Schweizer Oberhirte setzt auf Beteiligung der Jugend bei synodalem Prozess

Bischof Bonnemain: Werde im Bistum Chur nicht viel verändern können

Veröffentlicht am 28.07.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Chur ‐ Joseph Maria Bonnemain hat keine leichte Aufgabe: Als Bischof von Chur soll er die gespaltene Schweizer Diözese befrieden. Doch dazu bleiben ihm nur wenige Jahre bis zur Emeritierung. Im katholisch.de-Interview spricht Bonnemain über mögliche Reformen und den Einfluss des Opus Dei auf seine Arbeit.

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Im Februar wurde Joseph Maria Bonnemain zum Bischof von Chur ernannt, im März empfing der Schweizer mit katalanischen Wurzeln die Weihe. Seitdem ist es seine Aufgabe, das von Spannungen gezeichnete Bistum Chur zu einen. Im Interview erklärt Bonnemain, was er gegen die Polarisierungen tun möchte, warum er beim synodalen Prozess in seiner Diözese auf die Jugend setzt und weshalb er sich rasch zum Thema "Alte Messe" geäußert hat.

Frage: Herr Bischof, Sie haben als erster Schweizer Bischof eine Stellungnahme und eine Anweisung zum kürzlich erlassenen Motu proprio "Traditionis custodes" veröffentlicht, in dem Papst Franziskus die Feier der außerordentlichen Form des römischen Ritus neu geregelt hat. Ist bei diesem Thema Eile geboten?

Bonnemain: Sicherlich ist hier Eile notwendig, denn einige Gläubige waren verunsichert, ob am Sonntag nach der Veröffentlichung des Motu proprio die Messfeiern in der außerordentlichen Form stattfinden dürfen. Die betroffenen Gemeinden fragten sich, ob sie noch die gewohnten Kirchen in Anspruch nehmen dürfen. Diese und andere Unsicherheiten wollte ich im Voraus vermeiden.

Frage: Sie haben die Feier der "Alten Messe" für die Petrusbruderschaft weiterhin erlaubt. Andere Priester, die in der außerordentlichen Form feiern, müssten von Ihnen jedoch eine Erlaubnis erbitten. Warum dieses Vorgehen?

Bonnemain: Wir haben im Bistum Chur zwei Personalpfarreien für die außerordentliche Form, zu denen die Petrusbrüder gehören. Es war mein Anliegen, dass sie weiterhin die Messe feiern dürfen, bis wir im Dialog eine gute Lösung für alle gefunden haben. Alle anderen Priester müssen mir glaubwürdig erklären, aus welchem Grund sie in der außerordentlichen Form feiern wollen, etwa weil sie eine entsprechende Gemeinschaft betreuen. Ich brauche dafür nun einmal eine gute Begründung. Ich teile das Anliegen, das der Papst im Motu proprio ausdrückt: Bei der Messfeier darf es nicht darum gehen, das Zweite Vatikanische Konzil oder dessen Ekklesiologie infrage zu stellen oder die Einheit der Kirche in der jeweiligen Diözese zu gefährden. Diesen Fragen möchte ich gründlich nachgehen.

Frage: Aber sind nicht die Diversität in der Liturgie und die vielen in der Kirche gefeierten Riten im Grunde etwas Positives?

Bonnemain: Die verschiedenen Riten, die wir in der katholischen Kirche kennen und feiern, sind das eine. Aber hier geht es nicht um die Frage unterschiedlicher Riten, sondern der Form. Der Papst betont im Motu proprio, dass es einen einzigen römischen Ritus gibt. Wir müssen jedoch schauen, ob hinter der alten Form eine Gesinnung steckt, die die geltende kirchliche Lehre ablehnt. Aus diesem Grund habe ich "Traditionis custodes" bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung gewürdigt.

Frage: Haben Sie im Bistum Chur die Erfahrung gemacht, dass hinter der außerordentlichen Form eine bestimmte Gesinnung steckt?

Bonnemain: In den zwei bereits erwähnten Personalpfarreien nicht. Einzelne Personen stellen jedoch tatsächliches manches infrage – und das ist ein Problem, das wir lösen müssen.

