Hinter Liturgiestreit stecken andere Motive

Stuflesser: Würde eines Gottesdienstes hängt nicht von Messform ab

Veröffentlicht am 16.08.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Würzburg ‐ Ob eine Messe würdig ist, hat mit der Messform nichts zu tun, sagt der Würzburger Liturgiewissenschaftler Martin Stuflesser im katholisch.de-Interview. Vielmehr komme es auf die konkrete Gestaltung an – und den richtigen Vergleich bei der Betrachtung des Ritus.

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Das Motu proprio "Traditionis custodes" von Papst Franziskus schlägt immer noch Wellen. In dem Erlass, der die Möglichkeit zur Feier der Messe nach den Messbüchern von 1962 und damit vor der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) deutlich einschränkt, sehen Anhänger der vorkonziliaren Messform einen Affront – nicht zuletzt weil sie die vorgeblich "alte" Messe als würdiger empfinden. Der Würzburger Liturgiewissenschaftler Martin Stuflesser spricht im Interview über die Würde einer Gottesdienstfeier – und andere Motive hinter dem Liturgiestreit.

Frage: Herr Stuflesser, Anhänger der vorkonziliaren Messe kritisieren an der heute gültigen Messform, sie wäre verwässert und nicht würdig genug. Können Sie das nachvollziehen?

Stuflesser: Nein, denn es kommt darauf an, welche Formen man vergleicht. Wenn Sie sich eine Pontifikalliturgie im Mainzer Dom angucken, dann ist das würdig und festlich und hat allen Pomp, den man sich vorstellen kann – das kann mit jeder vorkonziliaren Messe mithalten. Dagegen ist die Stille Messe, also die schlichte Form der gelesenen Messe vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, kurz, schnörkellos und verzichtet auf jeglichen Pomp. Natürlich kann man eine vorkonziliare Pontifikalmesse neben einen heutigen Werktags- oder Kindergottesdienst stellen – aber das hieße dann Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Wenn man auf dem gleichen Level bleibt, gilt das Argument der Würde oder Festlichkeit nicht. Denn niemand würde bestreiten, dass ein heutiger Papstgottesdienst eine angemessene, festliche Liturgie ist – gleiches gilt für die meisten Kathedralgottesdienste. Das ist im Endeffekt aber auch immer eine Frage des persönlichen Geschmacks, und da kann man ohnehin nicht diskutieren.

Frage: Welche Gestaltungsmöglichkeiten bietet denn die momentane Messform – von ganz locker bis ganz feierlich?

Stuflesser: Wenn man sich an das hält, was im Messbuch steht und diese Liturgie entsprechend entfaltet mit allen gesungenen, gesprochenen und gebeteten Bestandteilen feiernd vollzieht – dann entsteht eine würdige Feier, die nichts Banales hat. Sie legt ganz im Gegenteil den Fokus auf das, worum es inhaltlich geht, so ja auch der Wunsch des Konzils: die Feier von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi.

Niemand wird daran gehindert, in einer normalen Sonntagsmesse unterschiedliche liturgische Dienste einzusetzen: also Kantor*innen, Lektor*innen, evtl. einen Chor, viele Ministrant*innen, eine festliche Konzelebration ist ebenso möglich, wie die Mitwirkung eines Diakons. Grundsätzlich kann die Feier der Liturgie also so festlich entfaltet werden – oder den örtlichen pastoralen Gegebenheiten angepasst. Da gibt es an der Basis die volle Breite der Möglichkeiten: Von sehr feierlich gefeierten Messen in kleinen Dorfkirchen bis zur lieblos herunter geleierten Liturgie in Stadtpfarrkirchen ist alles dabei.

Wie liebevoll oder lieblos gefeiert wird, hat nichts mit der nachkonziliaren liturgischen Form zu tun. Die Liturgiekonstitution "Sacrosanctum concilium" macht hier ja deutliche Vorgaben, ebenso die Allgemeine Einführung in das Messbuch – wer sich dann aber daran nicht hält, arbeitet ja gerade gegen die Intention des Konzils.

Frage: Wenn Anhänger der vorkonziliaren Form einbezogen werden sollen, kann man denn einen nachkonziliaren Gottesdienst daraufhin ausrichten? Also etwa ad orientem oder auf Latein feiern?

Stuflesser: Latein ist als Liturgiesprache nie abgeschafft worden, es gibt bis heute Gemeinden, die an Hochfesten lateinische Hochämter feiern. Die Zelebrationsrichtung kommt in den Konzilsdokumenten nicht vor. In den Instruktionen nach der Reform wird festgehalten, dass der Altar von der Wand weggerückt und umschreitbar sein soll – von der Zelebrationsrichtung ist da keine Rede. Die Liturgiesprache wie die Zelebrationsrichtung taugen also nicht zur Unterscheidung zwischen vor- und nachkonziliaren Messen.

Bild: ©Privat

Martin Stuflesser ist Professor für Liturgiewissenschaft und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Würzburg. Er ist Priester des Bistums Mainz und Berater der Liturgiekommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Frage: Was denn dann?

