Ein Gastbeitrag aus Sicht der Organisationsentwicklung

Ergebnisoffen: Wie der weltweite synodale Prozess Freiräume schafft

Veröffentlicht am 11.11.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Vaihingen/Enz ‐ In der Wirtschaft ist die Organisationsentwicklung ein bewährtes Optimierungskonzept. Aus dieser Perspektive fällt beim weltweiten synodalen Prozess zunächst eine Leerstelle auf: Es gibt kein festgesetztes Ziel. Genau das schaffe aber Freiräume für Reformen vor Ort, schreibt Ursula Wollasch.

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"Der Weg ist das Ziel!" An diesen Slogan erinnern die Erklärungen der deutschsprachigen Diözesen, mit denen die Menschen in diesen Tagen zur aktiven Beteiligung am weltweiten Synodalen Weg ermuntert werden. In den neunziger Jahren versuchte man mit diesem Motto, Mitarbeitenden in sozialen Einrichtungen Leitbildprozesse schmackhaft zu machen. Viele waren zuerst skeptisch, empfanden aber später die etwas andere Art der Kommunikation als gewinnbringend. Die Leitbilder selber verschwanden allerdings irgendwann in den Schubladen. Droht dem weltweiten Synodalen Weg ein ähnliches Schicksal?

Betrachtet man den weltweiten Synodalen Weg aus der Sicht der Organisationsentwicklung stellt sich das Ganze als ein präzise durchstrukturiertes Projekt dar. Der Ablauf ist im Detail ausgearbeitet und terminiert. Die einzubeziehenden Gruppen und Institutionen, ihre Aufgaben und Rollen werden klar und eindeutig benannt. Vielfältige Formen der partizipativen Beteiligung geben denen, die sich beteiligen wollen, eine Stimme. Niemand soll ungehört bleiben. Auch die Frage nach den Ressourcen wurde nicht vergessen. Es scheint, als ließe dieser Prozess nichts zu wünschen übrig. "Der Weg ist das Ziel!" – Aber was kommt danach?

Der synodale Prozess hat einen genauen Zeitplan. Die einzelnen Etappen bis zur Bischofssynode im Oktober 2023 in Rom sind mit eindeutig definierten Zielen hinterlegt. Konsultationen auf diözesaner Ebene, die sich an die Gläubigen und alle am Leben der Kirche ernsthaft interessierte Menschen richten, bilden den Startpunkt des Prozesses. Papst Franziskus versteht ihn als Selbstvergewisserung einer Kirche, zu deren Wesen es gehört synodal zu sein. Er spricht von einem Lernprozess, in dem das Hören auf den anderen wieder neu entdeckt und eingeübt wird. Es geht ihm um eine neue Kultur des Umgangs miteinander unter der Führung des Heiligen Geistes. Der weltweite Synodale Weg ist nicht zuletzt ein weltweiter spiritueller Prozess, der geprägt sein soll von der Feier der Liturgie, dem gemeinsamen Gebet, von Meditation und Stille.

Prozess erinnert an Methode einer Zukunftswerkstatt

Das Vademecum, das eigens für den Prozess erarbeitetes Handbuch des Synodensekretariats spricht von pastoralen Entscheidungen, die auf diesem Wege vorbereitet werden. Und es deutet auch an, dass eine Veränderung von Strukturen unvermeidlich sein wird. Was aber darunter ganz konkret zu verstehen ist, das verrät das Vademecum nicht. Es wird vielmehr davor gewarnt, sich zu sehr auf die Frage nach Strukturen zu konzentrieren und umfangreiche Papiere zu produzieren. Der Prozess soll "Träume darüber aufkeimen lassen, zu welcher Kirche wir berufen sind." Das Verfahren erinnert an die Methode der Zukunftswerkstatt, die den Teilnehmenden die Gelegenheit gibt, Kritik, Ängste, Ärger, Verletzungen und Zweifel loszuwerden, und sie zugleich anregt, Wünsche, Hoffnungen, Ideale oder eben Träume zu formulieren. Das Vademecum geht davon aus, dass sich in den zusammenfassenden Texten, die von den Ortskirchen zu erstellen sind, beides finden wird – Kritik und Anerkennung, Licht und Schatten. Und was wird daraus?

