Von der Kirche zur Moschee: Warum Gotteshäuser die Religion wechseln
Sie ist ein Gebäude mit langer Geschichte, bemerkenswerter Architektur und hoher symbolischer Bedeutung: die Hagia Sophia in Istanbul. Als christliches Gotteshaus im sechsten Jahrhundert errichtet, erlangte sie aufgrund ihrer gigantischen Ausmaße und als Krönungskirche der byzantinischen Kaiser schnell weltweite Berühmtheit. Als Konstantinopel, für das sich später der Name Istanbul durchsetzte, 1453 von den Osmanen erobert wurde, machte sich der Wechsel der Religion der Machthaber auch in der Hagia Sophia bemerkbar: In dem symbolträchtigen Gotteshaus wurden nun nicht mehr die Evangelien verkündet, sondern der Koran rezitiert. Die Sophienkirche war zu einer Moschee geworden, wovon auch die weitgehende Entfernung oder Überdeckung der christlichen Darstellungen, Symbole und Fresken zeugt.
Viele orthodoxe Christen empfinden die Übernahme der Hagia Sophia durch den Islam bis heute als Schmach und fordern eine Rückgabe. Die Umwandlung der ehemaligen Kirche in ein Museum im Jahr 1934 unter der Regierung des türkischen Präsidenten Kemal Atatürk konnte die Situation etwas entspannen, da das Gotteshaus in dieser Zeit von keiner Religion genutzt wurde. Doch im Juli vergangenen Jahres ordnete Recep Tayyip Erdogan an, die Hagia Sophia wieder zu einer Moschee zu machen – ein weiterer Baustein der populistischen Religionspolitik des Staatspräsidenten, der sich eine Türkei wünscht, die weniger weltanschaulich neutral und mehr islamisch geprägt ist.
Gebetsorte wechseln in der Geschichte oft häufiger ihre Nutzer
Vertreter zahlreicher christlicher Konfessionen in aller Welt verurteilten diese Rückumwandlung der Sophienkirche in einen muslimischen Gebetsort. Papst Franziskus sagte, er empfinde "großen Schmerz" über die Entscheidung Erdogans und die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, warf dem autokratischen Politiker vor, die Hagia Sophia zu missbrauchen, um "Macht zu demonstrieren und Zwietracht zu säen". Der russisch-orthodoxe Patriarch von Moskau, Kyrill I., bezeichnete die Umwandlung sogar als "Strafe Gottes" für den in Istanbul ansässigen Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I.: Dieser hatte die Gründung einer selbstständigen orthodoxen Kirche in der Ukraine unterstützt, was Kyrill missfiel.
Auch wenn der Wechsel der Religion eines Gotteshauses oder einer Gebetsstätte für die Gläubigen – je nachdem, auf welcher Seite sie sich befinden – großen Schmerz oder Grund zur Freude bedeutet, aus Sicht der Religionswissenschaft stellt dieser Vorgang keine große Besonderheit dar. "Gebetsorte wechseln in Geschichte und Gegenwart häufiger ihre Nutzer, als man vielleicht erwarten würde", sagt Martin Radermacher von der Universität Bochum. Oft handele es sich dabei um pragmatische Gründe, etwa dem Bedarf an einer Gebetsstätte, so der promovierte Religionswissenschaftler. Aber Radermacher macht bei diesem Phänomen auch eine politische Motivation aus, wenn ein "Herrscher eine bestimmte Religion unterstützt und ihr die Gottesdiensträume anderer Religionen zuweist", wie etwa im Fall der Hagia Sophia.
Ein weiteres Beispiel für einen historischen Religionswechsel einer bedeutenden Gebetsstätte ist die Kathedralmoschee im andalusischen Córdoba. Allerdings verhält es sich bei der "Mezquita", wie das berühmte Gotteshaus unter Verwendung des spanischen Begriffs für "Moschee" schlicht genannt wird, im Vergleich mit der Hagia Sophia genau andersherum: Hier machten Christen einen muslimischen Gebetsort zu einer Kirche. 1236 eroberten die Spanier im Zuge der Reconquista die Stadt Córdoba, noch wenige Jahre zuvor der Sitz des gleichnamigen muslimischen Kalifats. Die Hauptmoschee wurde zur Bischofskirche unter dem Patronat der in den Himmel aufgenommenen Jungfrau Maria.
