Pastoraltheologe Feeser-Lichterfeld: "0815-Berufsbilder haben ausgedient"

Warum es eine "ungeschminkte" Berufungspastoral in der Kirche braucht

Veröffentlicht am 24.04.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Paderborn ‐ Beten um Berufungen ist wichtig. Doch was kann die Kirche selbst tun, um Menschen für einen pastoralen Dienst zu gewinnen? Der Pastoraltheologe Ulrich Feeser-Lichterfeld erläutert im katholisch.de-Interview, was eine gelingende Berufungspastoral ausmacht – gerade im Blick auf kommende Veränderungen.

  • Teilen:

https://www.katholisch.de/artikel/29212-24-stunden-gebet-werft-die-netze-aus-um-geistliche-berufungenReadSpeaker weAm Sonntag begeht die katholische Kirche den Weltgebetstag um geistliche Berufungen. Dieser wird von vielen Aktionen flankiert: So lädt beispielsweise das Zentrum für Berufungspastoral der Deutschen Bischofskonferenz unter dem Motto "Werft die Netze aus" von diesem Samstag 18 Uhr an zu einem 24-Stunden-Gebet ein, an dem sich zahlreiche Pfarreien, Verbände und Initiativen beteiligen. Beten um geistliche Berufungen – und damit auch für Berufe in der Kirche – ist das Eine. Doch was kann die Kirche selbst machen, um als "Arbeitgeber" für Menschen interessant zu sein – gerade in Zeiten großer kirchlicher Veränderungsprozesse? Der Pastoraltheologe Ulrich Feeser-Lichterfeld, Professor für Praktische Theologie mit dem Schwerpunkt Praxisforschung, Praxisbegleitung und Pastoralpsychologie an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Paderborn, gibt dazu einige Anregungen. Gleichzeitig betont er, dass es kirchlicher Berufungspastoral in erster Linie darum gehen sollte, Menschen bei der Suche nach Antworten auf ihre existenziellen Fragen zu unterstützen.

Frage: Herr Feeser-Lichterfeld, das Gebet um geistliche Berufungen hat in der Kirche eine lange Tradition. Wie viel soll sie bei dem Thema Gott überlassen – und was kann sie selbst machen?

Feeser-Lichterfeld: Es wie bei allen Dingen, um die wir beten – es entlastet nicht vom eigenen Tun. Ich finde es sehr wichtig, dass es das Gebet um geistliche Berufungen gibt. Ich finde auch gut, dass es den Weltgebetstag um geistliche Berufungen gibt. Beides erinnert daran, wie bedeutsam dieses Thema ist – und dass es dabei das Vertrauen auf Gottes Unterstützung und Führung braucht. Genauso finde ich die Vorstellung einer Gebetsgemeinschaft schön, die das Bemühen um Berufungen als gemeinsame Verantwortung und Aufgabe begreift. Es geht also um eine gute Mischung zwischen Gottvertrauen und eigenem Engagement.

Frage: Wie sieht dieses Engagement aus?

Feeser-Lichterfeld: Wenn man den Begriff Berufung in einem weiten Sinn versteht – so wie es auch das Zweite Vatikanischen Konzil getan hat – dann zeigt er an, dass in jedem Menschen eine Verheißung fürs Leben steckt. Kirche steht im Dienst dieser Berufung der Menschen – wie auch immer diese aussieht. Jeder Mensch stellt sich zutiefst existenzielle Fragen: Wer will ich sein? Wofür will ich leben? Oder, wie es das Leitwort des Zentrums für Berufungspastoral in diesem Jahr wunderbar auf den Punkt bringt: Für wen bin ich da? Es ist Aufgabe der Kirche, diese Fragen wachzuhalten und Unterstützung bei ihrer Beantwortung, die ja gar nicht einfach ist, anzubieten. Jemanden Menschen an die Seite zu stellen, die sich diese Frage selbst gestellt haben und immer wieder neu stellen, die begleiten, unterstützen, auf dass das Leben gelingen möge – das ist für mich Berufungspastoral. Dass Leben alles andere als einfach ist, erleben wir alle ja gerade in der Corona-Pandemie. Auch Berufsfragen sind aktuell für viele Menschen viel schwerer zu klären als zuvor. Gerade jetzt sollte die Kirche jedem Menschen zusprechen: Du bist mit deinen Fragen und deiner Suche nicht allein. Wir sind an deiner Seite, und vor allem ist Christus an deiner Seite.

Frage: Wenn man den Begriff Berufung etwas enger fasst, geht es in der Berufungspastoral auch darum, wie Menschen für einen Dienst in der Kirche begeistert werden können. Wie sieht in dem Zusammenhang eine zeitgemäße Berufungspastoral – unter den aktuellen kirchlichen Rahmenbedingungen – Ihrer Meinung nach aus?

