Woelki bleibt – mit Auszeit: So begründet der Vatikan die Entscheidung
Papst Franziskus belässt Kardinal Rainer Maria Woelki im Amt und verordnet ihm eine mehrmonatige Bedenkzeit, während der Weihbischof Rolf Steinhäuser das Erzbistum Köln als Apostolischer Administrator führen wird. Auch die beiden Weihbischöfe Ansgar Puff und Dominikus Schwaderlapp bleiben im Amt, wie die Apostolische Nuntiatur am Freitag mitteilte. Es habe sich kein Hinweis darauf ergeben, dass der Kardinal sich im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs rechtswidrig verhalten habe. Das Zurückhalten der ersten Missbrauchsstudie stelle keine Vertuschung dar. Dagegen wird ausdrücklich die "Entschlossenheit des Erzbischofs, die Verbrechen des Missbrauchs in der Kirche aufzuarbeiten, sich den Betroffenen zuzuwenden und Prävention zu fördern", gewürdigt.
In der Kommunikation habe Woelki jedoch "große Fehler" gemacht. Das habe wesentlich dazu beigetragen, dass es im Erzbistum zu einer "Vertrauenskrise" gekommen sei. Da es offenkundig sei, dass "Erzbischof und Erzbistum eine Zeit des Innehaltens, der Erneuerung und Versöhnung" bedürfen, habe der Papst Woelki auf dessen Wunsch hin eine "geistliche Auszeit" gewährt, die von Mitte Oktober bis zur Fastenzeit dauern solle. Bis dahin werde Weihbischof Steinhäuser als Apostolischer Administrator das Erzbistum leiten.
In einem ersten öffentlichen Statement im Garten des Bischöflichen Hauses zeigte sich der Kardinal selbstkritisch. "Natürlich habe ich Fehler gemacht bei der Aufarbeitung, ich habe Fehler gemacht bei der Kommunikation. Dafür übernehme ich Verantwortung. Das tut mir leid, das bedauere ich." Von Betroffenen sei ihm mitgeteilt worden, dass sie dadurch retraumatisiert worden seien. Woelki bedauerte die Vertrauenskrise in seiner Diözese, "insbesondere mit Blick auf die Menschen, die es verletzt hat, die in Blick auf ihren Glauben verstört sind und Zweifel bekommen haben". Der Gedanke einer längeren Auszeit sei schon länger in ihm gereift, so Woelki, Franziskus habe das Vorhaben begrüßt und zugestimmt. Wo und wie er diese Auszeit verbringen werde, werde sich erst noch zeigen. Auf die Frage einer Journalistin, wie er nach seiner Amtszeit das Vertrauen der Gläubigen wiedergewinnen werde, antwortete der Kardinal nicht und zog sich zurück.
Weihbischöfe bleiben im Amt, Steinhäuser übernimmt während der Auszeit
Die Weihbischöfe Schwaderlapp und Puff bleiben ebenfalls im Amt. Zwar seien bei ihnen "vereinzelt Mängel in der Behandlung von Verfahren festzustellen, nicht aber die Intention, Missbrauch zu vertuschen oder Betroffene zu ignorieren". Puff werde seinen Dienst unmittelbar wieder aufnehmen, Schwaderlapp habe darum gebeten, ein Jahr als Seelsorger in der kenianischen Erzdiözese Mombasa zu arbeiten. Er erhoffe sich davon "innere Reifung und Erneuerung und eine Vertiefung meiner priesterlichen und bischöflichen Berufung", so Schwaderlapp laut der Pressestelle des Erzbistums. Puff sagte der Meldung zufolge, er wisse, dass er Fehler gemacht habe und bitte dafür um Vergebung.
Der während der Auszeit Woelkis zum Apostolischen Administrator "sede plena" bestellte Steinhäuser ist seit 2015 im Amt und wird durch die Missbrauchsstudie nicht belastet. Er ist Bischofsvikar für Ökumene und interreligiösen Dialog sowie für die Ausbildung der Ständigen Diakone, im Bistum ist er für den Pastoralbezirk Mitte zuständig, zu dem auch die Bischofsstadt Köln gehört. Ein Administrator wird "sede plena", das heißt "bei ausgefülltem (Bischofs-)Stuhl", bestellt, wenn der eigentliche Bischof sein Amt nicht ausüben kann. Während des Amtierens ruht die Amtsgewalt von Diözesanbischof und Generalvikar, der Administrator darf jedoch keine Maßnahmen gegen den Bischof, den Generalvikar oder deren vorige Amtsführung ausüben.
