Moraltheologe Schockenhoff zu den Ergebnissen der Vatikan-Umfrage

Lehre und Leben verbinden

Veröffentlicht am 06.02.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Ehe und Familie

Bonn ‐ Der Papst hat gefragt und die Gläubigen haben geantwortet. Die Ergebnisse der Vatikan-Umfrage sind eindeutig: Die Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre und dem Leben der Gläubigen ist groß. Eberhard Schockenhoff, Moraltheologe an der Universität Freiburg, nimmt im Interview mit katholisch.de Stellung. Der Priester erklärt dabei auch, wie es zu den Problemen gekommen ist, wie man sie lösen könnte und was er von Papst Franziskus erwartet.

  • Teilen:

Frage: Herr Schockenhoff, was halten Sie von der Auswertung der Vatikan-Umfrage?

Schockenhoff: Ich halte sie für recht gelungen, weil sie die zentralen Themen auf den Punkt bringt und sich auch nicht davor scheut, ein schonungsloses Bild zu zeichnen. Meist sind kirchliche Stellungnahmen in einem Ton gehalten, der die Realität nicht zur Kenntnis nimmt und die deshalb oft gar nicht wahrgenommen werden. Das kann man von dieser Zusammenstellung nicht sagen.

Frage: Sie haben den Fragebogen im Vorfeld mit 19 weiteren Theologen ausgefüllt. Sind Ihre Antworten mit denen der offiziellen Auswertung weitgehend deckungsgleich oder gibt es gravierende Unterschiede?

Schockenhoff: Die sind weitgehend deckungsgleich. Es gibt vielleicht einen etwas anderen Schwerpunkt, der aber in der Natur der Sache liegt. Während wir die normativen Begründungen der Aussagen zur Ehe und zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften stärker ins Auge gefasst haben, liegt der Schwerpunkt in der Auswertung eher auf praktischen Dingen wie der Ehevorbereitung oder der Begleitung von gleichgeschlechtlichen Paaren. Aber das sind komplementäre Sichtweisen, die sich ergänzen.

Frage: Können Sie Ihre Sichtweise zum Thema Ehe noch einmal näher beschreiben?

Schockenhoff: Die Antworten haben gezeigt, dass unter Katholiken eine Hochschätzung der Ehe noch weit verbreitet ist. Darin gibt es also zwischen dem kirchlichen Lehramt und dem persönlichen Glauben keine wesentliche Diskrepanz. Anders sieht es aus, wenn Menschen an den Zielvorstellungen, die sie am Anfang ihres Lebensweges einmal bejaht haben, scheitern. Soll dann einfach die Sanktion "Ausschluss von den Sakramenten" greifen, da eine zivile zweite Ehe als sündhafte Verbindung im Widerspruch zum Eheband angesehen wird? Theologen und Seelsorger fordern stattdessen, dass auch solchen Paaren ein Weg gewiesen wird, wie sie ihr Leben verantwortlich und in Treue vor ihrem Gewissen weiterführen können. Zum Glück sehen das auch immer mehr Bischöfe so. Eine zivile Zweitehe kann und soll der ersten, sakramentalen Ehe, die ein Abbild der Liebe Gottes zu den Menschen ist, nicht gleichgestellt werden. Man kann sie aber akzeptieren und tolerieren, da dort häufig die moralischen Werte gepflegt werden, die auch nach christlicher Auffassung das Wesen einer Ehe ausmachen; so wie zum Beispiel Treue oder Verantwortung für Kinder.

Papst Franziskus reckt die Hand nach einem Kind, welches ihm hingehalten wird, und segnet es.
Bild: ©KNA

Hunderttausende feierten mit dem Papst die Amtseinführung auf dem Petersplatz. Dieser genoss sichtlich die Atmosphäre und nahm sich sogar Zeit, um auch die Jüngsten zu segnen.

Frage: Dass die Umfrage eine Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre und dem Leben der Gläubigen aufzeigen würde, war absehbar. Gab es aber bei den Ergebnissen irgendetwas, das Sie besonders erschreckt hat?

Schockenhoff: Nein. Das ist das Bild, das Umfragen diverser Institute immer wieder ergeben haben. Außerdem deckt es sich auch voll mit meinen persönlichen Erfahrungen, die ich als Priester in der Pfarrei mache. Auch wenn die Fragen der Umfrage etwas unbeholfen und lebensfern wirken, ist es etwas Besonderes, dass sie vom Papst selbst initiiert wurde und ohne methodische Beschränkungen – zum Beispiel durch eine Vorauswahl der Befragten – weltweit jeden erreichen konnte. Es gibt jetzt keine Möglichkeit, das Ergebnis in irgendeiner Weise in Frage zu stellen. Auch die Ausflucht, dass man den kirchlichen Glauben nicht durch Meinungsumfragen bilden, sondern nur durch normative Maßstäbe herleiten kann, hilft nicht mehr, wenn auch in zentralen Aussagen der kirchlichen Sexualethik eine so weite Distanz zu den Gläubigen besteht.