Die Mezquita ist mit einer Grundfläche von fast 24.000 m² einer der größten Sakralbauten der Welt und für ihre Gebetshalle bekannt, die ihr charakteristisches Aussehen durch die mehr als 850 Säulen mit den darüber liegenden Hufeisenbögen erhält. Die christlichen Eroberer wollten mit der Umwidmung der Moschee in eine Kirche ein Zeichen ihrer Macht setzen: Die ganze muslimische Welt sollte sehen, dass die Tage von Al-Andalus gezählt seien – auch wenn es noch mehr als 250 Jahre dauern sollte bis mit dem Fall Granadas 1492 die Präsenz des Islam auf der Iberischen Halbinsel vorbei war.
"Was ihr hier zerstört habt, gibt es sonst nirgendwo"
Zunächst wurde die Mezquita baulich kaum verändert, doch im 15. Jahrhundert kamen Pläne auf, ein gotisches Kirchenschiff mitten in die Gebetshalle hineinzusetzen. 1523 wurde schließlich mit dem Bau im Stil der spanischen Frührenaissance begonnen. Der Stadtrat von Córdoba hatte sich dagegen zwar energisch gewehrt, weil er das einmalige Ensemble muslimischer Baukunst erhalten wollte, doch da Kaiser Karl V. zu den Unterstützern des Vorhabens gehörte, wurde es schließlich doch umgesetzt. Eine Anekdote berichtet jedoch, dass der Herrscher aus dem Hause Habsburg daraufhin erstmals Córdoba besuchte und als er die Mezquita sah, ausrief: "Was ihr hier erbaut habt, hättet ihr an jedem beliebigen Ort tun können. Aber was ihr hier zerstört habt, gibt es sonst nirgendwo auf der Welt."
Die alleinige Nutzung der Kathedrale in Córdoba durch die Kirche ist heute umstritten. Regelmäßig werden wegen der islamischen Vergangenheit des Gotteshauses Forderungen laut, auch Muslimen in ihm einen Bereich zum Gebet zuzusprechen. Andere wünschen sich den Status eines Museums für die Mezquita, um den zahlreichen Touristen die bewegte Geschichte des Gebäudes näherzubringen und die Religionen miteinander zu versöhnen. Diesen Vorschlägen standen die Bischöfe von Córdoba stets ablehnend gegenüber. So auch der frühere Oberhirte Juan José Asenjo: 2006 verwies der Bischof darauf, dass an der Stelle der heutigen Kathedralmoschee zuvor eine westgotische Kirche gestanden habe, auf deren Fundamenten die Mezquita erbaut worden sei. Deshalb sei eine Rückkehr zu einer Nutzung des Gebäudes als Moschee nicht angebracht. Dieses historische Argument stellte auch eine der Motivationen der Reconquistadoren zur Umwidmung der Moschee in eine Kirche dar.
Heute ist aufgrund archäologischer Funde klar, dass sich an derselben Stelle in Córdoba zuvor ein römischer Tempel befunden hat. Das ist kein Einzelfall: Die Nutzung der Heiligtümer des römischen Imperiums durch das zur Staatsreligion aufgestiegene Christentum in der Spätantike erfolgte mit System im gesamten Reich. So zeigten Päpste und Bischöfe aller Welt, dass sie sich als Überwinder des Heidentums verstanden. Im Sinne des politisch aufgeladenen römischen Staats- und Kaiserkults stellte diese Übernahme eine große Machtdemonstration dar. Doch in einer Stadt wie Rom, in der Baumaterial und Platz knapp waren, sprachen auch praktische Gründe für die Nutzung von antiken Tempeln. Nach Ansicht von Religionswissenschaftler Radermacher erleichterte ein weiterer Umstand den rasch vor sich gehenden Glaubenswechsel römischer Tempel: Die Vorstellung eines "durch die Anwesenheit von Göttern geweihten Raumes" habe es sowohl in den antiken Religionen Roms und Griechenlands gegeben als auch bis heute in gewisser Weise im Katholizismus.
