"Hilferuf" an deutsche Bischöfe und Generalvikare

Betroffene äußern scharfe Kritik an kirchlichen Anerkennungsleistungen

Veröffentlicht am 29.06.2021 um 12:04 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Streit um die Arbeit der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen: Betroffenenvertreter äußern in einem "Hilferuf" an die deutschen Bischöfe und Generalvikare Kritik an der Arbeit der Kommission seit Anfang des Jahres. Sie fordern einen Stopp des aktuellen Verfahrens.

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Mitglieder des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz haben scharfe Kritik an der Arbeit der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) geäußert. In einem als "Hilferuf" formulierten Brief an die Bischöfe und Generalvikare der deutschen Diözesen, der katholisch.de vorliegt, berichten die Betroffenenvertreter Patrick Bauer und Jens Windel von Rückmeldungen Betroffener, die gekennzeichnet seien "von Enttäuschung über die Höhe der Anerkennung, von Ärger über die Bearbeitungsdauer und von Frustration über die Art der Kommunikation". Bauer und Windel rufen die Adressaten des Briefs dazu auf, das aktuelle Verfahren zur Anerkennung des Leids zu stoppen. Jetzt sei es noch möglich, das Verfahren zu verändern und zu beschleunigen, ohne zu viele Anträge erneut bearbeiten zu müssen.

Laut Bauer und Windel fehlt es den Betroffenen bei dem derzeitigen Anerkennungsverfahren an Empathie seitens der Kirche sowie an Transparenz und Gerechtigkeit; viele Rückmeldungen wirkten verstört und retraumatisiert. Die Bischöfe hätten im Rahmen ihrer Vollversammlung im vergangenen Herbst "große Hoffnungen auf eine wertschätzende und zeitnahe Anerkennung des Leids bei allen Betroffenen geweckt – auch Hoffnungen darauf, einen guten Schritt in Richtung Versöhnung gehen zu können, um endlich den inneren Frieden finden zu können", so die Betroffenenvertreter. Diese Hoffnungen seien wieder einmal zerstört worden.

Neues Verfahren wurde Anfang des Jahres etabliert

Das neue Verfahren zur Anerkennung des Leids Betroffener war Anfang des Jahres von den deutschen Bischöfen etabliert worden. Demnach sollen sich die Zahlungen, über deren Höhe die UKA unabhängig entscheidet, grundsätzlich an Urteilen staatlicher Gerichte zu Schmerzensgeldern orientieren. Daraus ergibt sich ein möglicher Leistungsrahmen von bis zu 50.000 Euro – ein Wert, der laut Bauer und Weidel bei bisherigen Bewilligungen aber nicht annährend erreicht wurde. Zusätzlich zu den Geldleistungen können Betroffene wie auch schon zuvor Kosten für Therapie- oder Paarberatung erstattet bekommen. Vor der Neuregelung zum Jahreswechsel erhielten Opfer durchschnittlich eine Zahlung von 5.000 Euro, in Härtefällen auch mehr.

Konkret bemängeln die Autoren in ihrem Brief die Art der Antragstellung, die für Betroffene bereits eine Retraumatisierung darstelle. Sie seien nicht in der Lage alles, was ihnen widerfahren sei, in aller Deutlichkeit widerzugeben. Dadurch sei eine umfängliche und angemessene Bewertung nicht möglich. "In den uns bekannten Fällen wurde durch die Entscheidung der UKA weder das tatsächlich erlittene Leid widergespiegelt noch eine genugtuende, wertschätzende Anerkennungsleistung erbracht", so Bauer und Windel. Auch das Versprechen, sich bei den Anerkennungsleistungen an den oberen Grenzen der staatlichen Rechtsprechung für Schmerzensgeld zu orientieren, werde ihrer Erfahrung nach nicht eingehalten.

Bild: ©picture-alliance / dpa/dpaweb / Arne Dedert (Archivbild)

Die deutschen Bischöfe hatten das neue Verfahren zur Anerkennung des Leids Anfang des Jahres etabliert.

Weiter bemängeln die Betroffenenvertreter die Kriterien, nach denen die UKA die Fälle zu bewerten habe, als "zu wenig transparent"; dadurch könne nicht nachvollzogen werden, wie eine solche Bewertung stattfinde. "Da viele der Täter verstorben sind und ihre Opfer daher von diesen keine Genugtuung oder Entschuldigung mehr erhalten können, bleibt nur diese Anerkennungsleistung als symbolische Genugtuung und Entschuldigung, die zu einer Befriedung führen kann. Bleibt diese aus, können Betroffene nie einen Abschluss ihrer Missbrauchsgeschichte finden", schreiben Bauer und Windel. Dies werde sich als Bumerang für die Kirche erweisen und zu keinem Ende der Missbrauchsdebatte führen. Zumal auch das Versprechen eines einheitlichen Verfahrens bei Bistümern und Orden so nicht eingehalten werde. Vielmehr erlebe man ein sehr unterschiedliches Vorgehen der Ansprechpersonen bei Bistümern und Orden.

Bauer und Windel beklagen zudem, dass die Verfahren bei der UKA zu lange dauerten. Seit Januar seien bei der Kommission rund 1.400 Anträge eingegangen – entschieden worden seien bisher aber nur etwa 150. Auch die jüngst beschlossene Aufstockung der Mitarbeiterzahl könne die Geschwindigkeit der Antragsbearbeitung maximal verdoppeln, sodass bis Ende mit etwa 450 Entscheidungen zu rechnen sei. Aus Sicht des Betroffenen bedeute dies, dass ein jetzt gestellter Antrag frühestens 2024 bearbeitet und entschieden werde. "Drei Jahre warten, drei Jahre hoffen und drei lange weitere Jahre seelische Belastung für einen zutiefst traumatisierten Menschen. Was das bedeutet, kann man nur erahnen", schreiben die Betroffenenvertreter.

Bischofskonferenz verteidigt das Anerkennungsverfahren

Die Deutsche Bischofskonferenz verteidigte am Dienstag auf Anfrage das Verfahren, das in Gesprächen mit Fachleuten aus Wissenschaft, Justiz und Fachpraxis erarbeitet worden sei. Es sei wichtig erschienen, ein Modell zu wählen, das die "sehr komplexen und unterschiedlichen Erlebnisse von Betroffenen" berücksichtige, erklärte Pressesprecher Matthias Kopp auf Anfrage. Hierzu zählten unter anderem die Art und Schwere der Tat, die persönlichen und wirtschaftlichen Folgen für den Betroffenen sowie mögliches institutionelles Versagen. Das Verfahren sehe eine Orientierung an der Praxis staatlicher Gerichte sowie hinsichtlich der Höhe als auch bei der einzelfallorientierten Entscheidung unter Berücksichtigung aller relevanten Informationen im jeweiligen Einzelfall vor.

Kopp verwies zudem auf eine Pressemitteilung der UKA von vergangener Woche und die darin angekündigte Aufstockung der Zahl der Mitarbeiter und zusätzlicher Mittel. Zur schnelleren Bearbeitung der bei der Kommission eintreffenden Anträge seien die Bischöfe der Bitte der UKA nach einer Verfahrenserleichterung und zusätzlichen Kapazitäten nachgekommen. "Diesen Neuerungen brauchen nun erst einmal etwas Zeit, um zu greifen", so Kopp. Auffällig ist, dass die UKA in ihrer Mitteilung lediglich von 1.136 eingegangenen Anträgen – und damit knapp 300 weniger als von Bauer und Weidel behauptet – berichtet hatte. (stz)