Serie: Die Kirche und... – Teil 10

Die Kirche und die Sklaverei: Von der Begründung zur Gegenwehr

Veröffentlicht am 17.01.2021 um 12:50 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Heute wird Sklaverei weltweit verurteilt, aber das war nicht immer so. Die Kirche hat Begründungen für die Sklaverei geliefert, schreibt Autor Josef Bordat. Aus ihrer Mitte kam aber auch der Impuls zur Abschaffung der jahrhundertealten Praktik.

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Dass es keine Sklaverei geben sollte, dass jeder Mensch frei und gleich an Rechten geboren wird, ist ein neuzeitlicher Gedanke. Die Antike und das Mittelalter hindurch gab es Formen der Sklaverei und Leibeigenschaft, die überhaupt erst das Leben der recht wenigen (arbeits)freien Menschen ermöglichten.

Sklaverei in der Antike

In der vorchristlichen Antike gehört die Sklaverei zum Alltag. Während Platon und Aristoteles philosophierten, rackerten sich Hunderttausende ab. Das war schlicht normal, mehr noch: ganz natürlich. Die aristotelische Anthropologie sieht den Menschen als ζώον λογικόν, als vernunftbegabtes Wesen, das Teil hat am λόγος, das heißt an Vernunft und Sprache. Aufgrund der Teilhabe am λόγος ist der Mensch aufgefordert, seine Funktion als ζώον πολιτικόν, als ein auf die Gemeinschaft bezogenes Wesen, zu erfüllen: "Dies ist im Verhältnis zu den übrigen Sinneswesen den Menschen eigentümlich, dass sie als einzige von allen ein Gefühl für gut und schlecht, gerecht und ungerecht haben, auf deren Gemeinsamkeit Haus und Staat beruhen." Der Begriff des Sklaven von Natur, des φύσει δούλος, ist bei Aristoteles als Negation dieses Menschenbildes ursächlich ebenso mit dem der Vernunftbegabtheit verbunden: "Von Natur aus ist der ein Sklave, der einem anderen gehören kann und auch gehört und der nur insofern an der Vernunft teilhat, als er sie von anderen annimmt, sie aber nicht von sich aus besitzt." Als ein derart nicht-vernunftbegabter und damit zur produktiven Leistung innerhalb der Gemeinschaft unfähiger Mensch ist der Sklave nicht mehr als ein "beseeltes Werkzeug" seines Herrn; ein Umstand, den Aristoteles für "zuträglich und gerecht" hält.

Auch das Christentum brachte zunächst nicht die Befreiung von der Sklaverei; das Evangelium spricht ganz selbstverständlich von Sklaven. Jesus problematisiert die Institution der Sklaverei als solche nicht, doch er zeichnet ein anderes Bild des Sklaven und seines Verhältnisses zu Gott.

Der Sklave und der Freie sind vor Gott gleich. Das ist revolutionär und brachte die Antike ins Wanken. Wer diese Idee vertrat, wollte die Basis der Gesellschaft vernichten. Mit der Gleichsetzung von Gebet und Arbeit beim Mönchsvater Benedikt in der Spätantike folgte ein weiterer Schritt zur Aufwertung des Sklaven; denn dieser war es schließlich, der die meiste Arbeit verrichtete. Etwa zeitgleich stabilisiert Augustinus die Institution der Sklaverei, weicht jedoch vom aristotelischen Bild des Sklaven von Natur ab und rechtfertigt die Existenz von Sklaven nicht anthropologisch, sondern theologisch. Für ihn konnte es aufgrund der Gottesebenbildlichkeit des Menschen keine Sklaven von Natur geben. So seien die Menschen vor dem Sündenfall einander gleich, das Paradies eine herrschafts- und hierarchiefreie Zone gewesen: "Doch ist von Natur, wie Gott den Menschen anfangs schuf, niemand eines Menschen oder der Sünde Knecht." Erst der Sündenfall Adams habe, so Augustinus, zu jener natura vitiata (verdorbenen Natur) geführt, welche die Herrschaft des Menschen über Menschen möglich und nötig machte. Die Sklaverei als Exponent von Herrschaft führt Augustinus direkt zurück auf die Verfehlung Hams seinem Vater Noah gegenüber, der daraufhin einen der Söhne Hams zum Sklavendienst verurteilte. Insofern gehört die Sklaverei zwar nicht zur Schöpfungsordnung, wohl aber zur Strafordnung Gottes, so dass es nun – nach dem Sündenfall – als eine Konsequenz der menschlichen Verfehlung Herrschaft und Sklaverei gibt.