Feeser-Lichterfeld: Sie muss "ungeschminkt" sein. Wenn sich heutzutage Menschen für die Kirche als Arbeitsort entscheiden, dann entscheiden sie sich für einen Arbeitgeber, dessen Wirklichkeit sich in den nächsten 20 bis 30 Jahren erheblich verändern wird. Von dem auszugehen, was einem aktuell zum Beispiel in der Jugendpastoral an kirchlichen Arbeitsfeldern gefällt, kann natürlich für die Berufswahl motivieren. Aber es ist ja jetzt schon absehbar, dass vieles in den nächsten Jahren nicht mehr möglich sein wird und sich ganz neue Herausforderungen stellen werden. Die Kirche steht in so großen Veränderungsprozessen, da werden wenige Steine auf den anderen bleiben. Das wird von allen, die in Kirche mitarbeiten, eine enorme Flexibilität und in gewisser Weise auch Abenteuerlust erfordern, da die Zukunft so offen ist. Gleichzeitig bieten solche Veränderungen eben auch Chancen, etwas anders zu machen als bisher, Kirche neu zu gestalten – was ja durchaus für die Wahl eines kirchlichen Berufs sprechen kann.

Ulrich Feeser-Lichterfeld
Bild: ©David Gorny

Ulrich Feeser-Lichterfeld ist Professor für Praktische Theologie mit dem Schwerpunkt Praxisforschung, Praxisbegleitung und Pastoralpsychologie an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Paderborn.

Frage: Manche spüren eventuell die Berufung zu einem kirchlichen Dienst, schrecken aber davor zurück, eine entsprechende Laufbahn einzuschlagen. Wo steht die Kirche also gewissermaßen Gott im Weg?

Feeser-Lichterfeld: Dazu würde ich gerne die Antwort Gottes hören (lacht). Wenn Sie jetzt an strukturelle Diskussionen denken, an die Woche für Woche zu verfolgenden Themen von Machtmissbrauch, Maria 2.0 oder der großen Zahl von Kirchenaustritten – das macht sicher auch Menschen, die sich für einen kirchlichen Beruf interessieren, unruhig. Eine Berufswahl ist häufig auch eine Organisationswahl – für die Kirche gilt das wahrscheinlich ganz besonders. Die Frage, ob jemand Sozialarbeiter bei der Caritas, Religionslehrerin, Gemeindereferentin oder Priester werden will, hängt auch immer davon ab, wie man zur Kirche als Dienstgeberin steht. Das erlebe ich auch in den Gesprächen mit den Studierenden unserer Hochschule. Hier studieren Frauen und Männer aus mehr als einem Dutzend Bistümern und Erzbistümern Angewandte Theologie. Die zum Teil sehr unterschiedlichen Pastoralstrategien und Einsatzfelder der Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten – das ist der Beruf, den die meisten unserer Studierenden anstreben – werden sehr aufmerksam beobachtet und kontrovers diskutiert.

Frage: Ist die Kirche also in gewisser Weise auch selbst schuld, wenn kaum jemand mehr für sie arbeiten will?

Feeser-Lichterfeld: Selbstverständlich ist Kirche mitverantwortlich für das Image, das sie hat und das Menschen möglicherweise abschreckt, sich bei ihr zu engagieren. Hier braucht es von allen Beteiligten unbedingt ehrliche Selbstkritik und die Bereitschaft für Veränderungen. Sehr hilfreich hierbei finde ich zum Beispiel die von der Benediktinerin Philippa Rath gesammelten und jüngst als Buch vorgelegten Lebens- und Berufungsgeschichten vieler Frauen. "Welch eine Verschwendung von Charismen und Begabungen", resümiert die Herausgeberin.

Frage: Was kann die Kirche vielleicht unabhängig von allen Strukturfragen tun, um ein "attraktiver" Arbeitgeber zu werden?

Feeser-Lichterfeld: Die Bistümer und alle kirchlichen Organisationen könnten meines Erachtens noch deutlicher machen, wo die Chancen und auch die persönlichen Entwicklungschancen in dem jeweiligen Beruf liegen. Berufswahl ist ja keine einmalige Entscheidung, sondern ein lebenslanger Prozess, in dem man immer wieder vor der Frage steht: Ist das, was ich tue, noch das Richtige für mich? Auch hat die Kirche meiner Meinung nach noch zu wenig im Blick, wie plural die Gesellschaft und mit ihr auch Kirche ist. Oft herrscht immer noch der Eindruck vor, innerhalb der Kirche tickten alle recht ähnlich. Man sollte sich deshalb bei den Hauptamtlichen gezielt um mehr Diversität bemühen, indem man zum Beispiel Quereinsteiger mit Lebens- und Berufserfahrung für den kirchlichen Dienst zu gewinnen sucht. An unserer Hochschule kann Angewandte Theologie seit drei Jahren auch im Fernstudium studiert werden, was die Vielfalt unter unseren Studierenden erheblich vergrößert hat. Von da aus kann Kirche vielleicht auch wieder anschlussfähiger werden an Diskussionen, Fragestellungen und Entwicklungen innerhalb unserer Gesellschaft. Kurzum: Kirche soll um Menschen werben – und dabei aufmerksam differenzieren, wen man vor sich hat. 0815-Berufsbilder und Berufswege haben meines Erachtens ausgedient.

