Was Ordensleute beim Synodalen Weg gegen Hass-Kommentare tun wollen
"Zu viel ist zu viel", denkt sich Schwester Maria Stadler als sie die geschmacklosen Kommentare unter einem mehrfach geteilten Beitrag der Gemeindereferentin Regina Nagel auf Facebook sieht. "Dort beschreibt ein User seinen Ekel gegenüber Frauen im pastoralen Dienst und beleidigt Frau Nagel mehrfach persönlich", fasst sie die Situation zusammen. Weil Nagel ebenso wie Stadler Teilnehmerin des Synodalen Wegs ist und sich in ihrem Post kritisch über die von den vier Synodalforen vorgelegten Texte äußert, liegt für die Ordensfrau bei den Beleidigungen ein Bezug zum kirchlichen Reformprozess auf der Hand. In den Sozialen Medien gebe es in diesem Zusammenhang viele "verbale Entgleisungen", so Stadler. Jenen, die eine andere Meinung vertreten, komme von der Gegenseite oft Verachtung entgegen oder es werde ihnen das Katholisch-Sein abgesprochen. Die Kommentare unter Facebook-Posts besonders von konservativen wie auch anderen Kirchenmedien oder Initiativen seien "ganz schrecklich" und würden nicht dem Evangelium entsprechen.
Nach der Zweiten Synodalversammlung beschließt das Mitglied der Gemeinschaft der Missionarinnen Christi zu handeln. Gemeinsam mit anderen Ordensleuten beim Synodalen Weg schreibt Stadler einen Offenen Brief an die Synodalen, in dem sie gegen Hasskommentare im Netz Stellung beziehen. Im Internet seien viele Kommentare auf Statements im Zusammenhang mit dem Synodalen Weg zu finden, "die hasserfüllt, verletzend und menschenverachtend sind", heißt es in dem kurzen Schreiben, das am Sonntag veröffentlicht wurde. Die zehn Unterzeichner rufen den Delegierten der Synodalversammlung in Erinnerung, dass "Sprache auch Gewalt" sein könne. Deshalb müssten alle "sehr achtsam mit Sprache umgehen, damit diese auf keinen Fall abwertend gegenüber anderen Meinungen" ist.
Die Medienethikerin Claudia Paganini lobt das Engagement der Ordensleute gegen Hasskommentare im Netz. "Das öffentliche Auftreten gegen Hate-Speech ist besonders wichtig, denn es kann die Täter davon abhalten, weiter Hass zu verbreiten", sagt die Münchener Philosophie-Professorin. Diese Kommentatoren seien zwar meist männlich und konservativ eingestellt, doch es gebe sie in allen gesellschaftlichen Schichten – und deshalb auch in der Kirche. "Innerhalb der katholischen Blase im Internet kann der Offene Brief eine große Wirkung haben, wenn sein Anliegen eines verständnisvollen Miteinanders geteilt wird", so Paganini. Das Vorbild der Ordensleute müsse dazu jedoch von anderen Akteuren im Netz aufgegriffen werden.
Im Synodalpräsidium stoßen die Initiatoren auf offene Ohren: Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, stellt sich hinter die Forderungen des Briefs. "Auch wenn man gegensätzlicher Meinung ist, sollte der Austausch über verschiedene Positionen von Beleidigungen und Häme frei sein", sagt er gegenüber katholisch.de. Doch gerade in den Sozialen Medien sei das oft nicht der Fall. An die "Relevanz einer respektvollen Debatte zu erinnern", sei daher sehr wichtig, so Sternberg.
In ihrem Schreiben gehen die Ordensleute jedoch über eine Analyse der Situation und einen einfachen Aufruf zu einem achtsameren Umgang mit Sprache hinaus. Sie fordern einen "fruchtbaren Austausch" in der Synodalversammlung zu diesem Thema – denn sie legen jedem Synodalen ans Herz, den Umgang mit Hasskommentaren nicht aus dem Blick zu verlieren: "Bei den Medien, die wir bespielen und mit denen wir zusammenarbeiten, haben wir für die Kommentarspalten zumindest anteilhaft Verantwortung zu tragen." Dort solle jeder Teilnehmer des Synodalen Wegs für eine angemessene Kultur sorgen, genauso wie in den Debatten der Gremien des Reformprozesses.
Die Anspielung auf die Debatten bei der vergangenen Synodalversammlung kommt nicht von ungefähr. So hatte der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer vor einer Emotionalisierung der Debatte um den Missbrauchsskandal gewarnt und seine Ablehnung eines "unfehlbaren Lehramtes der Betroffenen" kundgetan. Der Redebeitrag des bayerischen Oberhirten wurde von vielen Synodalen, Missbrauchsopfern und Gläubigen als polemisch und verletzend aufgefasst. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck widersprach ihm daraufhin später.
Auch war bekannt geworden, dass ein Flurgespräch zwischen dem Kardinal Rainer Maria Woelki und der Synodalen Viola Kohlberger von der jungen Frau als "Machtmissbrauch" seitens des Kölner Erzbischofs wahrgenommen wurde. Wie sie in einem Instagram-Video berichtete, hatte sie Woelki als bedrängend erlebt, als er sie wegen vorher geäußerter Kritik an seinem Umgang mit dem Missbrauchsskandal in Köln zur Rede stellte. Der Kardinal hatte sich später für den Eindruck entschuldigt, den das Gespräch hervorgerufen hatte. Trotz des von Sternberg und anderen Synodalen hochgelobten "guten Geists von Frankfurt", scheint es also bei der Synodalversammlung auch einige kommunikative Probleme gegeben zu haben, die sicher in den Themenbereich des Briefs der Ordensleute fallen.
Für Paganini steht außer Frage, dass bei den kontroversen Themen des Synodalen Wegs viele Emotionen hochkommen, die sich anstauen und in spontanen Reaktionen im Internet explodieren – und sicherlich nicht nur dort. "Hasskommentare haben für viele die Funktion, sich endlich einmal Luft machen zu können und Unzufriedenheit herauszuschreien", so die Medienethikerin. Dabei sei jedoch den meisten Usern nicht bewusst, welche Verletzungen Worte zufügen könnten. "Zudem gibt es aufgrund der vermeintlichen Distanz durch den Bildschirm weniger digitale Empathie." Doch dies sei keine Entschuldigung, denn erwachsene Menschen müssten in der Lage sein, negative Gefühle zu kontrollieren.
Hasskommentare müssten zudem vor dem Hintergrund des aktuellen Medienwandels gesehen werden. "Die Geschichte zeigt, dass es in Phasen neuer Medien große Unsicherheiten gibt und zunächst kein Bewusstsein dafür vorherrscht, wie man mit ihnen umgehen soll", sagt Paganini. Ähnliches sieht sie auch in der Umbruchsituation des Synodalen Wegs. Gegen Hass sowohl im Netz als auch in der unmittelbaren Realität helfe, dagegen aufzustehen und Zivilcourage zu zeigen. Man müsse den "lauten Schreier" ihre Grenzen im digitalen Raum aufweisen. "Dann merkt man oft, dass es nur eine Minderheit ist, die Hate-Speech betreibt – auch wenn es meist so aussieht, als ob es sehr viele Menschen sind." Die große Mitte der Gesellschaft und der Kirche dürfe nicht aus Angst vor den Hatern verstummen. Diesem Anliegen dient der Offene Brief der Ordensleute.