Forschung: Motivation für Klostereintritt hat sich gewandelt
Die Motivation für einen Klostereintritt hat sich im vergangenen Jahrhundert deutlich gewandelt. Bei dieser Entwicklung seien klare geschlechterspezifische Unterschiede zu beobachten, sagte die Historikerin Esther Vorburger-Bossart am Mittwoch in einem Interview mit dem Wissensmagazin "cogito" der Universität Luzern. Besonders für Frauen, die im weltlichen Bereich früher kaum Bildungschancen gehabt hätten, sei ein Klostereintritt eine attraktive Option gewesen. Dieser Anreiz aber habe durch die positive Entwicklung der gesellschaftlichen Stellung von Frauen ab den 1970er-Jahren an Bedeutung verloren, so Vorburger-Bossart.
Vorburger-Bossart ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungsprojekts "Lebensgeschichten von Benediktinerinnen und Benediktinern" der Universität Luzern. Ziel der Studie ist die Erschließung alltags-, geschlechter- und religionsgeschichtlicher Daten und die Sicherung von Informationen, die aufgrund der Altersstruktur der Klostergemeinschaften andernfalls in Vergessenheit geraten würden. Dazu sollen in 21 Klöstern in der Deutschschweiz und in benachbarten Gebieten rund 70 Einzelinterviews durchgeführt werden.
Klostergemeinschaften als "Spiegel der Gesellschaft"
In den bisher geführten Gesprächen habe sich gezeigt, wie vielschichtig sich allgemein-gesellschaftliche Entwicklungen auf das Ordensleben auswirkten, so Vorburger-Bossart. "Klöster sind Teil und gleichzeitig Spiegel der Gesellschaft. Weltliche Strömungen und Auswirkungen werden da abgebildet", sagte die Historikerin. Sei ein Klostereintritt zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark von ökonomischen Motiven und vom religiös assoziierten Umfeld geprägt gewesen, handle es sich heute um eine viel bewusstere Entscheidung: Die "Menschen suchen nach einer gemeinschaftlichen, einer religiös geregelten Lebensform, in der Spiritualität gelebt werden kann".
Auch ein verändertes Kirchen- und Menschenbild habe sich in den Klöstern bemerkbar gemacht. So sei mit der Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) das Individuum stärker gewichtet worden, "was innerhalb der Orden zuweilen zu Generationenkonflikten führte, weil die jungen Schwestern nun plötzlich eigene Wünsche und Ziele anbrachten", sagte Vorburger-Bossart. Insgesamt würden sich die Mitglieder weiblicher Gemeinschaften deutlich positiver über ihren Lebensweg im Kloster äußern als ihre männlichen Ordensgeschwister, die häufig angaben, dass sie heute eher nicht mehr ins Kloster eintreten würden.
Das Forschungsprojekt "Lebensgeschichten von Benediktinerinnen und Benediktinern" läuft noch bis zum Frühjahr 2023 und wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert. Es baut auf zwei vorausgehende Studien zum Thema "Diakonissen und Ordensschwestern im 20. Jahrhundert in der Schweiz" und "Religiöse Frauengemeinschaften in der Ostschweiz im 20. Jahrhundert" auf. (mfi)