Politikwissenschaftlerin: Verfassung der Kirche muss sich ändern
Die Göttinger Politikwissenschaftlerin Tine Stein fordert eine Umgestaltung der aktuellen Kirchenverfassung. "Ein neues Recht und ein anderes Verständnis, was Recht in der Kirche bedeutet, ist bitter nötig", schreibt sie in einem Beitrag für das Internetportal "feinschwarz.net" (Mittwoch). Das gegenwärtige Kirchenrecht sei nicht "als Teil der göttlichen Stiftung vom Himmel gefallen", sondern von Päpsten und Bischöfen gemacht worden. Diese hätten eine Ekklesiologie zementiert, die ohne Zukunft sei. Macht werde in der Kirche nicht als positive Kraft und Raum der Ermöglichung zu gemeinschaftlichem Handeln verstanden, sondern "als strukturelle Ungleichheit erfahren". "In der sakramental begründeten kirchlichen Ämterordnung haben zwar alle Getauften Anteil am dreifachen Amt Jesu Christi und sie tragen die gleiche Würde, aber haben nicht die gleichen Rechte", so Stein.
Machtkonzentration ohne Kontrolle und Rechenschaftspflicht hätten die Kirche als Institution in ihre tiefe Krise geführt. "Man kann es nicht oft genug sagen: Der Selbstwiderspruch zwischen kirchlichem Handeln und der Botschaft, die ihr aufgegeben ist, macht den Kern der Krise aus", so die Politikprofessorin, die auch Mitglied im Synodalforum "Macht und Gewaltenteilung" ist.
Chancen des Synodalen Wegs nicht zu ergreifen sei Realitätsverweigerung
Beim Synodalen Weg würde eine sehr deutliche Mehrheit dafür stimmen, die überkommenen Strukturen zugunsten weitreichender Reformen zu überwinden. Würden einige Bischöfe bei den weiteren Versammlungen des Reformprozesses ihr Vetorecht ausspielen und Veränderungen verhindern wollen, dann "setzte diese Minderheit die Verweigerung der Realität fort, vom Hören auf den gemeinschaftlich geäußerten Glaubenssinn des Volkes Gottes zu schweigen." Die Chance des Synodalen Wegs nicht zu ergreifen hieße, die Realität nicht wahrzunehmen. Wer Macht hat, habe nicht automatisch recht, schreibt Stein. "Wenn aber das Ansehen im Kirchenvolk schwindet, dann erodiert auch der Legitimitätsglaube, auf den jeder Inhaber von Herrschaftspositionen angewiesen ist." Würden Bischöfe und Papst die kirchliche Verfasstheit und das Amtsverständnis nicht ändern, würden die Gläubigen in wachsender Zahl die Amtskirche verlassen.
In der Sozialwissenschaft sei neben dem Austritt aus einer Organisation, zu der die Loyalität schwindet, auch der politische Protest gegen Missstände eine Option. Sollten die guten Argumente der Gläubigen nicht gehört werden, müsse daher "auch Nachdruck hinzukommen". Gläubige seien auch Bürgerinnen und Bürger und der Staat unterstütze die Kirche mit weitreichenden Privilegien wie Kirchensteuer, Körperschaftsstatus oder Staatsleistungen. "Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften soll einen Schutz davor bieten, dass der säkulare Staat auf religiöse Lehren Einfluss nimmt und diese sanktioniert", schreibt Stein. "Die religiöse Lehre ist aber in der katholischen Kirche derzeit prekär." Alles spreche dafür, dass Gläubige darüber nachdenken sollten, "wie es mit dem gegenwärtigen Staatskirchenrecht weitergeht". (cbr)