Bereits vor der offiziellen Mitteilung berichteten die "Zeit" und der "Kölner Stadt-Anzeiger" (KStA) am Freitagvormittag unter Berufung auf römische Quellen von der Entscheidung. Nach Informationen des KStA sei im Vatikan auch eine Ablösung Woelkis durchgespielt und ein Personaltableau für eine kommissarische Bistumsleitung zusammengestellt worden. In der vergangenen Woche reiste der Kardinal überraschend nach Rom, an der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in dieser Woche nahm er regulär teil und wurde auch in seinem Amt als Vorsitzender der Wissenschaftskommission bestätigt. Bei der Abschlusspressekonferenz hatte der Vorsitzende der DBK, Bischof Georg Bätzing, am Donnerstag noch mitgeteilt, dass ihm noch keine Entscheidung bekannt sei.
Papst Franziskus hatte Ende Mai eine Apostolische Visitation des Erzbistums Köln angeordnet und damit den Stockholmer Kardinal Anders Arborelius sowie Johannes van den Hende, Bischof von Rotterdam und Vorsitzender der Niederländischen Bischofskonferenz, beauftragt. Die Visitatoren hatten die Aufgabe, sich ein Bild der "komplexen pastoralen Situation" im Erzbistum zu machen und eventuelles Fehlverhalten von Woelki, des heutigen Hamburger Erzbischofs Stefan Heße und der beiden Kölner Weihbischöfe Schwaderlapp und Puff im Umgang mit Fällen von sexualisierter Gewalt zu untersuchen. Bereits Mitte Juni hatten Arborelius und van den Hende die Visitation abgeschlossen. Ihr Bericht wurde im August fertiggestellt. Zu den Inhalten ist bisher über die Mitteilung der Nuntiatur hinaus nichts bekannt.
Unterschiedlich belastete Bischöfe
Der gebürtige Kölner Rainer Maria Woelki ist seit 2014 Erzbischof von Köln. Zuvor war er Erzbischof von Berlin (ab 2011) und Weihbischof in Köln (2003). Von 1990 bis 1997 war er Erzbischöflicher Kaplan und Geheimsekretär von Kardinal Meisner. In der Bischofskonferenz gilt Woelki als Vertreter des konservativen Flügels und Kritiker des Synodalen Wegs. Die Situation im Erzbistum Köln hatte sich in den vergangenen Monaten zunehmend zugespitzt, nachdem Ende Oktober 2020 ein erstes Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) nicht veröffentlicht wurde. Ein daraufhin beauftragtes weiteres Gutachten der Kanzlei Gercke und Wollschläger attestierte Woelki anders als seinen beiden Vorgängern als Erzbischof keine Pflichtverletzung. Im Zuge der Erkenntnisse des Gutachtens boten der Hamburger Erzbischof und ehemalige Kölner Generalvikar Heße und der ehemalige Generalvikar Schwaderlapp ihren Rücktritt an, Weihbischof Puff, der kurzzeitige Leiter der Hauptabteilung Seelsorge-Personal, ist seither von seinen Aufgaben freigestellt. Heßes Rücktritt wurde in der vorvergangenen Woche von Papst Franziskus bereits abgelehnt.
Dominikus Schwaderlapp war von 2004 bis bis zu seiner Ernennung zum Weihbischof im Jahr 2012 Generalvikar. Das Gercke-Gutachten lastet ihm acht Pflichtverletzungen in fünf Aktenvorgängen an. Nach der Vorstellung des Gutachtens wurde er von Kardinal Woelki unmittelbar von seinen Amtspflichten entbunden, noch am selben Tag bot er dem Papst seinen Rücktritt an. In einer Erklärung räumte der Weihbischof ein, dass die Untersuchung ernste Versäumnisse festhalte, die er zu verantworten habe. "Zu wenig und nicht systematisch und entschieden genug", so könne man "vielleicht zusammenfassen", was ihm das Gutachten anlaste, so Schwaderlapp. Er hatte laut im Gutachten veröffentlichter eigener Aussage 2008 eine "informelle Abstimmungsrunde" aus dem Leiter der Hauptabteilung Seelsorge-Pastoral, der Justitiarin, dem Offizial und ihm selbst ins Leben gerufen.
