Theologe Hartmann: Bischöfe haben bei Weihepredigten Chancen verpasst
Die Priesterweihen in den Bistümern sind der vielleicht prominentesten Termine, an denen sich die Bischöfe öffentlich zum Priestertum äußern, sagt Theologe Richard Hartmann. Aus diesem Grund hat sich der Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Theologischen Fakultät Fulda die Weihepredigten des vergangenen Jahres genauer angeschaut – und war teilweise ernüchtert. Im Interview erklärt er, warum die Bischöfe bei den Weihepredigten aus seiner Sicht einige Chancen verspielt haben.
Frage: Herr Hartmann, warum haben Sie sich mit den Predigten bei Priesterweihen im vergangenen Jahr auseinandergesetzt und diese analysiert?
Hartmann: Es gibt mehrere Zugänge für mich: Zum einen bin ich selbst seit 20 Jahren in der Predigtausbildung tätig. Zum anderen beschäftige ich mich schon lange mit Strukturentwicklungen in Diözesen, mit Rollenbildern und ähnlichem mehr – aktuell vorrangig im Bistum Fulda. Zu diesem Thema war ich schon in etlichen Diözesen in Deutschland unterwegs. Im Moment verändert sich wesentlich das Rollenbild des Priesters und der Hauptamtlichen sowie die Zuordnung des Priestertums aller Gläubigen. Deshalb wollte ich schauen, ob das, was in den Leitdokumenten der Diözesen zu pastoralen Strukturentwicklungen steht, sich auch in den Bischofspredigten zeigt und was die Bischöfe öffentlich zum Priestertum sagen.
Frage: Warum haben Sie sich dafür gerade die Predigten bei Priesterweihen angeschaut?
Hartmann: Es gibt in den meisten Bistümern im Laufe des Jahres zwei bis drei prominente Termine, an denen sich die Bischöfe öffentlich zum Priestertum äußern. Der prominenteste ist sicherlich die Priesterweihe, wo man erwarten könnte, dass der Bischof in der aktuellen Situation etwas sowohl zu den Kandidaten wie auch zum Gottesvolk sagt. Eine weitere Gelegenheit ist die Chrisammesse, in der das priesterliche Gehorsamsversprechen erneuert wird. Darüber hinaus gibt es in vielen Diözesen auch Veranstaltungen wie Priestertage. Ich vermutete schon länger, dass das, was die Bischöfe öffentlich in den Predigten sagen, nicht unbedingt kompatibel mit dem ist, was die Leitbilder zur Neugestaltung der Pastoral enthalten. Ich habe die Corona-Zeit genutzt, um zu schauen, welche Predigttexte ich bekomme und mit Ausnahme einer Predigt habe ich alle erhalten. Die Texte habe ich dann mit einer einfachen Form der Inhaltsanalyse ausgewertet.
Frage: Was haben Sie dabei beobachtet?
Hartmann: Ich war ernüchtert, weil viele Predigten nur wenig Aussagekraft haben oder – was ich mindestens genauso schlimm, wenn nicht sogar noch schlimmer finde –, dass sie sich nur auf die individuelle Berufung der Kandidaten beziehen. Es sind keine schrecklichen Fehlinterpretationen dabei, wo man den Klerikalismus pur findet. Es gibt aber auch kaum Orientierung für das Priestersein heute, die ich erwartet hätte und mir wünschen würde.
Frage: Welche Form von Orientierung meinen Sie?
Hartmann: Es gibt da zwei Richtungen: Zum einen Orientierung, was die Weihekandidaten erwartet und wie der Bischof, dem sie Ehrfurcht und Gehorsam versprochen haben, sie dabei unterstützt. Es ist ja tatsächlich aufgrund der tiefgreifenden aktuellen Veränderungen in der Kirche eine abenteuerliche Situation, in die Priester heute hineingehen – ganz anders als noch vor fast 40 Jahren, als ich geweiht worden bin. Zum anderen aber auch Orientierung für das gläubige Volk, damit es die neuen Priester nicht auf einen hohen Thron stellt, sondern ihnen gegenüber Solidarität zum Ausdruck bringt und sie nicht allein lässt. Wenn aber in allen Predigten die Kooperation mit pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so gut wie gar nicht angesprochen wird, sondern eher die Heiligkeit des priesterlichen Dienstes und die priesterliche Berufung teilweise so stark betont wird, dann ist das schon schwierig.
Frage: Welche Punkte haben Sie noch beobachten können?
