Kauder: Wo Muslime die Mehrheit stellen, haben es Christen sehr schwer
Der langjährige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, engagiert sich seit vielen Jahren für Religionsfreiheit und verfolgte Christen. Im katholisch.de-Interview spricht er über die Länder, die ihm mit Blick auf die Situation der Christen derzeit die meisten Sorgen bereiten. Außerdem nimmt er Stellung zu den wiederkehrenden Vorwürfen gegen den Weltverfolgungsindex des Hilfswerks Open Doors, zum Engagement der Unions-geführten Bundesregierung für verfolgte Christen in aller Welt sowie zum jüngsten Papstbesuch im Irak.
Frage: Herr Kauder, Sie engagieren sich seit vielen Jahren für verfolgte Christen. Welches Land bereitet Ihnen in diesem Zusammenhang derzeit die größten Sorgen?
Kauder: Natürlich vor allem Nordkorea, das seit vielen Jahren einen traurigen Spitzenplatz bei der Verfolgung von Christen einnimmt. Besondere Probleme sehe ich aber auch in den Ländern von Subsahara-Afrika. Dort ist die islamistische Gewalt inzwischen so stark geworden, dass dieser Teil der Welt für Christen eine der gefährlichsten Regionen überhaupt ist. Und schließlich beobachte ich auch die Entwicklung in China mit großer Sorge.
Frage: Schauen wir konkreter auf die Volksrepublik: Wie könnte die Situation der Christen dort verbessert werden? Und müsste sich Deutschland hier mehr engagieren? In der Vergangenheit wurde insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel ja wiederholt vorgeworfen, Menschenrechte und damit auch die Religionsfreiheit gegenüber China nicht laut genug eingefordert zu haben...
Kauder: Diese Vorwürfe gibt es – sie stimmen aber nicht. Die Bundeskanzlerin hat die schwierige Lage der Menschenrechte in China gegenüber dem chinesischen Staatspräsidenten immer wieder angesprochen und dabei auch Verbesserungen angemahnt. Und auch ich war mehrfach in China und habe mich dort um das Thema gekümmert. Wichtig ist aber, dass wir in unseren Bemühungen nicht nachlassen und uns gegenüber den Chinesen immer wieder deutlich für Menschenrechte und damit auch für die Religionsfreiheit einsetzen. In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich auch die Sanktionen, die die Europäische Union jetzt wegen der anhaltenden Unterdrückung der Uiguren gegen China verhängt hat.
Frage: Wenn es darum geht, Christenverfolgung sichtbar zu machen und zu quantifizieren, kommt dem Weltverfolgungsindex des Hilfswerks Open Doors in Deutschland eine wichtige Rolle zu. Allerdings ist der Index nicht unumstritten. Das katholische Hilfswerk missio etwa sagt, dass eine auf einzelne Länder berechnete, je nach Religionszugehörigkeit getrennte zahlenmäßige Erfassung von Verfolgungsfällen nicht seriös sei. Entsprechende Ranglisten würden zudem die Gefahr bergen, dass die individuellen Leiderfahrungen der Angehörigen verschiedener Religionen gegeneinander ausgespielt und politisch instrumentalisiert werden. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Kauder: Diese Diskussion wird ja schon länger geführt, und natürlich ist es richtig, genau zu gucken, nach welchen Kriterien solche Ranglisten entstehen und wie seriös dies ist. Beim Weltverfolgungsindex von Open Doors habe ich dahingehend keine Bedenken. Er zeigt deutliche Entwicklungstendenzen und zeigt auf, wo Christen in besonderer Weise bedrängt werden. Im Übrigen: missio, deren Arbeit ich sehr schätze, kommt in vielen Fällen zu ähnlichen Ergebnissen wie Open Doors – etwa was die Lage der Christen in China, Indien, Nordkorea oder Subsahara-Afrika angeht. Gleichwohl weist missio zu Recht auch darauf hin, dass wir nicht nur negative Entwicklungen aufzeigen sollten, sondern auch wertschätzen sollten, wenn sich die Lage verfolgter Christen in einem Land verbessert. Nehmen Sie etwa die Situation der Kopten, hier gab es in den vergangenen Jahren durchaus Fortschritte zu verzeichnen. Trotz solcher Erfolge bleibt es aber dabei: Die Zahl der verfolgten Christen bleibt weltweit hoch, wir gehen derzeit von rund 300 Millionen Betroffenen aus.
