Der Zustand der Kirche macht mich mütend
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Kürzlich erklärte eine Ärztin, die Corona-Politik mache die Menschen mütend – also müde und wütend. Als ich das Wort hörte, musste ich an die Kirche denken. Wie viel tolle Arbeit engagierte Menschen in den Gemeinden auch leisten, um für die Botschaft Jesu zu begeistern – die verkrusteten Machtstrukturen der Kirche bleiben, wie sie sind. Das macht mütend.
Man hat sich fast daran gewöhnt, dass jedes Jahr zwischen 100.000 und 200.000 Menschen aus der katholischen Kirche austreten. Aber zwei Entwicklungen sollten den Verantwortungsträgern besondere Sorgen bereiten: Erstens hat sich das Schrumpfen beschleunigt. Im Jahr 2019 traten 270.000 Katholik*innen aus – mehr denn je. In Köln reißen sich die Austrittswilligen um die Termine beim Amtsgericht, sie sind auf Monate ausgebucht.
Zweitens tritt eine neue Gruppe von Menschen aus. Vor kurzem noch stellte das Bistum Essen in einer Studie fest, dass einem Kirchenaustritt eine "fehlende Bindung" oder ein längerer Prozess der "Entfremdung" zu Grunde liege. Heute aber treten auch Menschen aus der Mitte der Gemeinden aus: Menschen, die "Maria 2.0" mitgegründet haben; Menschen, die jahrzehntelang die katholische Erwachsenenbildung geleitet haben; Menschen, mit denen ich noch vor wenigen Jahren die Ministrant*innenarbeit in meinem Heimatdekanat geleitet habe.
Diese Menschen gehen, weil sich die Institution zwischen sie und ihren Glauben schiebt. Um ihren Glauben zu bewahren, müssen sie die Institution aus dem Weg räumen. Den Glauben an eine Veränderung haben sie verloren. Auf eine angemessene Reaktion der Institution Kirche, die zeigt, dass man die Tragweite dieser beiden Veränderungen bei den Kirchenaustritten verstanden hat, warte ich noch. Das macht mich manchmal wütend, manchmal müde – auf Dauer ziemlich mütend.
Der Autor
Simon Linder hat Katholische Theologie und Allgemeine Rhetorik studiert und arbeitet an einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt zum Thema "Streitkultur".Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.