleiten uns einiges abverlangt und uns immer noch sportlich hält.

Von Gabriele Höfling