„Weltweit werden derzeit ebenso Muslime stark verfolgt und getötet. Allerdings sind die Täter in der Regel fast immer selbst Muslime, der Islam bereitet uns insofern schon eine besondere Sorge.“
Frage: Mitunter drängt sich der Eindruck auf, dass das Problem der Christenverfolgung von bestimmten Kreisen nicht so sehr aus Sorge um die Christen thematisiert wird, sondern um Ressentiments gegenüber anderen Religionsgemeinschaften, vor allem dem Islam, zu verbreiten. Wie sehen Sie das?
Kauder: Das ist durchaus ein Problem, dem man entschieden entgegentreten muss. Um es klar zu sagen: Wer sich für Religionsfreiheit einsetzt, der muss sich für verfolgte Gläubige aller Religionen engagieren; alles andere wäre wenig glaubwürdig. Weltweit werden derzeit ebenso Muslime stark verfolgt und getötet. Allerdings sind die Täter in der Regel fast immer selbst Muslime, der Islam bereitet uns insofern schon eine besondere Sorge. Zudem muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass es Christen überall dort, wo der Islam Staatsreligion ist oder wo Muslime die Mehrheit der Bevölkerung stellen, besonders schwer haben. Auf solche Probleme hinzuweisen muss weiter möglich sein, ohne dass man dafür in eine bestimmte Ecke gedrängt wird.
Frage: Müsste das Problem der Christenverfolgung in der deutschen Außenpolitik noch eine größere Rolle spielen? Zum Beispiel, indem die Bundesregierung stärkeren Druck – auch wirtschaftlicher Art – auf Länder ausübt, in denen Christen verfolgt werden?
Kauder: Grundsätzlich ja – allerdings muss man sehr genau gucken, welche Instrumente wirklich geeignet sind. Wenn ich mit Christen spreche, die in ihrem Heimatland unter Verfolgung leiden, bitten sie zum Beispiel oft darum, keine Wirtschaftssanktionen gegen ihr Land zu verhängen, weil der Druck auf sie ansonsten noch größer werden würde. Hinzu kommt, dass es vor allem in Subsahara-Afrika Staaten gibt, die kaum noch Macht über ihr eigenes Territorium haben. Nehmen Sie etwa Nigeria: Dort spielt die islamistische Terrororganisation Boko Haram seit Jahren mit den staatlichen Institutionen Katz und Maus. Was sollten Wirtschaftssanktionen da bewirken?
Frage: Die Bundesregierung wird seit 16 Jahren von der Union angeführt. CDU und CSU tragen das christliche "C" im Namen, trotzdem hat sich beim Problem der Christenverfolgung nur wenig zum Besseren verändert. Hätten Sie mehr tun müssen?
Kauder: Natürlich kann man immer mehr tun. Ich denke aber, dass wir insbesondere mit dem neuen Amt des Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht haben – und das gegen Widerstände des Auswärtigen Amts und von Teilen der SPD. Durch den Beauftragten sind Religionsfreiheit und Christenverfolgung in aller Welt bundespolitisch nun noch stärker im Blick.
Frage: Sie haben 2018 wesentlich mit dafür gesorgt, dass ihrem Parteifreund Markus Grübel das Amt des Beauftragten übertragen wurde. Wie fällt zum Ende der Legislaturperiode Ihre Bilanz seiner Arbeit aus?
Kauder: Markus Grübel hat das ausgezeichnet gemacht. Er war und ist als Beauftragter präsent – nicht nur in Deutschland, sondern auch international. Der von ihm im vergangenen Herbst vorgelegte Bericht zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit gibt durch seine länderspezifischen Situationsberichte zudem einen sehr guten Überblick über die Problematik. Dass er in dem Bericht das Thema der Konversion – also des Glaubenswechsels – in besonderer Weise hervorgehoben hat, begrüße ich sehr.
Frage: Würden Sie sich also wünschen, dass das Amt des Beauftragten über diese Legislaturperiode hinaus verstetigt wird und Markus Grübel auf dem Posten bleibt?
