Fürst: "Embryonen nicht für medizinische Zwecke instrumentalisieren"
Bundesärztekammer, Deutscher Ethikrat und jetzt auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Sie alle fordern eine Reform des 30 Jahre alten Embryonenschutzgesetzes. Die Richtung dabei ist eindeutig: Der in Deutschland geltende strenge Schutzstatus des Embryos wäre dann nicht mehr zu halten. Im Interview erläutert der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst die Haltung der katholischen Bischöfe. Er ist Vorsitzender der Unterkommission Bioethik der Bischofskonferenz.
Frage: Bischof Fürst, lässt sich dieser Trend aus Ihrer Sicht noch aufhalten?
Fürst: Es ist keine Frage, dass das Embryonenschutzgesetz daraufhin überprüft werden muss, inwieweit es in seinen Regelungen noch dem wissenschaftlichen Stand entspricht. Dies gilt jedoch nicht für den grundlegenden Schutzstatus des menschlichen Embryos. Das Embryonenschutzgesetz geht mit sehr guten Gründen davon aus, dass der Embryo sich nach abgeschlossener Verschmelzung der Zellkerne von Ei- und Samenzelle als Mensch entwickelt und nicht zum Menschen. Deshalb kommt dem Embryo auch der volle Schutz der menschlichen Person zu, unter dem sie vom ersten Anfang ihres Lebens bis zu ihrem natürlichen Tod steht. Es gibt keine Erkenntnisse, die an diesem entscheidenden Grundsatz eine Änderung rechtfertigen könnten.
Frage: Weltweit beruhen immer mehr medizinische Behandlungsmöglichkeiten auf Erkenntnissen der Embyonenforschung. Stellt sich die katholische Kirche mit ihrem strikten Nein nicht immer weiter ins fundamentalistische Abseits?
Fürst: Der Schutz des menschlichen Lebens ist ebenso wenig eine fundamentalistische Position wie der Schutz der Menschenwürde insgesamt, dem unsere gesamte Rechtsordnung dient. Wer sich für den Schutz der Menschenwürde einsetzt, steht nicht im Abseits, auch wenn dem mächtige Interessen entgegenstehen, die hier für eine Aufweichung sprechen.
Frage: Viele katholische Familien nutzen die Chancen der modernen Fortpflanzungsmedizin, die auch auf Erkenntnissen der verbrauchenden Embryonenforschung beruht. Auch Corona-Impfstoffe wurden mit Hilfe von abgetriebenen Föten entwickelt. Muss man entsprechende Behandlungen oder Impfungen als Katholik ablehnen?
Fürst: Es gilt hier sehr genau hinzusehen und präzise Unterscheidungen zu beachten. Im Bereich der Fortpflanzungsmedizin gibt es viele Methoden und Techniken, die tatsächlich hilfreich sein können, um Ehepaare bei der Erfüllung ihres Kinderwunsches zu unterstützen. Es gibt aber auch eine Reihe von Methoden und Technologien, die man als sehr bedenklich und fragwürdig einstufen und von denen man deshalb abraten muss.
Frage: Und bei den Impfstoffen?
Fürst: Was die Frage der Impfstoffe angeht: Hier handelt es sich nicht um den engeren Bereich der verbrauchenden Embryonenforschung. Es wird dabei auf embryonale Stammzelllinien zurückgegriffen, die in ihrem Ursprung auf Stammzellen zurückgehen, die in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus abgetriebenen Föten entnommen wurden. Das ist ohne Zweifel ein ethisch fragwürdiges Verfahren. Wer jedoch heute vor der Entscheidung steht, sich mit einem solchen Vakzin impfen zu lassen, hat mit der ethisch problematischen Handlung, die am Anfang dieser Entwicklung steht, bestenfalls indirekt, passiv und sehr entfernt zu tun. Die päpstliche Akademie für das Leben und die römische Kongregation für die Glaubenslehre sind deshalb zu dem Schluss gekommen, dass die Entscheidung für die Impfung mit einem solchen Vakzin im Konfliktfall ethisch vertretbar ist. Aber noch einmal: Hier geht es nicht um eine Forschung, bei der fortlaufend menschliche Embryonen getötet werden.
Frage: Die deutschen Wissenschaftler fordern jetzt ein abgestuftes Schutzkonzept, das Embryonenforschung unter strenger Kontrolle in den ersten 14 Tagen ermöglicht. Begründet wird das auch mit einer "Ethik des Heilens", weil die daraus gewonnenen Erkenntnisse möglicherweise schweres Leid bei Kranken verhindern oder lindern können. Sind solche Abwägungen nicht sehr menschenfreundlich?
Fürst: Das wären sie, wenn dabei nicht zugleich menschliches Leben vernichtet würde. Ist man einmal zu der Erkenntnis gelangt, dass auch Embryonen menschliches Sein in Entwicklung sind, kann man ihr Leben nicht für medizinische oder Forschungszwecke instrumentalisieren.
Frage: Jedes Jahr entstehen in Deutschland viele Embryonen im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung, die von der biologischen Mutter nicht ausgetragen werden. Entweder können die sogenannten überzähligen Embryonen an andere Paare gespendet werden oder sie werden irgendwann vernichtet. Wäre es nicht besser, sie für hochrangige Forschungszwecke freizugeben, als sie zu vernichten?
Fürst: Dass es im Rahmen der Fertilitätsmedizin zur Erzeugung von Embryonen kommt, die dann keine Chance mehr haben, implantiert und ausgetragen zu werden, ist an sich ein erhebliches ethisches Problem. Die Lösung dieser Problematik kann nicht darin liegen, diese Embryonen für Forschungszwecke freizugeben.
Frage: Die Wissenschaftsorganisationen argumentieren, dass in einem religiös neutralen und weltanschaulich immer pluraleren Staat religiös begründete Verbote der Embryonenforschung nicht mehr allgemeinverbindlich sein können. Paare müssten selber entscheiden dürfen, ob sie ihre eingefrorenen Embryonen für die Forschung freigeben. Was sagen Sie dazu?
Fürst: Dazu gibt es grundsätzlich zwei Aspekte anzumerken. Die Feststellung, dass der menschliche Embryo von allem Anfang an schutzwürdiges menschliches Leben ist, beruht zunächst einmal nicht auf religiösen Gedanken und Überlegungen. Auch der Schutz der Menschenwürde ist keine religiöse Sondermeinung, sondern die Grundlage unserer gesamten Rechts- und Gesellschaftsordnung. Das Bundesverfassungsgericht vertritt ja nicht irgendeine religiöse Meinung, wenn es sagt: "Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu; es ist nicht entscheidend, ob der Träger sich dieser Würde bewußt ist und sie selbst zu wahren weiß. Die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen." (BVerfG, Urteil vom 25. Februar 1975)
Ganz unabhängig davon bedeutet die Religionsneutralität des Staates aber auch nicht, dass religiöse Menschen sich mit ihren Überzeugungen nicht in den gesellschaftlichen Diskurs und in die politischen Debatten einbringen dürften. Ein Argument ist ja nicht schon deshalb abzulehnen, weil diejenigen, die es vorbringen, eine religiöse Grundüberzeugung haben.