Hartmann: Einige Themen werden in den Predigten kaum oder gar nicht angesprochen. Die Aufgabe des Priesters in der Diakonia etwa, also in der Sorge um die Menschen in Not, wurde in weniger als einem Drittel der Texte genannt und kaum ausgearbeitet. Auch die Frage nach dem Priestersein in einer Kirche, die ihre Relevanz immer mehr einbüßt und den gesellschaftlichen Dialog suchen muss, spielt kaum eine Rolle. Was ebenfalls nicht vorkommt: die Diskussionen um pastorale Veränderungen in den Diözesen und den Leitungsdienst der Priester oder was es heute bedeutet, zölibatär zu leben. Ich finde es auch interessant, dass über Kirche und Priester gesprochen wird, ohne auch nur eine Spur auf die Ökumene und auf die Solidarität der Konfessionen einzugehen. Das sind alles Themen, bei denen ich mich darüber wundere, warum Bischöfe solche Gelegenheiten nicht nutzen, sowohl als Bekenntnis ihrerseits wie auch als Motivation für das gläubige Volk.
Frage: Allerdings kann ein Bischof nicht jedes Thema in seiner Predigt behandeln…
Hartmann: Das stimmt natürlich und die Bischöfe müssen auch eigene Akzente setzen. Die Weihepredigten sind nicht einfach ein pastoraltheologischer Vortrag, sondern haben mit der Prägung der einzelnen Bischöfe zu tun. Da gibt es viele unterschiedliche Stile. Aber, dass diese Themen in 26 Predigten quasi gar nicht oder kaum vorkommen, ist schon enttäuschend.
Frage: Wie ist das mit aktuellen oder zeitbezogenen Themen, wie der Corona-Pandemie? Spielen die in den Predigten eine Rolle?
Hartmann: Natürlich haben fast alle Bischöfe bedauert, dass jetzt in der Corona-Pandemie alles schwieriger ist und dass das hoffentlich irgendwann irgendwie wieder vorbeigeht. Darüber hinaus ist Corona aber nur ein Thema, um zu illustrieren, dass es Leid und Not gibt. Insgesamt sind es nur sehr wenige zeitbezogene Themen, die in den Weihepredigten vorkommen. Es findet sich kaum ein Hinweis darauf, die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums zu deuten und die Herausforderungen der Gegenwart mit Blick auf Christus positiv zu erschließen. Es sind also rundum zeitlose Predigten, die ganz in die Spiritualität hineingehen, und das hilft im Moment niemandem.
Frage: Neben den deutschen Diözesen haben Sie auch die Predigt im Weihegottesdienst der Piusbruderschaft analysiert. Warum?
Hartmann: Zunächst einmal, weil sie mir in die Hände gefallen ist, als ich auf der Suche war nach Priesterweihpredigten in Deutschland. Und ich gebe zu, ich hatte eher vermutet, dass ich dort etwas finde, was zu meinem eigenen theologischen Anspruch ganz und gar quer liegt. Aber diese Differenz, zwischen einer Predigt aus diesem Umfeld und bestimmten anderen römisch-katholischen Bischöfen in Deutschland ist gar nicht so groß. Das hängt aber auch damit zusammen, dass nahezu alle Predigten stark von der Spiritualität, der Christusbeziehung und der Sakramentalität her geprägt sind und nicht so sehr von der kirchlich-pastoralen Wirklichkeit.
Frage: Im Fazit Ihrer Analyse schreiben Sie, dass die Bischöfe bei Ihren Weihepredigten etliche Chancen verspielt hätten. Was meinen Sie damit?
Hartmann: Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass die Bischöfe genauer hinschauen, welche Priester sie in welche kirchliche Situation hineinsenden und welche Unterstützung sie ihnen geben können. Es gibt oftmals sowohl bei Priestern als auch in den Gemeinden die Vorstellung, der Priester müsse alles machen und an seiner Tätigkeit hänge die ganze Wirklichkeit der Kirche. Ich würde mir daher als Unterstützung für die Priester auch wünschen, dass das Gottesvolk sie in ihrer Mitte aufnimmt und sie nicht als Gegenüber versteht, dem man alle Verantwortung zuschiebt, wenn etwas nicht funktioniert. Der Fuldaer Regens Dirk Gärtner, der auch Vorsitzender der Deutschen Regentenkonferenz ist, war einer der ersten, die den Artikel gelesen haben. Er hat danach zu mir gesagt, ihm sei deutlich geworden, wie gefährlich es sei, wenn die Einbettung des Priesters im Volk Gottes so wenig akzentuiert ist – denn das fördert Klerikalismus.
Analyse der Predigten zur Priesterweihe 2020
Die gesamte Analyse mit dem Titel "Predigt zur Priesterweihe – Impuls für die Gegenwart. Analysen der Weihe-Predigten 2020" von Prof. Dr. Richard Hartmann ist online verfügbar.