"In unserem Kulturkreis seit Jahrhunderten üblich"

Protest gegen "unnötiges Gebimmel": Pfarrer verteidigt Glockenläuten

Veröffentlicht am 10.09.2021 um 12:35 Uhr – Lesedauer: 

Wiesbaden ‐ Immer wieder sorgt Glockengeläut für Streit. In Wiesbaden hat ein Pfarrer auf eine anonyme Beschwerde über das "unnötige Gebimmel" seiner Kirchenglocken nun mit einem Offenen Brief geantwortet – der stößt auf viel Resonanz.

  • Teilen:

Der Pfarrer der Wiesbadener Evangelischen Johanneskirchengemeinde, Stephan Da Re, hat mit einer Antwort auf eine anonyme Beschwerde zum Glockenläuten seiner Kirche einen Nerv getroffen. Ein Tweet des Pfarrers mit einem Foto der Beschwerde und seiner Antwort hat seit Mittwoch mehrere Tausend Reaktionen erhalten. Der mit "Einer von vielen genervten Nachbarn" gezeichnete Beschwerdebrief beklagte sich über das "tagtägliche unnötige Gebimmel" zwischen 18.55 und 19 Uhr. Zu dieser Zeit finde kein Gottesdienst statt, daher gebe es dafür keinen Grund. Babys und ältere Menschen würden sich erschrecken. "Wir sind keine Kirchengegner, aber das gibt es sonst in keiner Kirche und es nervt gewaltig", heißt es in dem Brief.

Da Re erläuterte das Abendläuten als Stundengeläut, wie es "in unserem Kulturkreis" seit Jahrhunderten üblich sei. "Als Christen erinnern wir daran, wem wir unser Leben verdanken, und welche Verantwortung sich daraus ableitet. Die Glocken erinnern daran, dass die vergehende Zeit von Gott geschenkte Zeit ist", so Da Re weiter. Das Geläut der Johanneskirche gehe in das abendliche Geläut der katholischen Kirche St. Michael über, "so dass sich ein Glockenband über den Stadtteil legt". Für viele Kinder sei es ein Hinweis, vom Spielen nach Hause zu gehen. In dem auf der Webseite der Gemeinde und als Aushang veröffentlichten Schreiben erläutert der Pfarrer die Läuteordnung seiner Gemeinde. "Das Glockengeläut ist Hinweisgeber, Einladung zum Gebet und Verkündigung gleichermaßen und nicht ohne Grund gesetzlich geschützt", betont Da Re.

Sakrales Läuten besonders geschützt

Immer wieder kommt es zu Konflikten um das traditionelle Glockenläuten. Dabei wird unterschieden zwischen dem sakralen oder liturgischen Läuten aus religiösen Gründen und dem Zeitschlag, bei dem lediglich die Uhrzeit durch die Glocken mitgeteilt wird. Das Läuten aus religiösen Gründen ist durch das Grundrecht auf Religionsfreiheit besonders geschützt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in mehreren Verfahren festgestellt, dass liturgisches Glockengeläut "im herkömmlichen Rahmen regelmäßig keine erhebliche Belästigung, sondern eine zumutbare, sozialadäquate Einrichtung" darstelle. Dennoch müsse auf die Zumutbarkeit des Läutens geachtet werden, insbesondere mit Blick auf "die Lautstärke und Lästigkeit des Einzelgeräuschs".

In der katholischen Kirche ist es vielerorts neben dem Glockenläuten vor dem Gottesdienst und dem Läuten bei der Wandlung in der Eucharistiefeier auch unabhängig von Gottesdiensten üblich, dreimal täglich zum Angelusgebet zu läuten, in der Regel um 6, 12 und 18 Uhr. Daneben gibt es in den verschiedenen christlichen Kirchen unterschiedliche Bräuche und Läuteordnungen, die das religiöse Glockenläuten bestimmen. (fxn)