Noch immer ein wacher Beobachter von Kirche und Welt

Papsterklärer, Bettelmönch, Buchautor: Eberhard von Gemmingen wird 85

Veröffentlicht am 04.04.2021 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ Er war der Mann, der den Deutschen den Papst erklärte. Der einstige Vatikanjournalist Eberhard von Gemmingen wird 85. Ein wacher Beobachter des Geschehens in Kirche und Welt ist er immer noch.

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Er hat gerade seine zweite Corona-Impfung erhalten und erzählt am Telefon, wie wohl er sich da gefühlt habe: "Viele Senioren mit Rollatoren, lauter freundliche Menschen." Pater Eberhard von Gemmingen vollendet am 4. April sein 85. Lebensjahr. Und anders als andere ist seine Kommunität in München bisher gut durch die Pandemie gekommen. Das liegt womöglich auch am strengen Regiment der Hausleitung. Von jedem Reiserückkehrer fordert sie einen negativen Test.

Der Jesuit hat monatelang auf Besuche bei der Schwester oder Freunden verzichtet, aus Sorge vor der Ansteckungsgefahr. "Wenn ich positiv wäre, müssten 30 Leute in Quarantäne." Und so dreht er einsam seine Runden, klappert die Kirchen in der Umgebung des Berchmanskollegs ab, denn: "Nur im Kreis rumlaufen ist ja auch blöd."

27 Jahre lang, von 1982 bis 2009, leitete der Ordensmann die deutschsprachige Abteilung von Radio Vatikan in Rom. Durch Fernsehauftritte wurde er einem breiten Publikum bekannt. Worauf viele Journalisten ein Berufsleben lang vergeblich hoffen, erhielt er gleich zweimal: ein Interview mit dem Papst, seinem deutschen Landsmann Benedikt XVI.

Ein Rücktritt auch bei Franziskus?

Dessen Rücktritt sah Gemmingen gleichsam prophetisch voraus, als er Jahre vor 2013 eine solche Möglichkeit ins Gespräch brachte: "Weil das Amt so anspruchsvoll ist und weil die Medizin es inzwischen möglich macht, dass man so alt werden kann." Inzwischen kann er sich das auch für Benedikts Nachfolger vorstellen. Franziskus habe nicht zuletzt mit seiner Irak-Reise Hervorragendes bewirkt als Brückenbauer zwischen Christen und Muslimen. Aber an dessen Fähigkeit als Verwalter hat der Pater so seine Zweifel. "Man weiß nicht, wer das Zepter in der Hand hat, wenn Franziskus im Bett liegt."

Zwei Oberhäupter im Ruhestand, würde das die katholische Kirche aushalten? Gemmingen beruhigt: "Das geht auch." Als Vatikankenner gab er stets bereitwillig Auskunft, wenn Medienleute wieder einmal wissen wollten, warum die katholische Kirche Kondome immer noch ablehnt: häufig plakativ, bisweilen flapsig, Hauptsache verständlich. Diese Fähigkeit hat sich der Jesuit erhalten. Zum Reformvorhaben Synodaler Weg sagt er knapp: "Die Bischöfe brauchen Kontrolleure – am besten Frauen."

2007 setzte ein Herzinfarkt den Umtriebigen länger außer Gefecht. Nach gründlicher Erholung betraute ihn die Gesellschaft Jesu noch einmal mit einer neuen Aufgabe. Für die Einrichtungen ihrer deutschen Provinz sollte Gemmingen bei Gönnern Geld lockermachen. Der Journalist mutierte erfolgreich zum Bettelmönch. Auch heute noch wirbt er in Briefen in seinem breitgestreuten Bekanntenkreis gelegentlich um Spenden für Projekte seines Ordens.

Eine E-Mail vom "Kindermörder von Bethlehem"

Daneben ist Gemmingen in den vergangenen Jahren auch als Autor in Erscheinung getreten. 2018 legte er bekannten Heiligen seine Worte in den Mund. König Herodes, den legendären "Kindermörder von Bethlehem", ließ er eine weihnachtliche E-Mail schreiben. Gerade erschienen ist ein nur 40 Seiten starkes Bändchen unter dem Titel "Gekreuzte Balken". Darin macht sich der Jesuit Gedanken darüber, wie die Christen darauf kommen konnten, ausgerechnet ein brutales Hinrichtungswerkzeug zum zentralen Symbol ihres Glaubens zu machen. Und er meditiert, wie Jesus, "der wusste, was da auf ihn zukam", damit leben konnte.

Der Gottes- und Menschensohn lässt ihn nicht los. Gemmingen leidet darunter, dass es den kirchlichen Verkündern nach seiner Beobachtung vielfach nicht gelingt, Jesus Christus denkenden Menschen so vorzustellen, "dass denen klar wird, mit der Person müssen wir uns befassen".

Und dann verrät er noch sein aktuelles Projekt: ein Radreiseführer auf den Spuren herausragender europäischer Christen, von Königsberg bis Südtirol, von Johann Sebastian Bach über Albrecht Dürer bis Alfred Delp. Aber dafür muss er erst noch einen Verlag finden.

Von Christoph Renzikowski (KNA)