Bälgetreter, Glöckner und Hundepeitscher: Vergessene Kirchenberufe
Bälgetreter
Das Orgelspielen im Gottesdienst war früher ein richtiger Knochenjob – nicht unbedingt für den Organisten, sondern vor allem für den Bälgetreter (nach dem lateinischen calcare, was treten bedeutet, auch Kalkant genannt). Denn dieser war für die Luftversorgung des Instruments zuständig. Große Orgeln benötigten zum Teil zehn oder mehr Bälgetreter, die mit Händen, Füßen und ihrem gesamten Körpergewicht dafür sorgten, dass die "Königin der Instrumente" klingen konnte.
Sollte der Bälgetreter seine Arbeit beginnen, konnte der Organist ihn mit dem sogenannten Kalkantenruf darauf aufmerksam machen. Dabei handelte es sich um einen Registerzug, der eine kleine Klingel in der Nähe der Balganlage läutete.
Im Laufe der Jahrhunderte erübrigte sich die schweißtreibende Arbeit der Bälgetreter aber nach und nach, denn seit auch die Kirchengebäude an das Stromnetz angeschlossen sind, wurde ihre Arbeit durch elektrische Ventilatoren ersetzt, die mittlerweile fast geräuschlos arbeiten. Bei Restaurierungen historischer Balganlagen werden diese heute aber oft nicht mit einem Gebläse, sondern mit Balgaufzugsmaschinen versehen, die versuchen, den originalen Klang zu wahren. Sie betätigen die Balge abwechselnd, so wie einst der Bälgetreter. Denn diese Form der "atmenden Orgel" wird von Musikliebhabern nach wie vor geschätzt.
Buchmaler
Bücher waren jahrhundertelang ein extrem kostbares Gut, da sie vor allem in Klöstern einzeln und per Hand abgeschrieben werden mussten. Dieser hohe Wert spiegelte sich auch in der Illustration wider: Mit Gold, Silber und teuren Farben wurden beispielsweise Bibeln und religiöse Bücher verziert. Zuständig dafür waren Buchmaler, die die Schriften mit Ornamenten, Bildern und Initialen verziert haben. Von der Spätantike bis zur Renaissance war die Buchmalerei eine der bedeutendsten Kunstgattungen.
Doch mit der Entwicklung des Buchdrucks und der Druckgrafik ab dem 15. Jahrhundert nahm die Bedeutung der Buchmaler immer weiter ab. Bücher konnten nun schneller vervielfältigt werden. Im 19. Jahrhundert wurde das Buch dann ein Massenprodukt, das sich jeder leisten konnte. Heutige Illustrationen in Büchern werden in der Regel nicht mehr zur Buchmalerei gezählt.
Lange Zeit galt die Buchmalerei übrigens als eine Männerdomäne – doch ein Knochenfund aus einem Kloster bei Paderborn stellt dies seit Kurzem infrage: Denn ein internationales Forscherteam konnte 2019 anhand von Farbpigmenten im Zahnstein einer um das Jahr 1000 gestorbenen Frau nachweisen, dass Ordensfrauen bereits im Frühmittelalter an der Herstellung religiöser Bücher mitgewirkt haben. Der Fund zeigt auch: Selbst in kleineren Konventen in abgelegenen Regionen Deutschlands gab es eine rege Buchproduktion.
Glockenbeier
Das Beiern ist eine besondere Form des Glockenspiels, die sehr viel Kraft und Gefühl verlangt. Deshalb wurde diese besonders festliche Art des Glockenläutens nur an herausgehobenen Festtagen im Kirchenjahr oder zur Untermalung von Prozessionen praktiziert. Dazu wurden die Glocken an ihrer Achse blockiert, sodass sie nicht frei schwingen können. Die Klöppel wurden kurz vor dem Glockenrand mit Seilen festgespannt und konnten mithilfe von Seilzügen manuell mit Hand und Fuß angeschlagen werden – entweder nach einer örtlich vorgegebenen Melodie oder frei improvisiert. Teilweise wurden die Seile an einem Spieltisch zusammengeführt, von dem aus die Beiermänner die Melodien spielen konnten. Auch andere Schlaghilfen wie Holzhämmer kamen zum Einsatz.