Thomas – und die Folgen

Thomas von Aquin versuchte, die beiden Lehren miteinander in Einklang zu bringen, indem er grundsätzlich die Meinung Augustinus' vertrat, also keine naturgegebene Hierarchie von Herren- und Sklavenmenschen erkennt ("in statu innocentiae non fuisset tale dominium hominis ad hominem" – "im Umschuldsstande war der Mensch nicht Herr über den Menschen"), Aristoteles jedoch zugab, dass die Natur bisweilen auch Menschen hervorbringe, die aufgrund ihrer "geistigen Unterlegenheit" und ihres "robusten Körpers" für das Sklavendasein geradezu prädestiniert seien: "Die geistig Überlegenen sind nämlich von Natur aus zum Gebieten berufen, die geistig Zurückgebliebenen aber – mit ihrem robusten Körper – scheinen von Natur selbst zum Dienen bestimmt zu sein, wie Aristoteles in seiner Politik sagt und wie auch Salomon zugibt, wenn er spricht: 'Der Tor soll dienstbar sein dem Weisen' (Spr 11, 29)". Typisch katholische Borniertheit? Wir werden darauf zurückkommen.

Das Bild des Sklaven als von Gott geliebtem Menschen hat sich in der Christenheit nicht durchsetzen können – auch nicht nach Interventionen aus dem Vatikan: Papst Eugen IV. verurteilte mit den Bullen Creator Omnium (1434) und Sicut dudum (1435) die Sklavenjagden auf den Kanaren, die damals noch zu Portugal gehörten. Allerdings schützte seine Exkommunikationsdrohung nur die zum Christentum konvertierten Kanaren, beschränkt also das Verbot der Sklaverei auf Christen. In der Folge verstärkte das eher den Irrglauben daran, dass es – außerhalb der Christenheit – jene "typischen Sklavenvölker" gebe, von denen in der aristotelisch-thomistischen Tradition die Rede ist und bei denen man sich weiterhin "bedienen" dürfe. Dieser Irrglaube herrschte nicht nur bei den Portugiesen, sondern auch bei den Spaniern.

Thomas von Aquin
Bild: ©angelika-kamlage.de (Archivbild)

Thomas von Aquin lieferte eine Begründung für die Sklaverei.

So nutzen Spaniens Juristen die aristotelisch-thomistische Kategorie des Sklavenvolkes von Natur und wandten diese auf die indianischen Völker im neu entdeckten Amerika an. Gil Gregorio, Hofprediger Ferdinands II., kennzeichnet die Indios auf der Junta de Burgos (1512) in diesem Sinne als "sprechende Tiere", während sein Kollege Bernardo de Mesa die Massenversklavung mit Aristoteles rechtfertigt und den Indios kollektiv "Mangel an Verstand und Klugheit" unterstellt. Die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer wieder gegen die Kritik an der Sklaverei in den Kolonien ins Feld geführte aristotelisch-thomistische Argumentationsfigur war schließlich auch ein wichtiger Punkt der Auseinandersetzung zwischen Juan Ginés de Sepúlveda und Bartolomé de Las Casas auf der Junta de Valladolid (1550-52). Las Casas war einer der wenigen Missionare (vor allem aus dem Predigerorden), die vom Evangelium her die Versklavung der Indios strikt ablehnten.

Das Christentum, die Freiheit und das Ende der Sklaverei

Die Botschaft Jesu von der Gleichheit vor Gott half also den Sklaven wenig, zumal den elf Millionen Menschen, die in den kommenden dreihundert Jahren noch versklavt werden sollten. Dennoch war für ihre Befreiung das Christentum und das biblische Freiheitskonzept entscheidend.

Paulus schreibt den Galatern: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit" (Gal 5, 1). Freiheit kommt im Christentum also "von außen", von Gott. Es ist die Freiheit von Sünde und Schuld, die innere Freiheit, aus der die Kraft für äußere Freiheit erwächst. Christus befreit den Menschen von der Sklaverei der Sünde. Es ist die innere Freiheit, die Jesus ermöglicht. Die Befreiung von der innerlichen Sklaverei der Sünde durch Jesus Christus und die Abschaffung der Sklaverei als äußerliches Phänomen des Rechts- und Wirtschaftssystems gehören ganz eng zusammen. Das ist systematisch einsichtig: Wer die Sklaverei als Institution abschaffen will, muss zunächst von der Sünde befreien, die die Sklavenhalter gefangen hält. Sie sind gebunden an Gier und Geld, an Markt und Macht. Wenn diese Fesseln erst mal gelöst sind, kann ein Umdenken beginnen, das zur Ächtung von Sklaverei führt. Der Zusammenhang lässt sich aber auch historisch nachweisen. Arnold Angenendt erinnert an die Rolle der "englischen und amerikanischen Dissenters, die ihre Länder zunächst für ein Verbot des Sklavenhandels und dann auch des Sklavenbesitzes zu mobilisieren vermochten". Sie beriefen sich nicht auf politische Revolutionen, sondern auf die Revolution schlechthin: "den durch Christi Sühneblut bewirkten Loskauf", die Erlösung des Menschen, die zur Befreiung aller Menschen motiviert.

