Erster "Jahrgang" soll im Oktober beginnen

Passauer "Jüngerschaftsschule": Gott und sich selbst kennenlernen

Veröffentlicht am 17.08.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Passau ‐ Das Projekt des Bistums Passau, eine "Jüngerschaftsschule" aufzubauen, hat für Aufsehen gesorgt: Junge Menschen zwischen 19 und 30 Jahren sollen "in die Schule Jesu" gehen können. Im katholisch.de-Interview erklärt Andrea Schwemmer aus dem Vorbereitungsteam, was das konkret heißt.

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Am 4. Oktober soll für bis zu zwölf junge Menschen die "Jüngerschaftsschule" in Passau beginnen. Derzeit wird das neue "Home" am Domplatz dafür umgebaut. Andrea Schwemmer (34) ist Teil des sogenannten "Start-up-Teams", das die Vorbereitungen begleitet. Im Interview spricht sie darüber, was es mit dem Projekt auf sich hat – und wie sie die Kritik daran sieht. 

Frage: Frau Schwemmer, was ist – in wenigen Grundzügen – das Anliegen der "Jüngerschaftsschule"?

Schwemmer: Der Ausgangspunkt war zunächst die Frage, wie heute jungen Menschen der Glaube neu vermittelt werden kann. Heutzutage ist ein christlicher Lebensstil gerade für junge Menschen nicht unbedingt die plausibelste unter den vielen Möglichkeiten, wie sie ihr Leben gestalten können. Es ist auch nicht unbedingt die erste Antwort auf die Frage, wie ihr Leben gelingen kann. Das Anliegen ist deshalb, mit diesem Haus einen weiteren Baustein zu setzen, um miteinander zu lernen, wie der christliche Glaube heute gelebt und neu vermittelt werden kann.

Frage: Und wie soll das konkret geschehen?

Schwemmer: Es wird verschiedene Ausbildungsprogramme geben. Das soll mit der Zeit wachsen. Beginnen werden wir mit der sogenannten "J9", einem neunmonatigen Programm für 18- bis 30-Jährige. Das Vorbild für das Haus ist in Salzburg. Dort haben sie den Slogan "Jüngerschaft rund um den Küchentisch". Es geht in erster Linie darum, Jesus besser kennenzulernen und von ihm zu lernen. Die drei Bereiche, wie das im Haus vermittelt wird, sind Lehre, Gebet und Dienst am Nächsten – also die drei Grundvollzüge der Kirche. Und wesentlich für das "Home" ist, dass junge Leute gemeinsam auf dem Weg der Nachfolge unterwegs sind. Also in Gemeinschaft – rund um den Küchentisch.

Frage: Sind Sie auch offen für Gäste von außen?

Schwemmer: Neben einem öffentlichen Gebetsraum wird im Erdgeschoss des Hauses auch ein Bistro betrieben werden – quasi als öffentlicher "Küchentisch". Dort können Begegnungen zwischen den Bewohnern und den Gästen stattfinden und vor allem Gespräche über Gott und die Welt möglich sein. Und es soll zugleich auch eines unserer karitativen Projekte sein, denn dort zahlt man, was man kann. Das soll auch Leuten die Möglichkeit geben, an einem sehr schönen Ort gut essen gehen zu können, die sich das sonst nicht leisten könnten. Und im karitativen Bereich haben wir bereits seit mehreren Monaten einen weiteren "Küchentisch": Wir bieten gemeinsam mit der Katholischen Studentengemeinde in Passau jeden Sonntagnachmittag das sogenannte "Sonntagsmahl" an für Menschen in herausfordernden Lebenssituationen wie Armut, Sucht, Einsamkeit, Krankheit. Mit sehr leckerem Essen, schönem Ambiente, guten Gesprächen und auch mit einer kurzen Gebetszeit.

Frage: Gehen die Teilnehmer auch raus, um mit den Menschen auf der Straße ins Gespräch zu kommen?

Schwemmer: Es wird verschiedene Projekte und Initiativen in der Stadt geben wie zum Beispiel das erwähnte "Sonntagsmahl", bei denen die Teilnehmer rausgehen und sich engagieren. Wir gehen auch in die Pfarreien, die rund um den Domplatz sind, damit viel Austausch und Begegnung stattfinden kann.