„Die Bistümer und alle kirchlichen Organisationen könnten meines Erachtens noch deutlicher machen, wo die Chancen und auch die persönlichen Entwicklungschancen in dem jeweiligen Beruf liegen.“

—  Zitat: Ulrich Feeser-Lichterfeld auf die Frage, was Kirche konkret tun kann, um zu einem "attraktiven" Arbeitgeber zu werden

Frage: Welche Rolle spielen die Arbeitsbedingungen für die Attraktivität von kirchlichen Berufen? Oft wird die Kirche ja mit dem Vorwurf konfrontiert, sie verheize ihre Mitarbeiter, indem sie ihnen zu viele Aufgaben aufbindet.

Feeser-Lichterfeld: Es ist sicher ein wichtiger Punkt, dass bei größer werdenden Verantwortungsräumen, etwa bei Priestern, darauf aufgepasst wird, wo die Grenze der Belastbarkeit ist. Andererseits bedeuten mehr Aufgaben auch nicht automatisch einen höheren Belastungsdruck. Das hängt eben immer von den jeweiligen Aufgaben ab – ob sie zum jeweiligen Typen passen und vor allem ob sie oder er Sinn in der neuen Aufgabe erkennt. Wenn das der Fall ist, dann sind Menschen in der Regel auch bereit und in der Lage, sich zu engagieren – unabhängig von der Größe der Aufgabe. Das Ziel von Kirche sollte deshalb sein, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überzeugt von der Sache sind, die sie tun. Dann sind sie übrigens nicht zuletzt die besten Botschafterinnen und Botschafter dieser Berufe.

Frage: Nochmal zurück zum Thema Berufungspastoral: Es gibt inzwischen ganze Zentren, die sich darum kümmern, auch in den Diözesen gibt es entsprechende Stellen. Wie blicken Sie auf die?

Feeser-Lichterfeld: Zunächst einmal sind das wichtige Anlaufstellen. Viele Menschen, die sich eine berufliche Zukunft in der Kirche vorstellen können, sind oft nämlich gar nicht mehr so angebunden in Verbänden, Gemeinden oder geistlichen Zentren, als das vielleicht noch vor 20, 30 oder 40 Jahren der Fall war. Ich bin verschiedentlich in Kontakt mit Verantwortlichen in der Berufungspastoral in Diözesen oder Ordensgemeinschaften. Mich beeindruckt wirklich, was da entwickelt und angeboten wird. Wo man sich zu Recht dagegen wehrt, ist, dass man bei ihnen die Verantwortung für die Berufungspastoral ablädt. Sie investieren deshalb einen großen Teil ihrer Arbeit darin, dass möglichst viele in der Diözese oder im Orden an dem Strang mitziehen und sich überlegen, was nötigt ist, damit sich Menschen vorstellen können, ein kirchlicher Beruf könnte ein spannender Weg für sie sein.

Frage: Sie sagen, sie sind immer wieder im Austausch mit Diözesen und Verbänden. Gibt es irgendein Konzept in Sachen Berufungspastoral, das sie bedenkenswert oder überzeugend finden?

Feeser-Lichterfeld: Es gibt zum Beispiel in manchen Diözesen ein Berufungscoaching. Coaching ist ja eher etwas, was man aus der Personalentwicklung in der Wirtschaft kennt. Als Kirche bietet man das jungen oder auch älteren Menschen an, die sich orientieren und ihre ganz eigene Berufung klären wollen – und das in voller Freiheit der Entscheidung. Man stärkt die Entscheidungskraft von denen, die gecoacht wird. Das ist wirklich im besten Sinne Pastoral, weil es selbstlos ist. Natürlich freut sich jede Diözese, die das anbietet, darüber, wenn Menschen sagen, das hat ihnen so gut gefallen, dass sie sich vorstellen können, in der Kirche zu arbeiten. Aber es ist in erster Linie eine Hilfe bei dieser grundsätzlichen Frage, was aus einem Menschen werden soll. Und wie schon gesagt: Dieser diakonische Dienst ist enorm wichtig. Indem Kirche für die Menschen da ist, motiviert sie auch zu einer Antwort auf die Frage, für wen der oder die Einzelne da sein kann und da sein sollte. Das Verkehrteste wäre, wenn immer nur die Frage im Raum stünde, ob jemand dann auch für die Kirche arbeiten möchte.

Von Matthias Altmann