Aufklärung, Sklaverei und Rassismus

Die Aufklärung entwickelte hingegen zur Sklavenfrage "keine eigenen Positionen, sondern übernahm allmählich die Positionen der Quäker und Evangelikalen", so Egon Flaig. Ansonsten kann man in der Sklavenfrage mit Delacampagne von der "Gleichgültigkeit der Humanisten" und dem "Schweigen der Philosophen" sprechen, die sich höchstens, so Robin Blackburn, zu Wort meldeten, um die religiösen Begründungen der Sklaverei durch pseudowissenschaftliche Versuche "rassischer Anthropologie" zu ersetzen. Im aufgeklärten 18. Jahrhundert dachten "nur wenige" der führenden Denker und Lenker "an eine restlose Abschaffung der Sklaverei", so Barbara Stolberg-Rillinger. Große Philosophen der Aufklärung – Hume, Kant, Montesquieu – erwiesen sich ziemlich unverhohlen als Rassisten. Mit ihnen ist kein Ende der Sklaverei zu machen. Die rassistische Bestimmung des Zivilisierten, Ingeniösen und Moralischen wurde im Europa der Aufklärung kaum hinterfragt. So ist ein rassistischer roter Faden erkennbar vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, an den auch die großen Vordenker des demokratischen Toleranz- und Freiheitsduktus in Frankreich und Preußen, Montesquieu und Kant, anknüpfen. Auf diese Weise wurde der Barbarisierung und Ausbeutung ganzer Völker ein "rationaler" und "aufgeklärter" Nährboden bereitet. Es waren damals also nicht die vielgerühmten Denker der Aufklärung, sondern einfache, fromme Christen, die den Impuls gaben, die Sklaven zu befreien.

Briefmarke der Deutschen Bundespost mit dem Konterfei Immanuel Kants
Bild: ©NobbiP/Public domain (Symbolbild)

Auch Immanuel Kant vertrat rassistische Thesen.

Die "einzig im Christentum eingeleitete Abschaffung der Sklaverei" (nur im Christentum sei sie überhaupt zum "religiösen Problem" geworden) verdanke sich, so Angenendt mit McKivigan, allerdings "mehr christlichen Prinzipien als christlichen Institutionen". Denn: Während die Evangelikalen in den USA die befreiende Botschaft des Christentums aufnahmen, um sie politisch umzusetzen, blieben die Päpste in der Sklavenfrage lange bei ihrer moraltheologischen Zurückhaltung und sprachen sich erst im 19. Jahrhundert entschieden gegen die Sklaverei aus, als die nordamerikanischen Christen schon längst die Pionierarbeit geleistet hatten.

Zusammenfassung

Festzuhalten bleibt also: Die Katholische Kirche hat sich bei der Befreiung der Sklaven nicht mit Ruhm bekleckert. Viel zurückhaltender noch waren die Philosophen der Aufklärung, die oft mit dem Topos der Freiheit zusammengebracht werden. Doch was für das europäische Bürgertum galt (dem wirklich Freiheiten errungen wurden), das galt noch lange nicht für die Sklaven aus Afrika. Im Blick auf sie reaktivierten Kant & Co. das aristotelische Theorem des φύσει δούλος als Begründungsfigur. Auch die nachfolgende Generation von Geistesgrößen schließt daran an: Idealisten wie Hegel, Sozialisten wie Engels – sie haben eines gemeinsam: Sie sind glühende Verfechter rassistisch motivierter Sklaverei aus dem Dünkel eurozentrischer Überlegenheit.

Festzuhalten bleibt aber auch: Nur im Christentum wird Sklaverei überhaupt zum moralischen Problem, einzig die Christenheit leitete folgerichtig ihre Abschaffung ein. Christen setzten sich für die Würde und Freiheit der Sklaven ein, weil sie in der christlichen Botschaft von der Erlösung des Menschen durch den Sühnetod Christi das Motiv für die Befreiung aller Menschen entdeckten. Diese Christen sorgten damals ganz konkret dafür, dass es Freiheit für alle Menschen gibt, weil alle Menschen als Ebenbilder Gottes die gleiche Würde haben – ungeachtet ihrer Herkunft und Hautfarbe.

Von Josef Bordat

Der Autor

Josef Bordat studierte Wirtschaftsingenieurwesen, Soziologie und Philosophie mit anschließender Promotion. Er arbeitet als freier Publizist in Berlin.