Ein Gastbeitrag des ökumenischen Arbeitskreises "Tiwis – Tiere und wir"

Warum wir eine andere Sprache über Tiere brauchen

Veröffentlicht am 12.09.2021 um 12:04 Uhr – Lesedauer: 
Debatte

Wiesbaden ‐ "Mastschwein" oder "Legehenne": Ist die Art und Weise, wie Tiere in der Sprache behandelt werden, gerechtfertigt? Ruth Kaiser und Monika Hoffmann vom ökumenischen Arbeitskreis "Tiwis – Tiere und wir" plädieren für weniger Instrumentalisierung und mehr franziskanische Geschwisterlichkeit.

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Schön reden und schönreden – kennen Sie den Unterschied? Getrennt schreibt man dann, wenn die Art und Weise zu reden schön ist. Zusammenschreibung ist richtig, wenn schön sich auf das Ergebnis der Handlung bezieht, wenn also eine Sache, die an und für sich nicht schön ist, im Reden schön wird. Letzteres kann als Bewältigungsstrategie hilfreich sein, denn es macht Unangenehmes annehmbar, Unerträgliches erträglich. Es ist jedoch gefährlich, wenn es im großen Stil, systematisch und gewohnheitsmäßig geschieht. Denn dann lässt es Unrecht unbehelligt fortbestehen. Und damit wären wir bei den Tieren beziehungsweise unserem Umgang mit ihnen.

Leitprinzip bei der Rede über die Tiere ist die Abgrenzung vom Menschen. Evolutionsgeschichtlich ist die Grenzmauer zwischen Tier und Mensch zwar längst gefallen: Menschen und andere Primaten haben gemeinsame Vorfahren; erst über lange Zeiträume und in mehreren Stufen hat sich der Mensch herausgebildet. Trotzdem: Horcht man unbefangen in die Alltagssprache hinein, dann könnte man denken, Menschen und Tiere seien aus komplett unterschiedlichem Material gestrickt. Menschen sind Lebewesen mit unantastbarer Würde; Tiere sind Sachen, die vom Menschen aus definiert und disponiert werden. Zu dieser Vorstellung hat das Christentum wesentlich beigetragen. Deshalb lohnt es sich gerade für Christinnen und Christen, an vier Stationen Halt zu machen und nachzudenken: erstens bei der traditionellen christlichen Lehre über die Tiere, zweitens bei der Sprache über Tiere, drittens bei der Wirkung unseres Sprachgebrauchs und viertens bei den Chancen einer Wende.

Da, um dem Menschen zu dienen?

Zur traditionellen christlichen Lehre über die Tiere: Sie greift aus der griechischen Philosophie das Kriterium der Vernunft auf. Tiere haben kein Vernunftvermögen, also auch keine Vernunft- beziehungsweise Geistseele. Allein diese Geistseele jedoch ist ewigkeitsfähig. Sie existiert weiter, wenn der Körper vergeht. Tiere sind rein körperlich. Sie sind da, solange sie da sind – das war's. Und wozu sind sie da? Sie sind da, um dem Menschen zu dienen. Die gerechteste Anordnung des Schöpfers, so der Kirchenvater Augustinus, habe ihr Leben und Sterben unserem Nutzen angepasst. Thomas von Aquin bestärkt diesen Aspekt der Nutzbarkeit. Für ihn ist es Teil der natürlichen Ordnung, dass das Unvollkommene in den Gebrauch des Vollkommenen eingeht: Die Pflanzen benutzen die Erde als Nahrung, die Tiere die Pflanzen, der Mensch schließlich Pflanzen und Tiere.

Ein Fresko zeigt den Kirchenlehrer Augustinus
Bild: ©adobestock/Renáta Sedmáková

Ein Fresko zeigt den heiligen Kirchenvater Augustinus. Das Fresko befindet sich in der Kuppel der Basilika Maria Ausiliatrice.

Der Gedanke der zum Menschen hin gesteigerten Vollkommenheit ist schließlich schnurstracks in den Katechismus (342) eingezogen. Demnach ist der Mensch der Gipfel des Schöpfungswerkes (343). Entsprechend heißt es in den Ausführungen zum siebten Gebot – Achtung der Menschen und ihrer Güter – in Absatz 2417: "Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt, den er nach seinem Bild geschaffen hat [Vgl. Gen 2, 19-20; 9,1-14]. Somit darf man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen. Man darf sie zähmen, um sie dem Menschen bei der Arbeit und in der Freizeit dienstbar zu machen. Medizinische und wissenschaftliche Tierversuche sind in vernünftigen Grenzen sittlich zulässig, weil sie dazu beitragen, menschliches Leben zu heilen und zu retten." Die "Herrschaft des Menschen", die im biblischen Schöpfungsbericht als Fürsorgeauftrag gemeint ist, wird hier (und schon lange vorher) als Lizenz zur Nutzung ausgelegt. Kein Wunder, dass sich kaum jemand etwas dabei denkt, wenn von "Nutztieren" die Rede ist – als seien diese Tiere eigens dazu geboren, dem Menschen zu nutzen. So hat es über Jahrhunderte hinweg die Kirche gelehrt und die von ihr geprägte Kultur gelebt. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt: Es hat immer auch abweichende Stimmen gegeben.