Andrea Schwemmer
Bild: ©Privat

"Unser Wunsch ist, dass die Teilnehmer die Schätze unseres katholischen Glaubens entdecken und sprachfähig werden, anderen davon zu erzählen", sagt Andrea Schwemmer. Die 34-Jährige ist Teil des sogenannten "Start-up-Teams", das die Vorbereitungen der Passauer "Jüngerschaftsschule" begleitet.

Frage: Die jungen Leute sollen zu "Jüngern" geschult werden. Was genau wird ihnen da beigebracht?

Schwemmer: Jüngerschaft ist das Modell, das Jesus gewählt und vorgelebt hat. Es geht um Gemeinschaft mit ihm und den anderen Jüngern. Gott besser kennenlernen, sich selber besser kennenlernen und aneinander wachsen, einander und anderen dienen – das sind wesentliche Lernfelder in der Jüngerschaftsschule. Ein wichtiges Stichwort dabei ist "Identität". Im "Home" wird ein Aspekt davon in den Blick genommen, der der Tiefste von allen ist: Es geht um das Bewusstsein und die existenzielle Erfahrung, ein geliebtes Kind Gottes zu sein. Wenn es im "Home" gelingt, jungen Menschen in diese Erfahrung hineinzuhelfen, dann ist sehr viel passiert. Ein Mensch, der innerlich in Gott zu Hause ist, geht anders durch die Welt. Wer eine innere Heimat hat, kann frei und gelassen in die Welt gehen und sich mit Hingabe einbringen – weil er weiß, dass er selbst getragen ist.

Frage: Wie wird ein Tag in der Jüngerschaftsschule ablaufen?

Schwemmer: Morgens wird gemeinsam gebetet und dabei werden verschiedene Gebetsformen ausprobiert und eingeübt, um mit der Zeit die jeweils eigene "Sprache mit Gott" finden zu können. Vormittags gibt es Vorträge und am Nachmittag wird das Gelernte praktisch vertieft, durch Workshops oder bei karitativen Projekten. Abends gibt es die Möglichkeit, in die Heilige Messe zu gehen und danach zum Beispiel Zeiten in Kleingruppen oder gemeinsame sogenannte "Kaminabende", an denen die jungen Leute den Referenten des Tages persönlicher kennenlernen können oder man Themen, die in der Gruppe auftauchen, besprechen kann.

Frage: Wie wird die theologische Schulung der Teilnehmer aussehen?

Schwemmer: Uns ist wichtig, dass die Teilnehmer sowohl auf der kognitiven als auch auf der emotionalen Ebene lernen, und dass sie das Gehörte und auch ihre eigene Lebenserfahrung reflektieren. Die Vorträge werden deshalb nicht nur reine Wissensvermittlung sein, sondern es wird viel anhand der Bibel und persönlichen Zeugnissen vermittelt. Unser Wunsch ist, dass die Teilnehmer die Schätze unseres katholischen Glaubens entdecken und sprachfähig werden, anderen davon zu erzählen.

Frage: Sie haben es bereits angesprochen: Sie orientieren sich bei Ihrem Konzept an der Einrichtung, die es bereits in Salzburg gibt und von der Loretto-Gemeinschaft betrieben wird. Welche Früchte hat das dort bisher getragen?

Schwemmer: Ich kenne viele von dort persönlich. Für sie war es eine sehr prägende Zeit, in der sie sich und Gott besser kennengelernt haben und danach mehr wussten, wo ihre Talente liegen oder wie sie sich in Kirche und Gesellschaft einbringen möchten. Vor Corona haben sie sich über die Jüngerschaftsprogramme hinaus auch sehr in die lokale Kirche vor Ort investiert. Während der Lockdown-Zeiten lag der Schwerpunkt auf den Online-Angeboten, über die sie auch über die Stadtgrenzen von Salzburg hinaus viele Menschen erreichen konnten und ihnen "Kirche im Kleinen" ermöglichten. Aber mehr als irgendwelche Zahlen und Reichweiten sprechen für mich die jungen Leute, die ich kennenlernen durfte und deren Leben sich dort verändert hat.

Das Haus der Jüngerschaftsschule in Passau wird umgebaut
Bild: ©Nina Körber

Das Haus der Jüngerschaftsschule in Passau wird derzeit umgebaut. Ab Mitte September ist der Einzug geplant, am 4. Oktober soll dann der erste "Jahrgang" der "Jüngerschaftsschule" beginnen.

Frage: Von ein paar Seiten gibt es die Kritik oder die Befürchtung, durch dieses Projekt würde man eine Art christliches Elite-Bewusstsein fördern. Was entgegnen Sie dem?