Eine Zukunftswerkstatt endet nicht mit der Analyse der Situation, sie ist vielmehr der Anfang. Danach wird der bestehende Handlungsbedarf identifiziert. Man definiert eindeutige, überprüfbare Ziele und legt Maßnahmen für deren Umsetzung fest. Eine Zukunftswerkstatt, in der keine konkreten Vorschläge für Veränderungen entwickelt werden, ist für alle Beteiligten eine sehr frustrierende Angelegenheit.  Gleiches gilt für eine Mitgliederbefragung, die den Befragten einen dringenden Handlungsbedarf vor Augen führt und dann ohne praktische Konsequenzen bleibt. Der weltweite Synodale Weg sieht mit der Befragung der Katholikinnen und Katholiken nicht nur die Befragung der internen Bezugsgruppen vor, sondern bezieht auch die externen mit ein, die Kirchen des Ostens, die anderen christlichen Konfessionen und überhaupt alle "Menschen guten Willens". Eine so breit angelegte Befragungsaktion braucht klar definierte Ziele, wenn sie bei den Beteiligten nicht in Enttäuschung über das ausbleibende Ergebnis und Verärgerung über die verschwendete Zeit enden soll. Die Aussicht, dass die Kirche an Ende zwar keine andere ist, aber "anders" sein wird, ist für einen so aufwändig angelegten Prozess viel zu vage.

Papst Franziskus eröffnet die Weltsynode im Vatikan.
Bild: ©KNA/Vatican Media/Romano Siciliani

Anfang Oktober gab Papst Franziskus im Vatikan den Startschuss für den weltweiten synodalen Prozess, der 2023 in eine Bischofssynode zum Thema Synodalität münden soll. Mitte Oktober begann in den Ortskirchen die diözesane Beratungsphase.

Nun könnten die Verantwortlichen einwenden, Synodalität sei eben kein Projekt und sie sei auch kein Reformprogramm für die Kirche. Sie ziele vielmehr auf die persönliche Haltung und einen neuen Stil des Umgangs miteinander. Der weltweite Synodale Weg solle am Ende zu einer neuen, inspirierten und inspirierenden Kultur in der Kirche führen. In diesem Sinne werden im Vademecum sehr ausführlich die dazu notwendigen Haltungen und Verhaltensweisen beschrieben. Aber auch hier fällt auf, dass der Ausblick auf die Umsetzung der Ergebnisse äußerst knapp gehalten ist. Dort, wo man aus Sicht der Organisationsentwicklung Auskunft über Zweck und Ziele des Gesamtprozesses erwartet, befindet sich eine Leerstelle.

Es ist zwar klar, dass die Bischofskonferenzen die Zusammenfassungen der Diözesen bündeln und dann nach Rom senden werden und dass daraus schließlich die Beratungsgrundlage der Bischofssynode entsteht, aber alles andere erscheint als völlig offen. Es gibt kein Sachthema, an dem sich Kontroversen entzünden könnten. Es gibt keine Aussage zu Reformmaßnahmen, die den Prozess von vornherein mit Konflikten belasten würden. Die Bischofssynode selbst scheint überhaupt nicht im Fokus zu stehen. Stattdessen widmet das Vademecum den Ortskirchen mit ihren Akteuren und Aktivitäten die größtmögliche Aufmerksamkeit.

Ortskirche sind "Schlüssel" zur synodalen Kirche

Diese scheinbar überraschende Akzentverschiebung ist kein Zufall. Die Ortskirchen, das heißt die Diözesen, Pfarrgemeinden, Vereinigungen und kirchlichen Organisationen vor Ort sind die zentralen Akteure des ganzen Prozesses. Der erforderliche Aufwand für die Organisation und Koordination der Konsultationen auf der Ebene der Diözese ist sehr hoch. Er lohnt sich nur dann, wenn es letztlich um mehr geht als um ein zehnseitiges Papier, das an eine Bischofskonferenz abzuliefern ist. Und es geht in der Tat um mehr. Das Vademecum erklärt, dass die Ortskirche nicht nur Ausgangspunkt, sondern auch Zielpunkt des weltweiten Synodalen Weges ist.