Während der Klöppel den Glockenring beim normalen Läuten nur leicht anschlägt, wird die Glocke beim Beiern durchaus auch härter gespielt. Manchmal wird nicht nur der dickere Schlagring der Glocke angeschlagen, sondern auch die Glockenwand, die darüber liegt und empfindlicher ist. So lässt sich einerseits eine andere Tonhöhe erzeugen, andererseits kann diese Form des Spiels die Glocken beschädigen. Der Begriff "Beiern" hat dabei nichts mit dem Bundesland Bayern zu tun – wo der Brauch auch nicht verbreitet war. Das Wort leitet sich vielmehr vom altfranzösischen Begriff "baier" ab, was soviel wie "bellen" bedeutet.
Im Nordwesten Europas hat das Beiern eine sehr lange Tradition. Älteste Belege im Rheinland reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück. Noch heute wird an einigen Orten gebeiert, in vielen Orten ist der Brauch allerdings im Laufe der Jahre eingeschlafen.
Glöckner
Der bekannteste Glöckner ist wahrscheinlich Quasimodo aus dem 1831 erschienenen Roman "Notre-Dame de Paris" ("Der Glöckner von Notre-Dame") von Victor Hugo. Doch nicht nur im Roman, auch im echten Leben war Glöckner ein Beruf. Seine Aufgabe ist denkbar schnell beschrieben: Er soll die Kirchenglocken einer Kirche zur richtigen Zeit läuten. So einfach dies klingt, so anstrengend war diese Angelegenheit bei großen Kirchenglocken aber mitunter, denn bis in die Neuzeit war hierfür Muskelkraft erforderlich. Bis zu 16 Männer soll es beispielweise gebraucht haben, um die berühmte, über 11 Tonnen schwere "Gloriosa" im Erfurter Dom zum Klingen zu bringen. Und auch sonst hatte die Arbeit als Glöckner mitunter körperliche Auswirkungen: Viele Glöckner sollen im Laufe ihres Lebens durch den lauten Glockenklang ertaubt sein.
Im Laufe der Zeit wurde zunächst der Stundenschlag automatisiert und schließlich das Glockenläuten insgesamt. Heute wird die Aufgabe des Glöckners meist von Küstern wahrgenommen und geschieht nicht mehr über das Ziehen eines Glockenseils, sondern über eine elektronische Steuerung, die manuell oder automatisch bedient wird.
Hundepeitscher
Dieser Beruf klingt nicht nur brutal, er war es auch in weiten Teilen. Denn die Aufgabe des Hundepeitschers war es, Hunde aus den Kirchen zu vertreiben. Grundsätzlich waren Hunde bei Gottesdiensten in der Vergangenheit zwar erlaubt, es war allerdings üblich, bellende und störende Hunde zu entfernen und dafür zu sorgen, dass der Gottesdienst in Ruhe weitergeführt werden konnte. Dies war die Aufgabe des Hundepeitschers. Dazu wurden die Kirchenmitarbeiter mit einer drei Fuß langen Peitsche und einer Zange ausgestattet, mit der die störenden Tiere entfernt werden konnten. Außerdem sollten die Hundepeitscher Streuner abwehren und auch andere Tiere davon abhalten, beispielsweise das eucharistische Brot zu stehlen.
Später übernahmen Hundepeitscher auch andere Aufgaben. In Kirchen, die sich nicht mehrere Angestellte leisten konnten, weckten sie durch Anstupsen beispielsweise angetrunkene Gottesdienstbesucher mit einem Stock. Und auch außerhalb der Kirchen wurden Hundepeitscher eingesetzt, um sich um streunende und störende Tiere in der ganzen Stadt zu kümmern. Somit waren sie in gewisser Weise Vorgänger der heutigen Tierkontrollbeamten.
Belegt ist der Beruf des Hundespeitschers vor allem in England, aber auch in anderen Teilen Europas zwischen dem 16. Und 19. Jahrhundert. Ab Ende des 18. Jahrhunderts gab es allerdings immer weniger Hundepeitscher in den Kirchen. Ein Grund dafür dürfte sein, dass Tiere in den Gotteshäusern zunehmend unerwünscht waren.