Mit dem Segen der Kirche: Tätowieren vor dem Altar
"Tätowieren vor dem Altar" – schon der Titel der Aktion ließ aufhorchen. Am Freitagnachmittag wurde die nach Angaben der Veranstalter bundesweit wohl beispiellose "Live-Tätowieraktion" in Frankfurt am Main Wirklichkeit: In der katholischen Liebfrauenkirche schimmert das Tätowierbesteck silbern auf einem Tisch nahe dem Altar. Im gotischen Kirchenschiff der beliebten Innenstadtkirche surrt leise die feine Nadel, als sie einer jungen Frau in die Haut einsticht und ihre Farbe eingraviert – wohl für immer.
Ausführender ist der Stuttgarter Tattoo-Künstler Silas Becks (39) – umringt von TV-Kameraleuten und Pressefotografen. Laut der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) Frankfurt, die die Aktion nach eigenen Angaben mit Rückendeckung des Bistums Limburg initiiert hat, geht der katholisch geprägte Tätowierer mit der Nadel "so feinfühlig und detailreich um wie andere Künstler mit Bleistift oder Pinsel". Auch "einige Stars aus Popmusik und Sport" trügen seine Werke unter der Haut.
Tatowieren – Teufelszeug oder christliche Tradition?
Aus Sicht der KEB gehören die Träger der bleibenden Haut-Bilder schon lange nicht mehr in die "Schmuddelecke". Fast jeder fünfte Deutsche sei tätowiert, bei jüngeren Erwachsenen sogar fast jeder zweite. Es gehe quer durch alle gesellschaftlichen Schichten, handele sich aber "tatsächlich um eine uralte christliche Tradition", wie Markus Breuer, Leiter der KEB Frankfurt sagt. "Diese ewig bleibenden Bilder auf dem eigenen Körper zu tragen, ist besonders in Pilgerorten noch heute verbreitet, quasi als eine Art Stempel im Pilgerbuch."
Doch er räumt ein, dass es gläubige Christen gebe, für die Tätowieren "Teufelszeug" sei. Auf Facebook etwa schrieb eine Frau zu der Aktion in der Liebfrauenkirche: "Was ist los mit dieser Welt? Das ist kein Ort für so etwas ..." Damit werde der Altar "verunreinigt". Dem widerspricht Breuer. "Wir tun nichts Unchristliches oder Verbotenes. Nichts, was heiligen Boden entweihen würde", sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Am Freitag kamen zunächst zwei Gewinner einer KEB-"Verlosung" unter die Nadel. Den Anfang machte Vanessa (26) aus Mannheim. "Whatever souls are made of – his and mine are the same", ließ sie sich auf den linken Unterarm stechen, "für meinen Freund". In einem katholischen Gottesdienst – geleitet vom Frankfurter Kapuzinerbruder Paulus Terwitte (62) – sollten anschließend die verwendeten Tätowier-Utensilien gesegnet werden.
Bruder Paulus, Träger des Bundesverdienstkreuzes, verweist ebenfalls auf die "jahrhundertealte christliche Tradition" des Tätowierens. "Den Körper zu schmücken, war immer schon christliches Gemeingut." Christliche Tattoos seien letztlich "Andachtszeichen", sagte er. Allerdings komme es schon auch auf das Motiv an. "Bei einem Totenkopf würde man schon mal eine Frage haben."
Am Samstag kann sich jeder Interessierte in Liebfrauen ein kleines Tattoo von Becks stechen lassen – "sofort vor Ort und kostenlos", warb die KEB. Zur Auswahl stünden acht kleine religiöse kalligrafische Motive, etwa "Faith" oder "Heaven". Auch bereits vorhandene Tattoos würden dann von den Kapuzinermönchen des Cityklosters gesegnet. In Liebfrauen lebt ein Konvent, eine Hausgemeinschaft, der sechs Kapuzinerbrüder angehören.
Aktion soll nahe an den Menschen sein
Die KEB will mit der Aktion unter Beweis stellen, dass Kirche "direkt an den Menschen dran" sei – buchstäblich. KEB-Leiter Breuer betont: "Tätowierungen haben im Christentum sogar eine längere Tradition als die tridentinische Messe." Im Mittelalter hätten die Franziskaner im Rahmen ihrer Passionsfrömmigkeit versucht, die Leiden Christi nachzuahmen und erfahrbar zu machen – auch mit Tattoos.
Man finde zudem in vielen Pilgerberichten Erzählungen darüber, dass in Jerusalem, Loreto, Santiago de Compostela oder auf dem Balkan "besonders Franziskaner die vielen Wallfahrer tätowiert haben". Auch die Kreuzzügler hätten sich tätowiert, um christliche Zeichen an sich zu tragen. Breuer sieht sogar Bezüge zwischen Tattoo und Taufe. Theologisch werde die Taufe als "character indelebilis" verstanden, als untilgbares Prägemal, um zum christlichen Glauben zu gehören – genauso untilgbar wie eine Tätowierung.