Frage: Als Papst Franziskus Sie im Februar zum neuen Bischof von Chur ernannte, wurden Sie wegen ihres fortgeschrittenen Alters von 72 Jahren als "Übergangsbischof" für das Bistum bezeichnet…

Bonnemain: Ich hatte am Montag Geburtstag, inzwischen bin ich 73 Jahre alt. (lacht)

Frage: Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Aber teilen Sie die Einschätzung, ein Oberhirte für das Bistum Chur zu sein, der nur eine geringe Zeitspanne in seiner Diözese wirken wird?

Bonnemain: Was ist im Leben kein Übergang? Inzwischen habe ich gelernt, dass letztlich alles ein Provisorium ist. Aber natürlich ist mir bewusst, dass ich vielleicht nur fünf Jahre als Bischof in Chur wirken werde. Das ist eine kurze Zeit, besonders angesichts der vielen Anliegen in der Diözese. Ich versuche, meinen Beitrag zu leisten, auf dem mein Nachfolger irgendwann einmal aufbauen kann.

Joseph Bonnemain
Bild: ©picture alliance/KEYSTONE | ALEXANDRA WEY

Bischof Joseph Maria Bonnemain nach seiner Weihe und Amtseinsetzung am 19. März 2021 in der Kathedrale Mariä Himmelfahrt in Chur (Schweiz).

Frage: Sie haben die zahlreichen Anliegen im Bistum Chur angesprochen. Ihre Diözese ist seit vielen Jahren von Zerrüttung und Spannungen geprägt. Warum ist das Bistum Chur so schwer zu befrieden?

Bonnemain: Wir haben die gleichen Probleme wie in der Weltkirche, also seit Jahrzehnten eine Polarisierung in zwei Richtungen: Die einen sind überzeugt, man muss alles so beibehalten, wie es in früheren Zeiten war. Sie gehen davon aus, dass eine konsequente oder harte Linie im Glauben die Evangelisierung fördert. Die Gläubigen sollen sozusagen den reinen Wein der katholischen Lehre zu trinken bekommen. Die andere Position geht davon aus, dass die Kirche mitten in der Welt ist und den Auftrag hat, in der Gegenwart zu Christus zu führen. Sie wollen die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Zwischen diesen beiden ekklesiologischen Vorstellungen gibt es seit Jahrzehnten große Spannungen. Das ist nicht nur im Bistum Chur so.

Frage: Was wollen Sie gegen diese Polarisierung tun?

Bonnemain: Vor ein paar Monaten sagte Papst Franziskus, dass Krisen gut seien, da sie für eine Entwicklung sorgten und man durch die Bewältigung von Krisen lerne. Durch sie werden wir erfahrener und erwachsener. Aber Konflikte sind nach Ansicht des Papstes nicht gut, denn sie lähmen und blockieren. Mein Anliegen ist es, allen im Bistum klarzumachen, angefangen bei den Seelsorgenden, dass wir durch die langjährigen Polarisierungen und Lagerkämpfe eine Krise erleben, die dabei helfen kann, dass wir uns weiterentwickeln. Wir können durch sie etwa lernen, miteinander geschwisterlich umzugehen, oder, dass echter Dialog bedeutet, auch die Meinung des anderen zu schätzen und offen für sie zu sein. Verstehen wir die Vorgänge im Bistum als Krise, können wir etwas Positives daraus ziehen. Ist die Situation für uns aber ein Konflikt, sind wir alle gelähmt, unfruchtbar und können den Menschen die Frohe Botschaft nicht verkünden. Doch das ist als Kirche eigentlich unsere Hauptaufgabe.

Frage: Das ist eine sehr spirituelle Deutung des Zustands in Ihrer Diözese. Doch nun befinden Sie sich seit einigen Monaten als Bischof im Zentrum dieser Auseinandersetzungen. Beißen Sie sich daran die Zähne aus?