Ansgar Puff leitete die Hauptabteilung Seelsorge-Personal lediglich kurz seit 2012, bis er 2013 zum Weihbischof ernannt wurde. Im Gutachten wird er ohne Namensnennung einmal mit einem Verstoß gegen die Aufklärungspflicht benannt. Auf eigenen Wunsch hin wurde er von Kardinal Woelki freigestellt, hatte jedoch keinen Rücktritt angeboten. In einer ersten Äußerung in einem Video auf seiner Facebook-Seite zeigte er sich selbstkritisch: "Mir tut das unendlich leid. Ich muss zugeben, dass ich auch da juristisch nicht ganz im Blick hatte, was ich tun musste. Ich entschuldige mich dafür", so Puff am Tag nach der Vorstellung des Gutachtens.
Woelki hatte über Rücktritt nachgedacht
Woelki räumte zwar auch eigene Fehler ein, schloss aber einen Rücktritt stets aus. Im August sagte der Kardinal gegenüber dem "Bonner General-Anzeiger", er habe im Winter zwar über einen Rücktritt nachgedacht. "Aber ich nehme meine moralische Verantwortung eher wahr, indem ich mich der Aufarbeitung stelle und nicht meine Verantwortung an andere abgebe", so Woelki. Im Umgang mit den Gutachten und dem Betroffenenbeirat wuchs die Kritik an Woelki in der Diözese. Mehrfach kritisierte der Diözesanrat der Katholiken den Erzbischof scharf, die Mehrheit der Kreis- und Stadtdechanten drückten ihre Unzufriedenheit mit den Vorgängen aus, Termine Woelkis in Pfarreien wurden kontrovers diskutiert. Zahlreiche Medienberichte thematisierten die Verantwortung Woelkis im Umgang mit verschiedenen Missbrauchsfällen, insbesondere in den Fällen von "Pfarrer D." und "Pfarrer O.". Im Fall des Pfarrers O. lag eine Anzeige Woelkis bei der Glaubenskongregation über den zuständigen Münsteraner Bischof Felix Genn vor, derzufolge eine Meldung nach Rom pflichtwidrig unterblieben sei. Eine Antwort darauf war bisher nicht bekannt. Neben den Kontroversen um die Missbrauchsaufarbeitung beschäftigt das Erzbistum Köln auch der "Pastorale Zukunftsweg", mit dem unter anderem die Organisation des Bistums reformiert werden soll. Kritik an den Beteiligungsmöglichkeiten äußerten unter anderen die Berufsverbände der Pastoral- und Gemeindereferenten.
Die erste Konsequenz aus dem Visitationsbericht war die Ablehnung des Rücktrittsgesuchs von Heße, dem das Gercke-Gutachten insgesamt elf Pflichtverletzungen in seiner Zeit als Kölner Personalchef und Generalvikar zu Last gelegt hatte. Mitte September teilte die Apostolische Nuntiatur in Berlin mit, dass Papst Franziskus den Rücktritt Heßes nicht annehmen werde, da der Erzbischof seine Fehler "in Demut anerkannt" und sein Amt zur Verfügung gestellt hatte. Zwar seien "Mängel in der Organisation und Arbeitsweise des Erzbischöflichen Generalvikariats sowie persönliche Verfahrensfehler Mons. Heßes festgestellt" worden, die Untersuchung habe aber nicht gezeigt, dass diese mit Absicht begangen wurden, Fälle sexuellen Missbrauchs zu vertuschen. Das Grundproblem habe im Mangel an "Aufmerksamkeit und Sensibilität den von Missbrauch Betroffenen gegenüber" bestanden. Während aus den Reihen der deutschen Bischöfe die Entscheidung des Papstes auf Zustimmung traf, waren die meisten Stimmen in der Öffentlichkeit dazu negativ. (fxn)
Dokumentation: Mitteilung des Heiligen Stuhls vom 24. September 2021
Vom 7. bis 14. Juni 2021 haben S.Em. Anders Kardinal Arborelius, Bischof von Stockholm, und S.E. Mons. Johannes van den Hende, Bischof von Rotterdam, im Auftrag des Heiligen Stuhls eine Apostolische Visitation des Erzbistums Köln durchgeführt, um sich ein umfassendes Bild von der komplexen pastoralen Situation im Erzbistum zu verschaffen und gleichzeitig auch eventuelle Fehler des Erzbischofs, S.Em. Rainer Maria Kardinal Woelkis, als auch der Weihbischöfe S.E. Mons. Dominikus Schwaderlapps und S.E. Mons, Ansgar Puffs im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs zu untersuchen. Letztere hatten dem Heiligen Vater, im Zusammenhang der Veröffentlichung der bekannten Studie über den Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln, Ihren Verzicht auf das Amt des Weihbischofs angeboten.