Frage: Es geht ja nicht nur um die Sexualmoral oder wiederverheiratete Geschiedene. Es geht auch darum, dass die kirchliche Lehre im Ganzen nicht mehr verstanden und der Glaube nicht mehr weitergegeben wird. Was ist da schiefgelaufen?

Schockenhoff: Es ist zunächst sicher ein Problem des Transformationsprozesses, den die moderne Gesellschaft durchläuft. Es kommen unterschiedliche Rollenerwartungen auf die Menschen zu. Das Leben segmentiert sich stärker, so dass es keine geschlossenen, katholischen Milieus mehr gibt, wie sie bis in die 1960er-Jahre existierten. Das macht es schwieriger, den Glauben in der Familie zu leben. Die Familie als "Hauskirche" ist ein überhöhendes Bild, das ihr nicht mehr entspricht, was sich auch auf die Kindererziehung auswirkt. Dennoch halte ich die Krise nicht für so besorgniserregend, da die Grundwerte der Menschen noch mit denen der Kirche übereinstimmen: Eine auf Treue begründete, lebenslange Verbindung von Frau und Mann mit der prinzipiellen Offenheit für das Leben mit eigenen Kindern. Abgelehnt werden lediglich überholte Denkformen, naturrechtliche Begründungen und idealisierende Erwartungen.

„Es genügt nicht zu sagen, dass die kirchliche Lehre unantastbar und unwandelbar für alle Zeiten bleibt“

—  Zitat: Eberhard Schockenhoff

Frage: Jetzt haben die Bischöfe die Probleme aufgezeigt. Was muss die deutsche Kirche als erstes tun, um sie zu lösen?

Schockenhoff: Sie muss deutlich machen, dass sie die Lebenserfahrung und die Gewissenskompetenz ihrer Gläubigen respektiert, hochschätzt und sie als Quelle ihrer eigenen ethischen Urteilsbildung betrachtet. Es genügt nicht, dass das Lehramt sich selbst zitiert oder die Quellen der Heiligen Schrift zu Rate zieht, sondern dass die Lebenserfahrung der Gläubigen ein genuiner Ort für ethische Erkenntnisse ist. Wenn die Kirche zu einer Sprache findet, in der die Leute sich aufgehoben und geborgen fühlen, wird sie auch wieder mehr Zustimmung erhalten.

Frage: Der Vorsitzende der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, warnt davor, dass die Pastoral dogmatische Grundsätze oder geltendes Kirchenrecht aushebeln könnte.

Schockenhoff: Es genügt nicht zu sagen, dass die kirchliche Lehre unantastbar und unwandelbar für alle Zeiten bleibt. Und es genügt auch nicht, in einigen Situationen pastoral Rücksicht zu nehmen, indem die Lehre nicht in ganzer Schärfe vertreten wird. Denn es sind gerade diese normativ-dogmatischen Aussagen, denen die Gläubigen ihre Zustimmung verweigern. Deshalb kommt die Kirche nicht umhin, das, was sie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in vielen anderen Bereichen geschafft hat, auch für die Sexualmoral und die gewandelten Familienverhältnisse zu tun: nämlich ein neues, theologisch begründetes Selbstverständnis zu erarbeiten und eine Verkündigungssprache zu finden, in der Lehre und Leben übereinstimmen. Es gibt ja auch Berichte, dass die deutschen Bischöfe gewillt sind, in Rom mit Nachdruck auf diese Aufgaben hinzuweisen.

Frage: Um Papst Franziskus gibt es aktuell einen Hype, da er scheinbar immer wieder mit Traditionen bricht. Was erwarten Sie sich von ihm und von der Familiensynode?

Schockenhoff: Ich erwarte, dass der Papst ein klares Signal gibt, dass die Bischöfe frei diskutieren können. Das gab es in den Synoden bisher nicht, da sie immer sehr zentral gelenkt waren. Franziskus müsste deutlich machen, dass er sich von den Bischöfen eine Hilfestellung erhofft, um die Lehre zur Familie, Ehe und Sexualität so zu formulieren, dass sie von den Gläubigen als hilfreich empfunden wird. Ich bin mir sicher, dass gerade die konservativen Bischöfe der Linie nicht sofort folgen werden. Das war auf dem Konzil nicht anders. Aber es wird eine offene Debatte geben, deren Ausgang hoffentlich dem Vorschlag der deutschen Bischöfe nahe kommt.

Das Interview führte Björn Odendahl