Das bekannteste Beispiel hierfür ist wohl das Pantheon. Der allen Göttern geweihte Tempel in der Hauptstadt des römischen Reichs stammt aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert. Seine Kuppel galt über tausend Jahre lang als größte der Welt. 609 wurde das weltbekannte Heiligtum in eine christliche Kirche umgewandelt, nachdem Kaiser Phokas es Papst Bonifaz IV. geschenkt hatte. Der Pontifex weihte das Pantheon der heiligen Jungfrau Maria und allen Märtyrern. Auf diese Weise griff er das Konzept der Verehrung möglichst vieler Heiliger an diesem Ort auf, das in der Tradition des allen Göttern geweihten Tempels stand. Der Umwandlung in eine Kirche ist es außerdem wohl zu verdanken, dass das Pantheon in der Gegenwart eines der am besten erhaltenen antiken Bauten Roms ist: Seine aktive Nutzung als Kirche verhinderte die Wiederverwendung der Baumaterialen für neue Gebäude. Heute ist das Gotteshaus eines der beliebtesten Ziele für Touristen in der Ewigen Stadt.
Nicht nur in Europa oder dem Nahen Osten ist das Phänomen des Religionswechsels von Gotteshäusern und "heiligen Orten" zu beobachten: Es kommt weltweit vor – und das bis heute. In Indien etwa legte Premierminister Narendra Modi im vergangenen Jahr den Grundstein für den Neubau eines Hindu-Tempels. Dahinter stecken politisches Kalkül und die bewusste Provokation der muslimischen Minderheit, denn das Gotteshaus wird auf den Ruinen einer in den 1990er-Jahren zerstörten Moschee in der Stadt Ayodhya errichtet. Es soll dem Gottkönig Rama geweiht werden, der nach hinduistischem Glauben vor etwa 7.000 Jahren an jener Stelle als Inkarnation der Gottheit Vishnu das Licht der Welt erblickte.
Tempel-Neubau als Provokation für muslimische Minderheit in Indien
Mit dem Neubau will Hindu-Nationalist Modi einen seit dem 16. Jahrhundert bestehenden religiösen Konflikt zwischen Islam und Hinduismus im Sinne seines Glaubens entscheiden. Damals hatten Muslime den antiken Rama-Tempel zerstört, um dort eine Moschee zu errichten. Über die Jahrhunderte eskalierte der Streit und gipfelte in der Zerstörung des muslimischen Gotteshauses durch einen Mob von 200.000 Hindus vor knapp 20 Jahren. 2019 gab ein Gericht schließlich grünes Licht für den Neubau des Rama-Tempels, sicherte Muslimen jedoch immerhin zu, in der Nähe eine Moschee errichten zu können – was in Indien große Proteste hervorrief.
Nach Ansicht Radermachers gehen die meisten Umnutzungen von Gotteshäusern heute jedoch "relativ unbemerkt über die Bühne", so etwa in Deutschland. Als Beispiele nennt er die Übernahme von katholischen oder evangelischen Kirchen, die aufgrund von rückläufigen Kirchenmitgliederzahlen an andere christliche Konfessionen verkauft werden, wie etwa Orthodoxe oder Freikirchler. Eine Ausnahme führt der Religionswissenschaftler jedoch an: "Soziale Konflikte, die dann oft auch medial ausgetragen werden, entstehen etwa, wenn katholische Kirchen in Moscheen umgewandelt werden." Auch wenn sich "die alte Gemeinde gegen die Umnutzung oder Profanierung" einer Kirche wehre, sei Unfrieden an der Tagesordnung. Denn oft sei "die lokale Identität mit einem bestimmten Gottesdienstraum verbunden" – und mit Sicherheit auch große Gefühle.