Standpunkt

Eine Kirche, die ernstgenommen werden will, darf sich nicht anbiedern

Veröffentlicht am 27.10.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Tätowieren vor dem Altar in Frankfurt, ein Eiswagen in Berlin: Solche Aktionen lösen bei Steffen Zimmermann Kopfschütteln aus. Nicht jede neue Idee sei eine gute Idee, kommentiert er – und wünscht sich eine Orientierung an der langfristigen Wirkung.

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Es ist die entscheidende Zukunftsfrage für die katholische Kirche in Deutschland: Wie kann sie in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft und trotz der schlimmen Verheerungen des Missbrauchsskandals positiv auf sich aufmerksam machen und Menschen wieder oder sogar ganz neu für sich und ihr religiöses "Produkt" begeistern? Überall im Land zerbrechen sich kirchliche Expertinnen und Experten schon seit Jahren genau darüber den Kopf – und haben dabei sicher ganz oft ganz tolle Ideen.

Manche Ideen allerdings, die etwa in den Köpfen von Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten geboren und anschließend umgesetzt werden, lösen wohl nicht nur bei mir ziemliches Kopfschütteln aus. Jüngstes Beispiel: Am vergangenen Wochenende konnten sich Interessierte bei einer von der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) Frankfurt organisierten Veranstaltung unter dem Motto "Tätowieren vor dem Altar" in der Frankfurter Liebfrauenkirche kostenlos ein Tattoo stechen lassen. Die KEB wollte damit nach Aussage ihres Leiters zeigen, dass Kirche mitten im Leben steht und auch mitten in der Stadt direkt an den Menschen dran ist.

Dieser Anspruch ist ebenso ehren- wie unterstützenswert – ich bezweifle allerdings, dass eine Tätowier-Aktion dafür das richtige Mittel ist. Klar, die KEB hat mit der ungewöhnlichen Veranstaltung Aufmerksamkeit auch jenseits der kirchlichen Blase generiert – sogar die "Bild"-Zeitung hat darüber berichtet. Und natürlich haben sich diejenigen, die sich ein Tattoo haben stechen lassen, über das Angebot der Kirche sicher gefreut. Doch hat eine solche Aktion darüber hinaus irgendeinen – gar nachhaltigen – Effekt? Kommen Kirchenferne der Kirche dadurch irgendwie näher? Kann die Kirche ihr ramponiertes Image dadurch irgendwie aufpolieren? Wohl eher nicht.

Mir scheint vielmehr das Gegenteil der Fall zu sein. Traditionsbewusste Katholikinnen und Katholiken wenden sich angesichts solcher Aktionen wie jetzt in Frankfurt – oder, um ein weiteres Beispiel zu nennen, wie im Sommer in Berlin – oftmals irritiert ab. Und auch die kirchenferne Öffentlichkeit – so sie denn überhaupt Notiz von derartigen Aktivitäten nimmt – reagiert im Zweifel mit Befremden auf den Versuch der Kirche, mit vermeintlich innovativen Ideen Anschluss an die säkulare Gesellschaft zu halten.

Ich würde mir wünschen, dass die Expertinnen und Experten in der Kirche sich beim "Kampf" um die Köpfe weniger am kurzfristigen Effekt, sondern mehr an der langfristigen Wirkung orientieren würden. Nicht jede neue Idee ist schließlich eine gute Idee. Eine Kirche, die in der säkularen Gesellschaft ernst genommen werden möchte, sollte nicht dem Klamauk verfallen. Und auch eine Anbiederei an vermeintlich coole gesellschaftliche Trends ist ziemlich sicher der falsche Weg.

Von Steffen Zimmermann

Der Autor

Steffen Zimmermann ist Redakteur im Korrespondentenbüro von katholisch.de in Berlin.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.