Schweizergarde-Kaplan: "Nachtwachen sind eine gute Zeit für Gespräche"
Seit Mitte Oktober ist Benediktinerpater Kolumban Reichlin (50) der neue Gardekaplan der Schweizergardisten. Im Interview erklärt er, warum er wie Vater und Mutter für die Gardisten ist, wie Seelsorge im Schichtdienst funktioniert und ob Frauen in der Schweizergarde ein Thema unter den Gardisten ist.
Frage: Pater Kolumban, was macht so ein Gardekaplan den lieben, langen Tag?
Pater Kolumban: Das habe ich mich auch gefragt (lacht). Grundsätzlich ist man für die Gottesdienste und für die religiöse Weiterbildung und Glaubensvertiefung zuständig. Man begleitet die Gardisten als Mensch und Seelsorger. Viele von ihnen sind erstmals länger von zu Hause fort. Da kommen alle möglichen Fragen auf, dazu der straffe Alltag. Da ist man dann ein bisschen wie Vater und Mutter für sie mit ihren Anliegen. Man ist auch zuständig für kulturelle Veranstaltungen, Ausflüge und Wallfahrten, die wir nun nach Corona langsam wieder aufnehmen wollen – etwa nach Assisi, Loreto, Montecassino oder zur jährlichen Militärwallfahrt nach Lourdes. Weil nicht alle gleichzeitig fort sein können, finden diese Pilgerfahrten dann nacheinander in drei Gruppen statt.
Frage: Sie organisieren und begleiten diese Fahrten?
Pater Kolumban: Ja. Jetzt, da alle geimpft sind, können wir nächstes Jahr hoffentlich wieder damit starten. Diese Fahrten sind auch für die Gemeinschaftsbildung sehr wichtig, weil die Leute mehr Zeit haben, sich untereinander zu unterhalten und kennenzulernen. Schließlich bin ich seelsorglich auch für die 22 Familien der Gardisten zuständig, die mit ihren Kindern nicht in eine Pfarrei eingebunden sind.
Frage: Kommen auch Gardisten einzeln auf Sie zu und fragen nach einem persönlichen Gespräch? Gehen Sie zu denen auf die Stube?
Pater Kolumban: Bei den Gardisten selbst ist es an Wochenenden, wenn etwas weniger Betrieb ist, üblich, dass der Gardekaplan auf die Posten geht und mit ihnen spricht. Wenn sie stundenlang für sich allein irgendwo sitzen oder stehen, sind dies oft gute Zeiten für ein Gespräch. Mal hören, was sie beschäftigt, wo sie stehen, welche Pläne sie haben. Das ist auch so gewünscht.
„Die Kirche macht viel Wertvolles im Verborgenen und im Stillen – auch in Konfliktherden. Wenn man da vermitteln könnte, welchen Wert und Sinn dieser Einsatz hat.“
Frage: Das heißt: Man sieht Sie schon mal nachts zwischen zwei und drei in einem Kontrollraum stehen, in dem ein Gardist vor Monitoren sitzt?
Pater Kolumban: Wohl weniger zwischen zwei und drei, eher in der Zeit vor Mitternacht. Ich muss mir das einteilen, weil morgens um sechs wieder eine Messe ist. Mir haben Gardisten gesagt, die Nacht sei eine gute Zeit für Gespräche, sie würden das schätzen, auch weil die Wache dann schneller rumgeht.
Frage: Dann wird Seelsorge zur Schichtarbeit?
Pater Kolumban: Ja, in gewisser Weise schon. Aber ich betrachte es als Privileg, als Seelsorger für junge Menschen so viel Zeit zu haben. Mit Familien sind das fast 200 Personen. Da ist man beschäftigt. Wer nachhaltig Kontakt aufbauen will zu jungen Leuten, muss Zeit haben und sich Zeit nehmen.
Frage: Was schwebt Ihnen noch vor?
Pater Kolumban: Ich würde gerne mit Gardisten einige Vatikanbehörden besuchen, damit sie noch besser kennenlernen, in welcher weltumspannenden Einrichtung sie tätig sind. Die Kirche macht viel Wertvolles im Verborgenen und im Stillen – auch in Konfliktherden. Wenn man da vermitteln könnte, welchen Wert und Sinn dieser Einsatz hat.
Frage: Anders als andere Geistliche an der Kurie haben Sie keine anderen Aufgaben in Rom?
Pater Kolumban: Nein.
Frage: Wie lange werden Sie im Vatikan tätig sein?
Pater Kolumban: Meine Ernennung von Ende August ist offiziell auf fünf Jahre angelegt mit der Möglichkeit zu verlängern. Meine Arbeit im Vatikan begonnen habe ich aber erst am 16. Oktober, als ich in einem feierlichen Akt installiert wurde.
Frage: Wie erleben Sie die jungen Männer, die aus der Schweiz hierherkommen? Aus einer Gesellschaft, in der die Kirche nicht das beste Standing hat.
Pater Kolumban: Vorausgeschickt, dass ich erst seit kurzem hier bin, erlebe ich eine sehr gute Grundstimmung. Es ist wie eine große Familie; man sieht sich ständig, kann einander kaum ausweichen. Auch die Offenheit mir gegenüber hat mich überrascht, wie sie auf mich zukommen, Fragen haben, Gespräche beginnen. Wer als Gardist Dienst tut bei der Kirche, hat eine Grundloyalität, auch wenn es viele Bedenken und Unsicherheiten, Enttäuschungen und kritische Fragen gibt. Das ist mir nicht unlieb. Ich mag gerne Menschen, die nicht blind durch die Welt gehen. Diese jungen Menschen spüren intuitiv, was und wer authentisch ist; sie schätzen das. Etwa die Einfachheit und Natürlichkeit beim Papst.
Frage: Sind Sie selbst Franziskus schon begegnet?
Pater Kolumban: Nein, noch nicht. Aber es ist geplant, dass ich mich, begleitet vom Kommandanten, bei ihm vorstellen gehe.
Frage: Mit welchen Erwartungen blicken die Gardisten auf den geplanten Neubau ihrer Kaserne?
Pater Kolumban: Von Gardisten selbst bin ich noch nicht darauf angesprochen worden. Sie werden sich denken: Das betrifft uns eh nicht mehr, weil wir dann wieder weg sind. Es war mal die Rede davon, im kommenden Frühjahr mit dem Bau zu beginnen. Aber das ist kaum realistisch, da offenbar manches auch auf Seiten des Vatikan noch geklärt werden muss. Ursprünglich war gedacht, im Jubiläumsjahr 2027 die neue Kaserne zu beziehen, aber es ist wohl nicht ausgeschlossen, dass man erst in vier oder fünf Jahren mit dem Neubau beginnen kann. Es ist ein ehrgeiziges Jahrhundertprojekt, das allseits gut vorbereitet sein will. Die Entwürfe, die ich gesehen habe, gefallen mir jedoch sehr gut; ich finde sie überaus spannend.
Frage: Es gab Äußerungen, der Neubau sei so geplant, dass auch weibliche Gardisten einmal einziehen könnten. Ist dies unter den derzeitigen Gardisten ein Thema?
Pater Kolumban: Von den Planungen habe ich auch gehört. Ich nehme aber wahr, dass es derzeit kein Thema ist. Letztlich liegt die Entscheidung beim Papst.