Kauder: Auf jeden Fall! Und außerdem wünsche ich mir, dass das Amt deutlich besser ausgestattet wird. Der Beauftragte braucht mehr Mitarbeiter und mehr Handlungsspielräume. Er sollte zum Beispiel eigenständig Gutachten in Auftrag geben können. Hier muss die neue Bundesregierung für bessere Bedingungen sorgen.
Frage: Sie selbst treten im Herbst nicht mehr zur Bundestagswahl an. Was brennt Ihnen mit Blick auf die Situation verfolgter Christen noch unter den Nägeln? Wofür würden Sie sich vor Ihrem Ausscheiden aus dem Parlament gerne noch einsetzen?
Kauder: Mich treibt unser Umgang mit Menschen um, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und hier zum Christentum konvertiert sind. Dass wir diese Menschen mitunter immer noch in ihre Heimatländer zurückschicken, wo ihnen aufgrund ihrer Konversion Verfolgung oder gar Folter droht, wirft ein schlechtes Licht auf uns. Ich sage ganz klar: Zum Einsatz für Religionsfreiheit und verfolgte Christen gehört auch, dass wir Christen aus Deutschland nicht in Länder abschieben, in denen sie wegen ihres Glaubens verfolgt werden.
„Ich habe den Papst bewundert, dass er die Irak-Reise trotz Corona und aller anderen Probleme auf sich genommen hat.“
Frage: Schauen wir auf die beiden großen Kirchen in Deutschland. Wie beurteilen Sie deren Rolle im Kampf gegen Christenverfolgung? Sind die Kirchen laut und engagiert genug?
Kauder: Inzwischen ja. Nachdem das Engagement noch vor zehn, fünfzehn Jahren eher überschaubar war, wird heute in beiden Kirchen unglaublich viel für verfolgte Christen getan. Nehmen Sie etwa die Gebetstage, die für verfolgte Christen veranstaltet werden. Oder die vielen Diskussionsrunden und Tagungen zu diesem Thema. Religionsfreiheit und Christenverfolgung sind heute in beiden Kirchen sehr präsent. Dafür bin ich dankbar.
Frage: Sie haben in der Vergangenheit immer wieder auch ein stärkeres Engagement der einzelnen Christen in Deutschland für ihre bedrohten Glaubensgeschwister in anderen Ländern angemahnt. Passiert das inzwischen genug?
Kauder: Ich denke schon. In vielen Kirchengemeinden ist das Leid verfolgter Christen heute sehr präsent, ich selbst bin in den vergangenen Jahren immer wieder zu entsprechenden Vorträgen und Diskussionsrunden eingeladen worden. Wichtig ist mir aber: Bei allem Engagement dürfen wir das Gebet nicht vergessen. Der koptische Papst hat einmal zu mir gesagt: "Betet für uns, denn dann vergesst ihr uns nicht." Das ist ein ganz entscheidender Punkt!
Frage: Werfen wir zum Schluss einen Blick zurück auf die Irak-Reise von Papst Franziskus. Sie selbst haben sich vor der Reise auch mit Blick auf die Situation der Christen vor Ort sehr hoffnungsvoll geäußert. Hat der Besuch in dieser Hinsicht ihre Hoffnungen erfüllt?
Kauder: Eindeutig ja. Ich habe den Papst bewundert, dass er die Reise trotz Corona und aller anderen Probleme auf sich genommen hat. Zumal er damit nicht nur die Christen im Land gestärkt hat, sondern auch die Jesiden, die ja noch deutlich härter betroffen sind von den Verfolgungen im Irak. Ich denke, der Papstbesuch kam genau zum richtigen Zeitpunkt, denn die Lage der Christen vor Ort ist immer noch prekär. Wenn die Sicherheit der Gläubigen in der Ninive-Ebene auf Dauer nicht gewährleistet werden kann, ist der Fortbestand des Christentums in der Region bedroht. Dass der Papst mit seinem Besuch die Aufmerksamkeit der Welt auf diese Frage gelenkt hat, ist ihm hoch anzurechnen.
Zur Person
Volker Kauder (*1949) ist seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestags und vertritt dort als direkt gewählter CDU-Abgeordneter den Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen. Von 2005 bis 2018 war er Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und damit der am längsten amtierende Vorsitzende in der Geschichte der Fraktion. Zuvor war er von Januar bis Dezember 2005 Generalsekretär der CDU. Zur kommenden Bundestagswahl tritt der Protestant nicht mehr an.