Papst Franziskus hat die Ergebnisse der Apostolischen Visitation aufmerksam zur Kenntnis genommen. Auf Grundlage der von den Visitatoren erhobenen Informationen und der anschließenden Bewertung der Ergebnisse durch die Behörden der Römischen Kurie sind in ihm die folgenden Entschlüsse gereift:
Was die genannten Weihbischöfe betrifft, hat der Heilige Vater entschieden, ihren Amtsverzicht nicht anzunehmen. Bei beiden Bischöfen sind in Ihren früheren Verantwortlichkeiten vereinzelt Mängel in der Behandlung von Verfahren festzustellen, nicht aber die Intention, Missbrauch zu vertuschen oder Betroffene zu ignorieren. S.E. Mons. Ansgar Puff wird seinen regulären Dienst unmittelbar wiederaufnehmen. S.E. Mons. Dominikus Schwaderlapp hat darum gebeten, vor seiner Rückkehr in den Dienst als Weihbischof im Erzbistum Köln, für ein Jahr als Seelsorger in der Erzdiözese Mombasa,in Kenia, arbeiten zu dürfen. Der Heilige Vater hat dieser Bitte entsprochen.
Im Hinblick auf den Erzbischof von Köln, S.Em. Rainer Maria Kardinal Woelki, hat sich kein Hinweis darauf ergeben, dass er im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs rechtswidrig gehandelt hat. Die Behauptungen, der Kardinal habe, insbesondere durch das anfängliche Zurückhalten einer ersten Studie, vertuschen wollen, wird durch die inzwischen publizierten Fakten und die durch den Heiligen Stuhl geprüften Dokumente widerlegt. Die Entschlossenheit des Erzbischofs, die Verbrechen des Missbrauchs in der Kirche aufzuarbeiten, sich den Betroffenen zuzuwenden und Prävention zu fördern, zeigt sich nicht zuletzt in der Umsetzung der Empfehlungen der zweiten Studie, mit der er bereits begonnen hat.
Dennoch hat Kardinal Woelki in der Herangehensweise an die Frage der Aufarbeitung insgesamt, vor allem auf der Ebene der Kommunikation, auch große Fehler gemacht. Das hat wesentlich dazu beigetragen, dass es im Erzbistum zu einer Vertrauenskrise gekommen ist, die viele Gläubige verstört.
In der vergangenen Woche hat Papst Franziskus den Erzbischof von Köln zu einem langen Gespräch empfangen. Der Heilige Vater zählt auf Kardinal Woelki, er anerkennt seine Treue zum Heiligen Stuhl und seine Sorge um die Einheit der Kirche. Gleichzeitig ist offenkundig, dass Erzbischof und Erzbistum einer Zeit des Innehaltens, der Erneuerung und Versöhnung bedürfen. Das hat Papst Franziskus dazu veranlasst, Kardinal Rainer Maria Woelki, auf dessen eigenen Wunsch,eine geistliche Auszeit zu gewähren, beginnend Mitte Oktober bis zum Beginn der Österlichen Bußzeit des kommenden Jahres. Bis zu seiner Rückkehr wird S.E. Mons. Rolf Steinhäuser als Apostolischer Administrator sede plena die ordnungsgemäße Verwaltungsicherstellen und vor allem Sorge dafür tragen, dass das Erzbistumseinerseits in einen geistlichen Prozess der Versöhnung und Erneuerung findet.
Indem sich der Heilige Vater in diesem Anliegen betend mit Erzbischof Kardinal Woelki und mit dem Erzbistum Köln verbindet, spendet er von Herzen den Apostolischen Segen.