Schwemmer: Wenn Sie junge Menschen im "Home" Salzburg kennenlernen, dann bestätigen die eher das Gegenteil: Erfahrungen mit dem Kern des christlichen Glaubens führen in die größere Freiheit, nicht in die größere, womöglich elitäre oder sektenartige Enge und Abgeschlossenheit. Jesus hat Menschen um sich gesammelt – und das war keine sehr elitäre Gruppe. Wir wollen auch keine elitäre Gruppe bilden.

Frage: Kritik gab es auch an der Gebühr: Das Wohnen und Leben im "Home" soll 700 Euro im Monat kosten. Was soll also jemand tun, der mitmachen will, aber die finanziellen Mittel nicht hat?

Schwemmer: Viele junge Leute nehmen sich nach der Schule oder nach dem Studium ein Jahr "Auszeit" – sei es für Reisen oder ein soziales Engagement im Ausland. Das kostet alles Geld. Und ich kenne viele, die sich das selbst nicht finanzieren konnten und deswegen in ihrer Familie, im Freundes- und Verwandtenkreis, in der Pfarrei oder im Verein davon erzählt haben, was sie vorhaben und dafür um finanzielle Unterstützung gebeten haben. Das Geld ist sicherlich für fast alle Jugendlichen, die sich für unsere Jüngerschaftsschule interessieren, ein Thema. Aber ich habe schon von vielen erstaunlichen Geschichten gehört, wo Menschen auf Leute gestoßen sind, die sie unterstützen. Und man darf nicht vergessen: In den 700 Euro sind das Wohnen in einem frisch renovierten, sehr schönen Haus mitten am Domplatz in der Passauer Altstadt, jedes Essen, alle Schulungen, die Referenten und Ausflüge miteingeschlossen.

Außerdem ist es so, dass die Mitarbeiter ihr Gehalt auch durch Spenden finanzieren und sich dafür Partner suchen. Das sind noch etwas höhere Beträge pro Monat. Und auch da zeigt sich schon jetzt die Erfahrung, dass viele Menschen uns unterstützen. Für den Anfang gibt es zwar eine Anschubfinanzierung vom Bischöflichen Stuhl, um das Gehalt für die erste Zeit zu decken, aber mittel- und langfristig werden wir uns nur über Spenden und unsere Einnahmen, etwa durch das Bistro, finanzieren. Das heißt, wir bekommen auch keine Mittel aus der Kirchensteuer.

In Salzburg haben ein paar Mitarbeiter so viele Partner, dass sie damit nicht nur ihr Gehalt abdecken können, sondern auch einen kleinen Fonds gegründet haben. Der Fonds ist vor allem für junge Leute, die nach der "J9" im "Home" bleiben wollen, um dort zum Beispiel neben dem Studium zu arbeiten. Ich würde mich sehr freuen, wenn so etwas auch bei uns entstehen könnte und wir damit den jungen Leuten unter die Arme greifen können.

Frage: Können Sie verstehen, dass manche in der Kirche Projekten wie einer "Jüngerschaftsschule" eher kritisch gegenüberstehen?

Schwemmer: Wenn wir das Haus Exerzitienhaus nennen würden, gäbe es wahrscheinlich weniger Bedenken, sondern es wäre ganz klar, dass wir versuchen, einen Ort zu bieten, an dem Menschen, die eine Sehnsucht nach Vertiefung im Glauben haben, dieser Sehnsucht nachgehen können. Vielleicht ist die "J9" vergleichbar mit langen Exerzitien. Ich kann versichern: Wir hinterfragen das Konzept und unsere Arbeit auch selbst kritisch und sind uns natürlich bewusst, dass wir erst noch Lernende sind.

Frage: Sie starten nun mit dem neunmonatigen Modell. Gibt es schon Ideen für weitere Angebote?

Schwemmer: Wir denken da vor allem an kürzere Programme für Leute, die arbeiten und nicht neun Monate am Stück Zeit haben. Da wäre die Idee, im Sommer für drei Wochen ein Programm anzubieten oder auch Formate für einzelne Wochenenden. Dann wollen wir uns auch im Bistum einbringen und verschiedene Projekte unterstützen. Es gib jetzt schon konkrete Anfragen im Hinblick auf die Firmvorbereitung. Aber das darf sich mit der Zeit noch entwickeln. Jetzt müssen wir erst mal anfangen.

Von Matthias Altmann