Theologe Kuschel: Glaube an die Auferstehung der Toten schwindet
Wer glaubt heute noch an die Auferstehung nach dem Tod? Dieser spezifisch christliche Glaube sei "doch sehr im Schwinden", beklagt der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel. Im Interview in Frankfurt äußert sich der 73-jährige Tübinger Theologieprofessor auch zum Osterfest in Pandemie-Zeiten. Er fordert angesichts der Corona-Toten ein "prophetisches Wort der Kirchen".
Frage: Herr Professor Kuschel, muss man als Christ das Sterben ernstnehmen?
Kuschel: Man muss das Sterben als Voraussetzung des Todes ernstnehmen, gerade auch in der Seelsorge. Aber theologisch hat der Tod für einen glaubenden Menschen keine absolute Macht mehr. Zugleich ist zuzugeben: Der spezifisch christliche Glaube daran, dass im Tod eine Begegnung mit Gott stattfindet, sozusagen ein Gericht, welches Gott über den Menschen und mit ihm veranstaltet, ist doch sehr im Schwinden.
Frage: Was wird stattdessen oft geglaubt?
Kuschel: Gängig ist der Trend, den Tod als etwas Natürliches anzusehen, als etwas, das zum Leben gehört – nach dem Motto "Das Leben kommt, das Leben geht". Demnach stirbt man so wie eine Kerze verlöscht oder ein Wassertropfen im Meer aufgeht.
Frage: Verändert die Corona-Pandemie den Blick auf Sterben und Tod?
Kuschel: Gerade erleben wir zwar, dass das Leben brutal abbrechen kann, etwa beim Sterben eines Menschen an einer so tückischen Krankheit wie Covid-19. Oft ist dann zwar die Trauer über die Plötzlichkeit des Sterbens groß. Aber man setzt dem selten die Glaubenskraft und Glaubensmacht entgegen, dass da noch was kommt, dass einen nach dem Sterben noch etwas erwartet.
Frage: Hat Gott als höchster Richter über unser Leben "ausgedient"?
Kuschel: Die Erwartung einer letzten Gerechtigkeit wird heute oft nicht mehr geglaubt, weder für einen persönlich noch für die Universalgeschichte der Menschheit. Doch wenn im Tod alles endet, ist es irrelevant, wie gut oder schlecht jemand im Leben gehandelt hat. Der Tod wird dann zum Gleichmacher, zum Schnitter und letztlich zum Komplizen der Mächtigen und Unterdrücker.
Frage: Was setzt das Christentum dem entgegen?
Kuschel: Dem setzt das Christentum mit der Hoffnung auf die Auferstehung einen Protest entgegen. "Tod, wo ist dein Stachel?", fragt der Apostel Paulus im Ersten Korintherbrief. Paulus hat dabei die Erwartung, dass das große Gericht Christi noch kommt und Gott uns erwartet. Das ist übrigens auch ein starkes Motiv im Koran: Die Erwartung, dass das Endgericht, der Jüngste Tag, an dem Gott Gericht sprechen wird, noch aussteht.
Frage: Zu Ostern gehörte lange auch das Osterlachen, also der Brauch, in der Predigt an Ostern die Gottesdienstteilnehmer zum Lachen zu bringen ...
Kuschel: Das Osterlachen ist in der Liturgie relativ bald nach der Reformation wieder verboten worden, weil es offenbar Exzesse gegeben hat, vor allem Obszönitäten in Grimassen und Pantomimen, um die Menschen zum Lachen zu bringen. Diese Tradition, die es in katholischer und evangelischer Kirche gab, ist heute weitgehend verschwunden und wird nur von einzelnen Pfarrern neu belebt. Stattdessen wurde generell eine fatale Identität von Sakralität und Ernsthaftigkeit in der Kirche postuliert – nach dem Motto: Zum Heiligen passt das Komische nicht.
Frage: Über den Tod wird in der Gesellschaft zwar wenig geredet, er wird aber oft gezeigt im Fernsehen. Was macht das mit einer Gesellschaft?
Kuschel: Wenn Sie die überbordende Vielzahl von Kriminalfilmen jede Woche in den öffentlich-rechtlichen und privaten Kanälen sehen: Da wird der Tod jeden Tag als Unterhaltungsware präsentiert. Es wird gemordet, gestorben und der Tod inszeniert – das stumpft ab. Wir haben massenhaft durch Massenmedien-Konsum eine Unempfindlichkeit entwickelt gegenüber dem Sterben und dem Tod. Wir genehmigen uns das als Feierabendware, man freut sich schon auf den Sonntagabend-Tatort. Was Sterben, Verlust, Tod wirklich bedeutet, sieht man da nicht.
Frage: Leben wir in einer Gesellschaft ohne Mitgefühl?
Kuschel: Solange unsere Kulturprodukte massenweise darin bestehen, den Tod als Unterhaltungsware zu servieren, traue ich dieser Gesellschaft überhaupt keine Empathie zu. Wenn es wie jetzt öffentlich ans Massensterben geht, vermute ich, dass der Widerstand dagegen, dass der Tod banalisiert wird, schwindet.
Frage: Können viele Menschen deswegen mit den hohen Zahlen der Corona-Toten kaum etwas anfangen?
Kuschel: Ja, dies könnte auch der Grund sein, warum die Gesellschaft doch eher schulterzuckend über die Corona-Toten in Deutschland hinweg geht. Nur wenn man die Sterbevorgänge filmisch dokumentieren würde – was es also heißt, auf der Intensivstation heute an Covid-19 trotz Lungenmaschinen buchstäblich zu ersticken –, dann vielleicht entsteht eine Betroffenheit in der Gesellschaft.
Frage: Sollten Pfarrer und Bischöfe an Ostern in Corona-Zeiten eigentlich anders über das Sterben, den Tod und die Auferstehung predigen als an einem "normalen" Osterfest?
Kuschel: Die Botschaft bleibt dieselbe: Für einen glaubenden Menschen ist die Macht des Todes gebrochen. Das aber gerade jetzt zu verkünden, dürfte schwer genug sein. Umgekehrt aber ist nach Zehntausenden Toten durch eine Pandemie ein prophetisches Wort der Kirchen fällig. Ich erwarte es dringend. Es gilt, unserer Gesellschaft kritisch den Spiegel vorzuhalten über eingeschliffene Gewohnheiten im Lebensstil und Abstumpfungen im Lebensgefühl. Ein "Weiter wie eh und je"? Eigentlich undenkbar. Die Devise muss sein: Besinnt Euch neu auf die Werte, die uns zusammenhalten lassen und die auch eine Seuche nicht zerstören kann. Werte ohne Haltbarkeitsdatum.