Die Ortskirche wird als "Schlüssel" zur synodalen Kirche bezeichnet. Ausdrücklich wird betont, dass der Prozess 2023 nicht vorbei ist. Für die Ortskirchen beginnt dann die Umsetzung der Ideen und Vorschläge, die sie im Herbst 2021 eingesammelt haben. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, die zuständigen Kontaktpersonen weiterhin zu beschäftigen, die Ergebnisse sorgfältig zu dokumentieren und die Zusammenfassung "als Prüfstein der Diözese auf dem Weg der Synodalität" zu veröffentlichen. Es wird empfohlen, den Inhalt von den Beteiligten überprüfen zu lassen und ihnen die Chance zu geben, nochmals zu reagieren. "Welche Wege öffnen sich für uns als Ortskirche?" Wenn diese Frage einmal ernsthaft gestellt worden ist, dürfen die Antworten nicht in der Schublade verschwinden.

Synodaler Prozess: Wie die deutschen Bistümer Beteiligung gestalten

Die erste Phase des weltweiten synodalen Prozesses hat begonnen – und gleicht einer großen Mitgliederbefragung der Weltkirche. Wie die deutschen Bistümer vorgehen und wie Gläubige sich am synodalen Prozess beteiligen können, hat katholisch.de zusammengefasst.

Die Ergebnisse aus den Ortskirchen werden im Verlauf des Prozesses auf den verschiedenen Ebenen der Weltkirche immer mehr verdichtet. Wenn sie in der Fülle der Eingaben aus allen Erdteilen nicht untergehen sollen, müssen die Bischöfe für ihre Diözese die pastorale Verantwortung übernehmen. Das Vademecum lässt keinen Zweifel daran, dass genau dieses von ihnen als Hirten, Lehrern und Priestern erwartet wird. Demnach "besteht die vorrangige Aufgabe des Diözesanbischofs im Synodalen Prozess darin, dem gesamten Volk Gottes auf dem Weg zu einer synodalen Kirche die synodale Erfahrung zu ermöglichen." Spiegelt sich dieser Anspruch in den offiziellen Erklärungen der Diözesen wider?

Dieser Satz aus dem Vademecum wirft schon heute ein Licht auf den Charakter und das Ergebnis der Bischofssynode 2023. Es reicht Papst Franziskus offenkundig nicht mehr, im Anschluss an die Treffen in Rom postsynodale Schreiben zu versenden, die mit lehramtlicher Vollmacht einzelne Themen als ausreichend debattiert erklären. Es passt aber auch nicht zur Synodalität, wenn aus Konfliktthemen wie dem Zölibat, den viri probati oder der Priesterweihe für Frauen "einsame" Entscheidung auf der Grundlage des Jurisdiktionsprimats werden.

Denkbar wäre aber eine ortskirchliche Lösung mit Prüfung und Erlaubnis durch den Papst wie es jüngst im Falle der Übersetzung der liturgischen Bücher geschehen ist. Viri probati in den Diözesen Amazoniens und Frauenordination in Europa könnten Ausdruck synodaler Vielfalt sein, welche die Kirche nicht spaltet, sondern eint. Franziskus könnte also im Herbst 2023 den Ball zurückspielen und die Bischöfe an die Aufgaben erinnern, die in ihren Ortskirchen auf sie warten. Er hätte dann zwar nicht die Kirche reformiert, aber immerhin die römische Bischofssynode. Den Boden dafür hat er schon bereitet.

Von Ursula Wollasch

Zur Autorin

Dr. Ursula Wollasch ist freie Autorin und Publizistin. Von 2009 bis 2020 war sie Geschäftsführerin des Landesverbandes katholischer Kindertagesstätten der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Als Theologin und Sozialethikern hat sie zahlreiche Projekte zur Organisationsentwicklung, zum Qualitätsmanagement und zur fachlichen Profilbildung in sozialen Einrichtungen begleitet.