Bonnemain: Ich bin sehr präsent in den Pfarreien, bei den Gläubigen. In den vergangenen vier Monaten bin ich bereits in mehr als 40 Pfarreien des Bistums gewesen. Wenn ich versuche, die schlichte Botschaft des Evangeliums zu verkünden, schöpfen die Menschen Freude und Zuversicht. Ich spüre eine Bereitschaft, gemeinsam in eine Richtung zu gehen, was mir Hoffnung macht. Durch strukturelle Veränderungen, kluge Maßnahmen oder administrative Entscheidungen werde ich nicht viel verändern können. Aber ich kann dennoch einer großen Mehrheit unserer Gläubigen zeigen, dass Gott auf unserer Seite steht und das Evangelium das Plus für alle Menschen ist. In diese Richtung hoffe ich, vorangehen zu können.

„Jetzt bin ich Bischof einer Diözese und hier hat das Opus Dei nichts zu sagen.“

—  Zitat: Bischof Joseph Maria Bonnemain

Frage: Es stehen noch bedeutende Personalentscheidungen aus. Was ist Ihnen hierbei wichtig?

Bonnemain: Ich bin dabei, einen Bischofsrat zusammenzustellen, von dessen Mitgliedern ich nicht erwarte, dass alle so ticken wie ich. Aber alle sollten den Traum Gottes, bei den Menschen zu sein, mit mir teilen – so wie es der Papst einmal ausgedrückt hat. Ich habe schon einige Ernennungen getätigt und werde noch weitere Personalentscheidungen treffen. Aber ich habe mit den aktuellen Mitgliedern des Bischofsrats besprochen, dass wir zuerst eine externe Hilfe in Anspruch nehmen, um einen Organisationsentwicklungsprozess durchzuführen. Daran werden wir bei einer Klausur in einigen Wochen arbeiten.

Frage: Als Sie zum Bischof ernannt wurden, hat es Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass Sie Mitglied des Opus Dei sind. In den vergangenen Monaten haben Sie Aussagen gemacht, die als Distanzierungen von der Gemeinschaft verstanden werden können. Wie ist Ihre Beziehung zum Opus Dei?

Bonnemain: Meine Beziehung zum Opus Dei ist eine sehr persönliche. Mich spricht die Spiritualität der Gemeinschaft an, in der ich beheimatet bin – und dafür bin ich dankbar. Die Erfahrung des Charismas des Gründers der Gemeinschaft, dass die Welt ein Ort der Gottesbegegnung und Heiligung durch die Arbeit, das Familienleben, die Normalität ist, teile ich. Diese Sichtweise überzeugt mich und ist im Grunde ein Aspekt der Lehre des II. Vatikanums. Aber jetzt bin ich Bischof einer Diözese und hier hat das Opus Dei nichts zu sagen. Es würde sich sowieso nie einmischen in die Leitung des Bistums. Das eine ist also die Spiritualität, die mich trägt, und das andere ist das konkrete Leben als Verantwortlicher einer Diözese.

Frage: In Deutschland werden im derzeitigen Bundestagswahlkampf dem CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet Beziehungen zum Opus Dei nachgesagt. Versucht die Gemeinschaft hier Einfluss auf einen Politiker zu nehmen?

Bonnemain: Die konkrete Konstellation in diesem Zusammenhang kenne ich nicht und ich weiß auch nicht, wie Armin Laschet persönlich wirklich zum Opus Dei steht. Aber generell gilt, ein Mitglied der Gemeinschaft ist ein normaler Christ, der in großer Eigenverantwortung handelt. Auch die politischen Entscheidungen, die er eventuell trifft, sind keine Entscheidungen des Opus Dei, sondern eigene Handlungen aufgrund der persönlichen Überzeugungen oder Erfahrungen. Es muss festgehalten werden: Das Opus Dei hat einem Politiker, der Anhänger der Gemeinschaft ist, nichts zu sagen.

Bild: ©mlehmann78/Fotolia.com

Die Stadt Chur im Schweizer Kanton Graubünden mit der Kathedrale links im Bild.

Frage: In dieser Woche wurde bekannt, dass der Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz, Erwin Tanner-Tiziani, an die Spitze von Missio Schweiz wechselt. Welche Qualitäten muss sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin mitbringen?

