Standpunkt

Andere Ansichten führen oft weiter: Raus aus der Blase!

Veröffentlicht am 26.03.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Im vertrauten Milieu ist es am schönsten. Doch Thomas Winkel plädiert dafür, über den eigenen Kirchturm hinauszuschauen. Selbst bei Reformern und Bewahrern könne es Schnittmengen geben. Herauszufinden sei das nur durch ein wertschätzendes Ringen.

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"Eigener Herd ist Goldes wert." Das altbackene Sprichwort beschreibt die Geborgenheit und Selbstständigkeit, die mit der Kochstelle verbunden sind. Endlich nicht mehr essen müssen, was vorgesetzt wird – endlich sein eigener Koch oder die eigene Köchin sein! Doch derzeit wird das Sprichwort auch im übertragenen Sinn munter aufgewärmt – und das ist fatal, weil mit dieser Einstellung im gesellschaftlichen oder auch kirchlichen Miteinander etwas dauerhaft anbrennen könnte.

Im vertrauten Milieu, in der eigenen Social Media-Blase kuscheln sich manche so richtig behaglich ein. Hier ist es am schönsten, man kennt sich, man versteht sich – eine scheinbar schöne heile Welt mit Konsens, so weit das Auge reicht. Doch hinterm Horizont geht’s bekanntlich weiter… Wie wäre es, öfter mal über den eigenen Tellerrand und den eigenen Kirchturm hinauszuschauen? Und sich auch andere Themen, andere Meinungen anzuhören in dem Sinn, dass ich sie buchstäblich "an mich heranlasse"?

Beispiele für Personen und Gruppen mit festgefahrenen Positionen gibt es jede Menge: Fleisch-Esser und Vegetarier, Einheimische und Zugewanderte, Naturschützer und Skifahrer, Reformer und Bewahrer (nicht nur auf dem Synodalen Weg). Sind die Grenzen eigentlich immer so abgesteckt? Wo gibt es Schnittmengen? Um das auszuloten, hilft es meist, wenn alle Seiten möglichst ehrlich und vorurteilsfrei miteinander reden und einander zuhören. Das klingt wie eine Binsenweisheit.

Doch da soll jemand nicht mehr in einem Gremium oder dort nicht mehr in einer Talkshow mitmischen dürfen, weil er oder sie mal eine "komische" Meinung von sich gegeben hat. Mit Blick auf die Kirche kritisierte der Freiburger Theologe Helmut Hoping diese Woche, dass ein sachlicher Austausch von Argumenten kaum noch möglich sei. Und Richtung Politik bemängelt Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zu Recht, man wolle nicht mehr mit Leuten diskutieren, die andere Ansichten hätten: "Das ist ziemlich demokratiefremd und, wenn ich das sagen darf, demokratiefeindlich."

Dabei müsste doch vor allem in der Mitte der Gesellschaft Raum für unterschiedliche Positionen sein, für Toleranz und ja, eine Diversität der Meinungen. Voraussetzung ist natürlich, dass niemand Andersdenkende diskriminiert oder Tatsachen abstreitet. Solch ein wertschätzendes Ringen schließt eine klare Haltung keineswegs aus. Aber es bereichert das Miteinander ebenso wie die eigene Sicht der Dinge – und verhindert ein Schmoren im eigenen Saft am eigenen Herd.

Von Thomas Winkel

Der Autor

Thomas Winkel ist Chef vom Dienst der Katholischen Nachrichten-Agentur in Bonn.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider.