Ex-Welterbechefin: Mag besonders die Elefanten im Speyerer Dom
Die Geografin Mechtild Rössler (62) arbeitete mehr als drei Jahrzehnte für die Unesco. Bis Ende September war sie Direktorin des Welterbezentrums in Paris. Am 30. Oktober hält sie in ihrer Geburtsstadt die Festrede anlässlich der Feier zur Aufnahme des Speyerer Doms in die Liste des Weltkulturerbes vor genau 40 Jahren.
Frage: Frau Rössler, Sie stammen aus Speyer. Was verbinden Sie persönlich mit dem Kaiserdom?
Rössler: Ich war schon als kleines Kind im Dom, weil wir nicht weit davon entfernt gewohnt haben. Am meisten berührt hat mich immer die Krippe – eine der schönsten und größten, die ich je gesehen habe. Besonders die Elefanten hatten es mir angetan, auch an die Palmen und Kamele erinnere ich mich sehr gut. Wann immer ich in der Weihnachtszeit meine Familie in Speyer besucht habe – der Gang in den Dom gehörte dazu.
Frage: Und dann haben Sie nach den Elefanten geschaut.
Rössler: Genau, das war immer das erste, was ich gemacht habe.
Frage: Bis Ende September haben Sie rund drei Jahrzehnte für die Unesco in Paris gearbeitet – zuletzt sechs Jahre als Direktorin des Welterbe-Zentrums. Welche Entwicklungen sehen Sie
Rössler: Es ist sehr viel passiert. 1972 wurde die Welterbekonvention verabschiedet, und Deutschland gehörte zu den ersten Staaten, die das Abkommen früh, 1976, unterzeichnet haben. Die ersten nominierten Stätten gehörten zum monumentalen, also zum baulichen Erbe – und Deutschland hat den Aachener und der Speyerer Dom als erstes vorgeschlagen, die dann 1978 und 1981 auf die Liste kamen.
Obwohl viele europäische Länder die Konvention schnell unterschrieben, war die Idee des Welterbes an sich nicht eurozentrisch, sondern global. Die erste nominierte Stätte waren die Galapagos-Inseln. Ein wichtiger Punkt am Anfang war, dass nur Staaten Welterbe-Stätten vorschlagen konnten, wenn es einen juristischen Schutz, etwa einen Denkmalschutz, gab. Vielen Ländern fehlte damals eine solche Gesetzgebung.
Frage: Den pauschalen Vorwurf des Eurozentrismus halten Sie also für falsch?
Rössler: Ja. Ich halte es aber für fragwürdig, wenn die Staaten in Europa – auch Deutschland – auch heute immer mehr Stätten nominieren, obwohl sie sehr umfassend auf der Liste vertreten sind. Die Unesco-Richtlinien besagen, dass Länder, die bereits gut vertreten sind, sich Zeit lassen sollen mit Nominierungen und auch ihre Listen überarbeiten sollten. Wenn in diesem Jahr Deutschland – aufgrund von Anträgen mit anderen Staaten – fünf und ganz Afrika nur zwei Stätten bekommen hat, stimmt was nicht. Da sollte analysiert werden, wie man diesen Ländern helfen kann.
Inzwischen ist der staatliche Druck auf die Unesco enorm, die Debatten werden sehr hart geführt. Das Problem ist aber nicht die Liste. Viel dramatischer ist, dass die Unesco kein Geld und wenig Personal hat, sich angemessen um den Schutz der ernannten Welterbestätten zu kümmern. Als die USA ab 2012 nicht mehr an die Unesco gezahlt hat, musste allein das Personal im Welterbezentrum von 42 auf 27 Mitarbeiter reduziert werden. Auch da müsste sich was ändern.
Frage: Entsteht der Druck von Staaten auch dadurch, dass mit dem Welterbetitel die Ökonomisierung der Kultur vorangetrieben wird?
Rössler: Natürlich gibt es sehr starke wirtschaftliche Interessen. So hatte die Altstadt von Lyon ein Jahr nach der Auszeichnung mit dem Welterbe-Titel fast 30 Prozent mehr Tourismus. Davon leben Restaurants, Hotels und andere Dienstleister. Ein anderes wichtiges Motiv ist die Anerkennung von außen. Staaten wollen der Welt beweisen, wie wichtig ihre eigene Kultur ist. Das hat viel mit Nationalismen zu tun.
Frage: Ist es nicht ungerecht, wenn jedes Land jedes Jahr nur einen Vorschlag machen kann? Indien ist ja größer als Andorra.
Rössler: Das Problem sehe ich so nicht – aber wie sollte man es regeln? Das außergewöhnliche Welterbe ist nicht gleichmäßig verteilt. Und man kann nicht ein fast 2.500 Kilometer langes Ökosystem wie das Great Barrier Reef mit dem Speyerer Dom vergleichen. Für schwierig halte ich die zunehmenden Probleme beim Erhalt dieses Erbes. Täglich habe ich mehr als 100 Briefe bekommen.
Frage: Ist mit dem Erfolg die Macht der Unesco gewachsen, Druck auszuüben – und wie bei der Kulturlandschaft Dresdner Elbtal oder beim Kölner Dom mit der Aberkennung des Welterbe-Status zu drohen?
Rössler: Wir sprechen von einer internationalen Konvention, die Staaten unterschrieben haben. Die Länder haben sich ja dem Erhalt der Stätten verpflichtet. Leider gibt es immer mehr, die Vorgaben umgehen wollen. Das unterminiert die Vereinbarung und gefährdet das Welterbe für die künftigen Generationen. Aber es stimmt: Unsere Interventionen haben oft Erfolg. Man kann nicht gleichzeitig den Welterbetitel haben und danach machen wollen, was man will.
Wichtig ist: Weltkulturerbestätten müssen lebendig, von Menschen getragen sein. So wollen Touristen den Speyerer Dom besichtigen, aber das geht nicht, wenn drinnen Gottesdienst gefeiert wird. Das ist ein Balanceakt – wir wollen aber nicht, dass die Welterbestätten Museen sind. Im Gegenteil.
Frage: Ist die Welterbekonvention in der Summe eine Erfolgsgeschichte?
Rössler: Definitiv. Der Sinn der Liste ist, die Stätten zu erhalten. Nach der Zerstörung der Mausoleen von Timbuktu durch Islamisten hat die Bevölkerung zusammen mit der Unesco die Denkmale in drei Jahren neu aufgebaut. Und wir haben Angkor Wat in Kambodscha gerettet, von Minen befreit und restauriert. Heute ist es eine der wichtigsten Stätten Asiens. Gleichzeitig gibt es dramatische Misserfolge: Der Klimawandel führt dazu, dass wir Gletscher oder Korallenriffe, die als Naturerbe geschützt sind, nicht für die Nachwelt erhalten können.
Für mich ist der wichtigste Aspekt, dass die Idee der Konvention Zusammenarbeit heißt. Das muss verstärkt werden. Ein gutes Beispiel ist das aktuelle Projekt der Deutschen Unesco-Kommission, Welterbestätten in Afrika zu unterstützen, die stark durch Corona betroffen sind. Menschen mussten entlassen werden, weil Einnahmen aus dem Tourismus fehlten. Dieser Zusammenhalt ist extrem wichtig.