Bonnemain: Der neue Generalsekretär muss selbstverständlich ein guter Organisator sein, der für das gesamte Personal der Bischofskonferenz verantwortlich ist. Er sollte auch Theologe sein, denn wir sind nicht einfach nur eine Firma, die einen Manager braucht, sondern unser Hauptauftrag ist die Verkündigung des Evangeliums. In gewisser Weise trägt der Generalsekretär diese Verantwortung gemeinsam mit den Bischöfen, dafür braucht er nicht unbedingt ein Kleriker zu sein. Ich würde es begrüßen, wenn es wieder ein Laie und gerne auch eine Frau wird. Aber ausschlaggebend sind weder das Geschlecht noch die Ausbildung, sondern die Bereitschaft, dem Hauptanliegen der Kirche zu dienen: der Verkündigung des Glaubens.

Frage: Wäre die Ernennung einer Frau als Generalsekretärin aber nicht ein wichtiges Zeichen?

Bonnemain: Auf jeden Fall, das wäre es. Aber dafür müssen wir die geeignete Frau auch finden.

Frage: In Deutschland gibt es den Synodalen Weg, der kirchliche Reformen voranbringen soll. Die Schweizer Bischöfe haben sich gegen ein solches Format entschieden. Wie blicken Sie auf den Synodalen Weg im Nachbarland?

Bonnemain: Ich habe aus den Medien erfahren, dass der Synodale Weg nicht reibungslos vorangeht. Aber natürlich hat das alles eine Wendung genommen, als der Papst im Hinblick auf die Bischofssynode 2023 einen synodalen Weg für die gesamte Weltkirche angeordnet hat. Vielleicht kann das Stottern des Synodalen Wegs in Deutschland dadurch überwunden werden. Bei uns in der Schweiz haben wir vor anderthalb Jahren einen Weg als Erneuerung für die gesamte Schweiz eröffnet. In unserem Land gibt es drei verschiedene Kulturen: die französischsprachigen Kantone, das Tessin und die deutschsprachigen Teile der Schweiz. Das sind drei unterschiedliche Mentalitäten und auch Verständnisse von gelebtem Glauben, wenn ich das so sagen darf. Deshalb wurde entschieden, dass wir keinen gemeinsamen synodalen Prozess wagen, sondern jede Diözese einen eigenen "Weg der Erneuerung" geht.

Frage: Und, wie läuft der Prozess bisher?

Bonnemain: Seit anderthalb Jahren versucht jede Diözese, diese Erneuerung so zu verwirklichen, wie es vor Ort am besten geht. Nun kam vom Papst die Anregung, von Oktober bis Mai auf Bistumsebene die Weltbischofssynode 2023 mitzugestalten. Wir arbeiten daran. Ich habe für meine Diözese Chur entschieden, dass Mitte Oktober die diözesane Etappe in Einsiedeln eröffnet wird. Dazu habe ich alle Firmlinge des Bistums eingeladen. Das sind sicher einige Tausende. Ich möchte den synodalen Weg in unserer Diözese mit den Jugendlichen beginnen. Ich hoffe, dass die Frische und die Dynamik der Jugendlichen alle anderen Bereiche des Bistums beeinflussen können. Nach dem Treffen im Oktober sollen weitere Begegnungen mit den Jugendlichen stattfinden, aus denen eventuell ein Jugendrat entsteht, der zum Beratungsorgan des Bischofs werden könnte. Sie sollen die Diözese partizipativ gemeinsam mit mir leiten. Ich möchte nicht, dass die Synode über Synodalität am Ende nur ein Ereignis von vielen ist, das keine Spuren hinterlässt. Es soll, wie der Papst sagt, ein dauerhafter Prozess sein.

Frage: In den synodalen Prozess werden aber doch auch Vertreter der Gläubigen und der Kleriker eingebunden werden…

Bonnemain: Das wird nach und nach passieren. Aber ich möchte, dass wir mit den Jugendlichen starten, die mich danach beraten werden, wie wir alle anderen ins Boot holen. Die Ergebnisse der Diözesen sollen ab Ende Oktober in der Bischofskonferenz für die Ebene der Schweiz zusammengetragen werden, damit die zweite Phase des vom Papst initiierten Prozesses beginnen kann.

Von Roland Müller