Münsteraner Dogmatiker kritisiert Überhöhung des Katechismus in der Kirche

Seewald: Der Katechismus ist kein lehramtliches Superdokument

Veröffentlicht am 27.04.2021 um 17:01 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Wer den Katechismus der Katholischen Kirche heranzieht, um festzulegen, was wahrhaft katholisch ist, erliegt aus Sicht von Dogmatiker Michael Seewald einem Irrtum. Er rät: Gute Katholiken sollten nicht päpstlicher sein als der Papst.

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Der Münsteraner Dogmatik-Professor Michael Seewald hat die Überbetonung des Katechismus in der katholischen Kirche kritisiert. "Der Katechismus ist zu einem normativ aufgeladenen Text geworden, zu einer Art lehramtlichem Superdokument, das nicht selten als Markstein des wahrhaft Katholischen betrachtet wird", schreibt Seewald in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung "Christ in der Gegenwart" (Aktuelle Ausgabe). Der Charakter des von einer Kommission unter dem Vorsitz von Kardinal Joseph Ratzinger erarbeiteten und am 11. Oktober 1992 präsentierten "Katechismus der Katholischen Kirche" als "Arbeitshilfe", die "angeboten" und "nützlich" sein könne, sei in den vergangenen Jahren aus dem Blick geraten, so Seewald.

Es sei "naiv" zu meinen, der Katechismus sei "lediglich eine neutrale, objektive Zusammenfassung katholischer Glaubensinhalte. Dass er das nicht ist, hat kein Geringerer als Joseph Ratzinger zu bedenken gegeben." Der Katechismus bilde nicht einfach die überlieferte Glaubenslehre ab, sondern sei vielmehr eine "bewusst eingenommene Abwehrhaltung" als Reaktion auf das Zweite Vatikanische Konzil.

"Der Katechismus spricht mit dem Ziel, nachkonziliare Entwicklungen, die aus Sicht des Papstes problematisch erscheinen, kraftvoll zurückweisen zu können, dem Lehramt eine Kompetenz zu, die die vergangenen beiden Konzilien ihm ausdrücklich nicht zugesprochen haben", kritisiert Seewald. Dass diese Ausweitung des Dogmenbegriffs große Relevanz habe, zeige die Diskussion um das Verbot der Frauenordination durch Papst Johannes Paul II. 1994. "Wer gar meint, beim Nein zur Frauenordination handle es sich um ein Dogma, hat nicht die Tradition der Kirche auf seiner Seite, sondern lediglich den Katechismus von 1992 – und damit eine Tradition, die noch keine 30 Jahre alt ist."

Franziskus kritisiert Katechismus offen

In seiner Enzyklika "Fratelli tutti" habe Papst Franziskus den Begriff des "gerechten Kriegs" aus dem Katechismus offen kritisiert. "Geht man davon aus, dass Päpste und Konzilien die Lehre der Kirche formulieren, ist folgende Schlussfolgerung unausweichlich: Der Katechismus steht in friedensethischer Hinsicht in Widerspruch zur derzeit geltenden, durch das Zweite Vatikanische Konzil vorgetragenen und durch den amtierenden Papst wiederholten Lehre der katholischen Kirche." Dass Papst Franziskus – anders als noch 2018 bei der Ächtung der Todesstrafe – nicht mehr für nötig gehalten habe, diesen Widerspruch aufzulösen, sei ein Hinweis auf die Bedeutung, die Franziskus dem Katechismus beimesse.

Für andere Themenbereich bedeute das, dass die angebotene "Arbeitshilfe", als die der Katechismus sich verstehe, auch abgelehnt werden könne, schreibt Seewald. "Der Papst hat dies mit Blick auf den Katechismus bereits mehrfach getan. Gute Katholiken sollten nicht päpstlicher sein als der Papst." (cbr)