Zur Sprache über die Tiere: Die so genannten Nutztiere machen 60 Prozent aller Säugetiere auf der Erde aus, vier Prozent sind wild lebende Tiere, die restlichen 36 Prozent sind wir, das Säugetier Mensch. Dem Namen nach sind "Nutztiere" unverhohlen auf ihren Nutzen festgelegt. So lebt die Legehenne, um Eier zu legen, das Mastschwein, um gemästet zu werden, die Milchkuh, um dem Menschen (und nicht etwa ihrem Kälbchen) Milch zu geben, der Lastesel, um Lasten zu tragen, das Rennpferd, um Rennen zu gewinnen, das Versuchstier, um Versuche auszuhalten. Ein Selbstzweck wird diesen Tieren nicht zuerkannt. Den nimmt der Mensch allein für sich in Anspruch: Jeder Mensch existiert um seiner selbst willen, nicht um irgendeinen Fremdzweck zu erfüllen, etwa um als Arbeitskraft, Organlager oder Gebärmaschine zu dienen. Der Selbstzweck begründet die Würde des Menschen, so wie sie bei uns im Grundgesetz festgeschrieben ist. Die Sau im Kastenstand dagegen wird mit Würde schlicht nicht in Verbindung gebracht. Aus den eigentlich verwandten Lebewesen wird ein regelrechtes Gegensatzpaar. Das zeigen nicht zuletzt die abgeleiteten Adjektive: „menschlich“ ist positiv konnotiert, „tierisch“ überwiegend negativ. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache gibt zwei Bedeutungen an: erstens "die Tiere betreffend" und zweitens "nicht dem Wesen, der Würde des Menschen entsprechend, wie ein Tier". Da ist sie wieder, die den Tieren verweigerte Würde.

Konstruierte Andersartigkeit

Die konstruierte Andersartigkeit von Tier und Mensch wird sprachlich durchgezogen, von der pränatalen Phase bis über den Tod hinaus. Nehmen wir als Beispiel wieder die Sau: Sie ist trächtig; Frauen sind schwanger. Die Sau wirft ihre Ferkel; die Frau gebiert ihr Kind. Die Sau säugt ihre Jungen; die Frau stillt ihr Baby. Die Sau frisst und säuft; der Mensch isst und trinkt. Die Sau verendet oder krepiert; der Mensch stirbt oder scheidet dahin. Der tote Körper der Sau gilt als Kadaver, der eines Menschen ist ein Leichnam. Viel wahrscheinlicher als ein natürlicher Tod ist jedoch, dass die Sau vorzeitig geschlachtet wird. Dann ist die Rede von Fleisch. Aus christlicher Perspektive kommt noch eine weitere und wesentliche Stufe hinzu: Der Mensch geht nach dem Tod seiner Vollendung entgegen; die Sau dagegen endet im Nichts. Der Himmel ist ihr verschlossen. 

Zur Wirkung des Sprachgebrauchs: Er lässt trotz aller faktisch vorhandenen Gemeinsamkeiten Tiere so anders erscheinen, dass wir für sie unweigerlich andere Maßstäbe anlegen. Allein die konstruierte Andersartigkeit ermöglicht es uns, mit der Sau so zu verfahren, wie wir es tun beziehungsweise durch unser Konsumverhalten zulassen. Im schlimmsten Fall sieht das so aus: Wir sperren sie in einen Kastenstand, in dem sie sich weder ausstrecken noch drehen kann. Wir versagen ihr die Vorbereitung auf die Geburt, nämlich den Nestbau. Wir versagen ihr den Sozialkontakt mit ihren Kindern. Diese können durch Gitterstäbe ihre Zitzen erreichen – mehr nicht. Nach rund vier Wochen werden die Kleinen der Mutter ganz weggenommen und in die Turbomast gegeben. Mit nur sechs bis sieben Monaten werden sie geschlachtet, und das bei einer natürlichen Lebenserwartung von rund zwanzig Jahren. Es sind Kinder, die im Grauen des Schlachthauses abgeliefert werden. Für die Mutter geht der Zyklus – wohlgemerkt: der Produktionszyklus, nicht der natürliche Zyklus – von vorne los. Nach rund drei Jahren, wenn ihre Fruchtbarkeit nachlässt, wird auch sie mit Schlägen und Tritten auf einen Transporter getrieben und zur gewaltsamen Tötung gebracht. Dass wir das alles so hinnehmen, dass wir uns gut und bequem damit eingerichtet haben, das ist mit ein Verdienst der Sprache. Ein klassischer Fall von Schönreden.

