Ein Jahr nach Einigung mit Missbrauchsbeauftragtem der Bundesregierung

Zeitung: Erst zwei Bistümer haben unabhängige Missbrauchs-Gremien

Veröffentlicht am 23.04.2021 um 12:14 Uhr – Lesedauer: 5 MINUTEN

Frankfurt ‐ Vor einem Jahr hatten sich die deutschen Bischöfe und der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung auf verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Missbrauchsaufarbeitung geeinigt. Doch bei der Umsetzung hapert es laut einem Bericht.

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Die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch ist in den meisten katholischen Bistümern laut Recherchen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ, Freitag) noch im Anfangsstadium. Ein Jahr nach ihrer Einigung mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung auf die Einrichtung unabhängiger Aufarbeitungskommissionen haben einer FAZ-Umfrage zufolge erst zwei der 27 deutschen Bistümer, nämlich Bamberg und Passau, ein solches Gremium geschaffen. "Das zeigt wieder einmal, dass wir kein geeignetes Instrumentarium haben, um das vergangene Unrecht aufzuarbeiten", sagte der Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, der Zeitung.

Laut der Umfrage hätten 15 der 27 katholischen Bistümer in Deutschland noch keine Missbrauchsstudie in Auftrag gegeben, die auch die Verantwortlichen für rechtswidriges Verhalten namhaft machen soll, schreibt die Zeitung. Die (Erz-)Bistümer Limburg, Aachen, Köln und Berlin haben Studien über das Ausmaß sexualisierter Gewalt und den Umgang der Bistumsleitung mit Beschuldigten und Betroffenen veröffentlicht. In Arbeit seien derzeit Gutachten für München, Münster, Essen, Mainz, Freiburg, Paderborn, Hildesheim und für den mecklenburgischen Teil des Erzbistums Hamburg.

Allerdings wichen die Studien hinsichtlich der Verfasser und Fragestellungen erheblich voneinander ab. "Der Aufarbeitungsprozess braucht ein gemeinsames Dach", zitiert die FAZ Betroffenenvertreter Katsch. Dem Bericht zufolge haben mehrere Bistümer argumentiert, dass die Vergabe einer Missbrauchsstudie einer unabhängigen Kommission überlassen werde solle; die habe aber noch nicht eingerichtet werden können, weil man noch Interessenten für einen Betroffenenbeirat suche.

Verbindliche Kriterien und Standards

Vor einem Jahr hatten sich die Bischöfe und der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Röhrig, auf eine "Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs" verständigt. Ein Punkt war die Einbindung von Betroffenen: Den Kommissionen in den Bistümern müssen jeweils zwei Opfer sexualisierter Gewalt angehören. Weitere Mitglieder sollen von den jeweiligen Landesregierungen vorgeschlagen werden. Weniger als die Hälfte der empfohlenen sieben Mitglieder dürfen Beschäftigte der katholischen Kirche sein oder einem Laiengremium des Bistums angehören. Ernannt werden alle Mitglieder durch den jeweiligen Bischof.

Wie die FAZ-Umfrage ergab, haben rund zwölf Monate nach der Einigung zwei Bischöfe eine unabhängige Kommission nach den vereinbarten Standards eingerichtet: der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick im Februar 2020 und jüngst der Passauer Bischof Stefan Oster, in dessen Diözese sich nach Angaben einer Sprecherin am Dienstag eine unabhängige Kommission konstituierte. Das Bistum Augsburg wurde nicht erwähnt. Dort wurde eine Unabhängige Kommission bereits initiiert, sie ist aber noch nicht vollständig. Die Diözese hatte vor rund zwei Wochen bekannt gegeben, dass die ersten fünf Mitglieder ihre Arbeit bereits aufgenommen hätten. Demnach sollen noch zwei Delegierte aus dem Betroffenenbeirat hinzukommen.

Katsch forderte unterdessen erneut eine stärkere und verbindlichere Vermittlerrolle des Staates bei der Aufarbeitung sexueller Gewalt in der katholischen Kirche. Die Aufarbeitungsprozesse in den verschiedenen Bistümern seien unübersichtlich und unkoordiniert, sagte er am Donnerstagabend bei einer Online-Veranstaltung der Akademie des Bistums Aachen. Notwendig seien kirchenunabhängige Wahrheitskommissionen. "Die Kirche braucht Ansagen von außen, sonst zerfließt die Debatte völlig." Niemand kläre auf, wenn es nicht die Opfer selbst oder Medien machten. (tmg/KNA/epd)

24.4., 13.10 Uhr: ergänzt um die Informationen zu Augsburg.