Stuflesser: In meiner Gemeinde feiern wir in einer sogenannten "orientierten Versammlung" zwar ad orientem, aber circumstantes, also als eine Gemeinschaft der Gläubigen, die sich um das liturgische Geschehen versammelt. Der Clou ist das Paradigma der tätigen Teilnahme, dass die Gemeinde also ein konstitutiver Teil des Messgeschehens ist und nicht nur außenstehender, stummer Zuschauer (SC 48). Das war bis zur Liturgiereform aber Standard. Hinter dieses Paradigma des Zweiten Vatikanischen Konzils können wir nicht zurück. Die Alternative ist also nicht ad orientem oder versus populum, sondern die Prämisse muss sein, dass sich die Gemeinde in tätiger Teilnahme (SC 14) um das Wort des Herrn und um den Altar versammelt, wo das Kreuzesopfer Christi gegenwärtig wird. Es kann gemäß der Liturgiekonstitution nicht sein, dass die Gemeinde in ein Rosenkranzgebet versinkt oder eine Messandacht betet, während der Klerus vorne unverständliche Formeln vor sich hinmurmelt. Schon Papst Pius X. (1835-1914 hat gesagt: "Das Volk soll nicht parallel zur Messe beten, sondern es soll die Messe beten." Das war die große Errungenschaft etwa der liturgischen Bewegung in Deutschland, dass die Menschen keine Parallelaktionen zur Feier der Liturgie vollführen und nicht verstehen, was vorne am Altar passiert, sondern die Liturgie mitgebetet haben, etwa durch zweisprachige Messbücher. Hinter diesen liturgietheologischen Standard können wir auf keinen Fall zurückfallen – egal in welcher Messform.

Frage: Was bedeutet das für die Form?

Stuflesser: Ich glaube, dass es phänotypisch möglich wäre, eine nachkonziliare Liturgie am barocken Hochaltar als lateinisches Hochamt zu feiern, mit Gregorianischem Choral und allen traditionellen Bestandteilen einer solchen Feier, sodass manchen Anhängern der vorkonziliaren Form vermutlich nicht einmal auffallen würde, dass sie sich in einer Messe im bislang so bezeichneten "ordentlichen Usus" des römischen Ritus befinden.

Umgekehrt hat sich aber auch die heutige Feier der vorkonziliaren Form in der Wahrnehmung verändert: Wenn etwa ein Priester, wie ich es erlebt habe, darauf besteht, in der vorkonziliaren Messfeier ein Mikrofon auf den Altar zu stellen, damit beim Hochgebet auch "alle verstehen, was ich sage". Das ist ein Messverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils wie aus dem Bilderbuch – vor dem Konzil war das akustische Verstehen der Gemeinde doch relativ egal.

Bild: ©picture alliance/Stefano Spaziani

Papst Franziskus hat mit dem Motu proprio "Traditionis custodes" die Feier der Messe nach den messbüchern von 1962 deutlich eingeschränkt.

Frage: Was wäre denn nach "Traditionis custodes" nicht mehr möglich?

Stufflesser: Das neue Motu proprio schränkt die Verwendung des Missale Romanum von 1962 gegenüber den Bestimmungen von "Summorum pontificum" (2007) deutlich ein, das ist Fachkonsens. Es darf also nun nicht mehr jeder Priester für sich entscheiden, was er feiert – das war allerdings auch nicht die Intention von Benedikt XVI. Im Begleitschreiben zu "Summorum pontificum" ist die Rede von einem pastoralen Bedarf, auf den reagiert werden sollte, der Papst wollte aber keinen Bedarf schaffen. Der damalige Papst hat eine seelsorgliche Entscheidung getroffen, weil er denjenigen Gläubigen entgegenkommen wollte, die sich mit der Umsetzung der Liturgiereform in manchen Bereichen schwertun. Dass dadurch zum Teil auf einmal vorkonziliare Liturgien dort angeboten wurden, wo es sie zuvor nie gab und auch nicht, wie von Benedikt XVI. gefordert, bereits eine vorhandene stabile Gruppe existierte, war sicher nicht im Sinne des Erfinders. Von daher war es sinnvoll, dass bereits Benedikt XVI. anregte, die Auswirkungen seines Motu proprio zu evaluieren. Und das Ergebnis sei, schreibt Papst Franziskus, dass es durch "Summorum pontificum" zu liturgischen Grabenkriegen gekommen ist – und es dabei aber nicht nur um die Liturgie geht. Es geht vielmehr um das Kirchenbild, die Ekklesiologie und das Amtsverständnis, wobei sich manche gegen das Zweite Vatikanische Konzil stellen. Dieser Streit wird dann auf liturgischen Nebenkriegsschauplätzen ausgetragen. Manchen Anhängern der vorkonziliaren Liturgie geht es nicht um die Liturgie, denen passt der gesamte Kurs von Papst Franziskus nicht. Da muss es dem Papst als Inhaber des höchstem Lehramts erlaubt sein, solches a) festzustellen und b) entsprechend darauf zu reagieren.

Frage: Aber das gilt ja nicht für alle – manche mögen einfach nur diese Feierform. Was kann man denen anbieten?

Stuflesser: Ich denke, man könnte die momentane Situation wesentlich entkrampfen, wenn in größeren Städten, wo es ohnehin eine Vielzahl und Bandbreite an Gottesdienstmöglichkeiten gibt, auch ein Angebot für ein nach dem nachkonziliaren Messbuch gefeiertes lateinisches Hochamt gib, das sich an alle textlichen und rubrikalen Vorgaben hält, wo Gregorianischer Choral gesungen oder Orchestermessen gepflegt werden, also mit "smells and bells", wie das im Englischen so schön heißt. Wenn es so ein klassisches lateinisches Hochamt als mehr oder weniger flächendeckendes Angebot neben allen anderen Gottesdienstformaten eben auch gäbe, würde dass die aktuellen Auseinandersetzungen vermutlich schon mit zu befrieden helfen.

Von Christoph Paul Hartmann