Linktipp: Dürfen wir als Christen guten Gewissens Fleisch essen?

Fleisch und seine Herstellung rücken in den Fokus der öffentlichen Diskussion. Tierwohl und Klimawandel sind Schlagworte, die die Gemüter schnell erhitzen. Der Moraltheologe Martin Lintner widmet sich dem Thema Fleischkonsum und seinen ökologischen, politischen und ethischen Fragen.

Zu den Chancen einer Wende: Dass wir uns über lange Zeit entgegen besserem Wissen unseren Umgang mit Tieren schöngeredet haben, hat zur jetzigen Misere beigetragen: zur Umweltzerstörung, zum Klimawandel, zum Welthunger, zu den weltweiten Fluchtbewegungen. Das System Mensch gegen Tier und den Rest der Schöpfung funktioniert nicht mehr. Also ist es an der Zeit, aus dem Schönreden schönes Reden machen: ein Reden, das Fehler eingesteht und die Wahrheit sagt. Zur Wahrheit gehört, dass Menschen eben nicht die Königinnen und Könige der Schöpfung sind, denen der Rest der Welt zu dienen hat. Nicht menschliches Leben existiert nicht um des menschlichen Lebens willen, sondern um seiner selbst willen. Es hat einen Eigenwert. Das könnten wir honorieren, indem wir Nutztiere einfach Tiere sein lassen, Legehennen Hennen, Mastschweine Schweine. Lassen wir den Filter des menschlichen Nutzens weg, dann erzählen wir wie von selbst andere Geschichten. Und unsere Kinder und Kindeskinder, die diese Geschichten hören, können sich dann umso leichter auf ein anderes und besseres Miteinander mit den Tieren einlassen.

Zur Wahrheit gehört auch, dass Mensch und Tier kein Gegensatzpaar sind, sondern Verwandte mit vielen Gemeinsamkeiten. Deren oberste ist: Jedes Leben hängt an seinem Leben. Keine Kuh geht zum Metzger, und kein Schwein ist jemals schlachtreif. Alle wollen leben. Ins Schlachthaus werden sie gezerrt, gestoßen oder geprügelt. Franz von Assisi führt die Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Tieren noch weiter aus: "Alle Geschöpfe der Erde fühlen wie wir, alle Geschöpfe streben nach Glück wie wir. Alle Geschöpfe der Erde lieben, leiden und sterben wie wir, also sind sie uns gleich gestellte Werke des allmächtigen Schöpfers – unsere Brüder." Das könnten wir honorieren, indem wir geschwisterlich auf die Tiere schauen und so auch von ihnen reden. Menschen und Tiere sind dann kein Gegensatz mehr, sondern eine Gemeinschaft: Menschen und andere Tiere, Menschen und Mitgeschöpfe. Wenn wir diesen Gedanken in uns tragen, dann fällt es uns vielleicht leichter, die Verbindung zu sehen zwischen dem Fleisch auf dem Teller und dem individuellen Tier, das dafür sein Leben lassen musste. Vielleicht motiviert es uns, aktiv mitzuwirken an einer neuen und gerechteren Form des Zusammenlebens. Wenn unsere Kirche sich für solches Denken öffnet, dann kann sie glaubhaft sein in ihrer Zuwendung zu Unterdrückten und Ausgegrenzten. Solange sie die Ärmsten von den Armen ausschließt, ist sie es nicht. Doch gerade jetzt, da so vieles im Umbruch ist, tut sich die Chance zu einer Wende auf: Danach wird niemand außen vor gelassen auf dem Weg ins Gottesreich; dann sind alle Geschöpfe – wirklich alle – zusammen unterwegs.

Von Monika Hoffmann und Ruth Kaiser

Die Autorinnen

Monika Hoffmann und Ruth Kaiser sind die Mitbegründerinnen des ökumenischen Arbeitskreises "Tiwis – Tiere und wir" in St. Bonifatius Wiesbaden.