Kardinal Kasper sieht Verhältnis Deutschlands zu Rom belastet
Der frühere Kurienkardinal Walter Kasper (88) sieht die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche in Deutschland und dem Vatikan als belastet an. Die "Fronten" verhärteten sich zunehmend, es breite sich eine "Hermeneutik des Misstrauens" aus, schreibt Kasper in einem Gastbeitrag für die Freiburger Zeitschrift "Herder Korrespondenz" (November). "Man hört sich nicht mehr wirklich zu, und man versteht sich dann auch nicht mehr." Zugleich fehle es im Vatikan an deutschen Theologen und Priestern, die vermitteln könnten.
Die aktuellen Spannungen zwischen Rom und der deutschen Kirche "belasten mich physisch, und erst recht gemütsmäßig", bekannte der Kardinal. "Sie gehen mitten durch mich hindurch." Ohne Zweifel gebe es römische Fehleinschätzungen der deutschen Situation, aber "ebenso kolossale deutsche Fehlurteile über Rom und manche römische Dokumente".
Kritisch sieht Kasper den Verlauf der Reformdebatten in Deutschland. In den vergangenen Jahren sei die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals "verknüpft und geradezu verknotet" mit einer innerkirchlichen Reformagenda, die teilweise an die "Grundlagen katholischer Identität" rühre, so der frühere Präsident des vatikanischen Einheitsrats. "Vielen scheint es, Deutschland wolle aus dem orbis catholicus ausscheiden oder diesen nach der eigenen deutschen Facon gestalten", so Kasper. Die Kirche in Deutschland beschäftige sich oft nur "mit sich selbst". Keineswegs seien alle deutschen Probleme auch die Probleme der Weltkirche. Befürchtungen, wonach diese Spannungen zu einer Spaltung führen können, bezeichnet er aber als "Gespenst".
Kirchenaustritte nach Reformdebatten
Für eher wahrscheinlich hält er die "gegebenenfalls viel schlimmere niederländische Variante". Nach dem Scheitern des niederländischen Pastoralkonzils (1966-1970) mit ähnlichen Reformvorstellungen, wie sie jetzt in Deutschland angestrebt werden, sei die Zahl der Katholiken so sehr gesunken, dass "die Niederlande heute eines der säkularisiertesten Länder Europas sind". Auch in Deutschland sammelten sich die, welche aus Enttäuschung die Kirche verlassen, "nicht zu einer neuen schismatischen Kirche und nur die wenigsten treten einer anderen Kirche bei", fügte Kasper hinzu. "Sie gehen nicht ins Schisma, sondern in ein entchristlichtes konfessionsloses Niemandsland."
Kasper argumentierte weiter, die römische Universalkirche lebe aus den Ortskirchen in den einzelnen Staaten; und diese Ortskirchen "leben in und aus" der Universalkirche, so der Kardinal. "Von ihr getrennt, sind sie wie abgestorbene Äste, nur am Stamm können sie grünen und blühen." Daher gelte es in den "kommenden Jahrzehnten", die aktuellen Spannungen zu überwinden und für beide Seiten fruchtbar zu machen. Die katholische Kirche in Deutschland müsse ihren Platz in der Weltkirche wieder neu finden. (tmg/KNA/epd)