Faktencheck: Wollte die EU Weihnachten, Josef und Maria verbieten?
Am Ende musste die EU-Kommissarin für Gleichstellung Helena Dalli einlenken: Am Wochenende hatten italienische Medien über ihren Leitfaden zu inklusiver Kommunikation der EU-Kommission berichtet – eine erhitzte Debatte mit vielen Unterstellungen und Halbwahrheiten über das Dokument, das angeblich das Wort "Weihnachten" verbieten will, folgte, auch Kirchenvertreter äußerten sich kritisch. Am Dienstagnachmittag war der Druck zu hoch: Dalli kündigte auf Twitter an, dass der Leitfaden noch einmal überarbeitet werde. Eigentlich sollte er "die inklusive Natur der Europäischen Union" darstellen – jetzt sei sie aber zu dem Schluss gekommen, dass die Richtlinien diesem Zweck nicht dienten. "Die Guidelines brauchen eindeutig noch etwas mehr Arbeit", verkündete sie.
Kennt man das Dokument nur aus den Überschriften von Medien oder aus empörten Äußerungen von konservativen und rechtspopulistischen Politikern, könnte man Schlimmstes ahnen: "Leitfaden für Political Correctness: EU kippt 'Weihnachten' und 'Maria und Josef' aus dem Vokabular", war etwa bei dem Schweizer Boulevardblatt 20minuten zu lesen. "Genug ist genug: Unsere Geschichte und Identität darf nicht ausgelöscht werden", twitterte die Vorsitzende der rechtsnationalen Partei Fratelli d’Italia, Giorgia Meloni.
Ins selbe Horn stieß am Dienstag Kardinalstaatssekretär Parolin auf "Vatican News". Das Anliegen, Diskriminierungen zu beseitigen, bezeichnete er als richtig. Der von der EU-Kommission eingeschlagene Weg sei aber nicht der richtige. "Denn am Ende besteht die Gefahr, dass sich das gegen die Person richtet und sie sozusagen annulliert", so der Kardinal. Die Tendenz gehe zu einer alles umfassenden Vereinheitlichung. Zugleich beklagte er ein "Verdrängen dessen, was Realität ist". Die Kommission der Bischofskonferenzen der EU (COMECE) reagierte später am Tag mit Genugtuung auf die Rücknahme durch die Kommissarin: "Neutralität kann nicht bedeuten, dass Religion in den privaten Bereich verbannt wird. Weihnachten ist nicht nur Teil der europäischen religiösen Traditionen, sondern auch der europäischen Realität. Die Achtung der religiösen Vielfalt kann nicht zu der paradoxen Konsequenz führen, das religiöse Element aus dem öffentlichen Diskurs zu verdrängen", kommentierte COMECE-Chef Kardinal Jean-Claude Hollerich den Vorgang.
EU-Motto "Vereint in Verschiedenheit" zur Geltung bringen
Doch was steht wirklich in dem umstrittenen Dokument? Auf 32 Seiten geht es ausweislich des Vorworts von Kommissarin Dalli darum, die von der EU-Kommission verwendete Sprache in Text und Bild kritisch zu überprüfen: "Wir müssen jederzeit eine inklusive Kommunikation betreiben und so sicherstellen, dass alle in all unseren Materialien wertgeschätzt und anerkannt werden, unabhängig von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung", so Dalli. Inklusive Kommunikation wird aus den Kernwerten der EU abgeleitet – so werde in der Kommunikation das Motto "Vereint in Verschiedenheit" umgesetzt.
Insgesamt sechs Kapitel geben Richtlinien zu allgemeinen Prinzipien inklusiver Kommunikation, zur Gestaltung von Texten und der Bildsprache, zu Veranstaltungen sowie zu Barrierefreiheit und Zugänglichkeit. Dabei geht es sowohl darum, in der Sprache verschiedene Menschen zu berücksichtigen, als auch technische Leitlinien für die Kommunikation zu benennen – etwa zur barrierefreien Gestaltung von Formularen, Webseiten und Informationen für Menschen mit Behinderungen.
Ein zentrales Prinzip dabei ist, sich darüber bewusst zu werden, dass die EU aus einer Vielzahl an Kulturen besteht mit je eigenen Traditionen, Sprachen und Bräuchen. Die allgemeine Empörung konzentrierte sich auf eine einzige Seite mit der Überschrift "Kulturen, Lebensstile und Glauben". Dort wird auf die Gefahr aufmerksam gemacht, nur die jeweils erlernte Norm zu berücksichtigen, und "den, der von einer privilegierten Norm abweicht, als benachteiligt oder als etwas 'anderes'" darzustellen. Die von der Kommission gewollte Kernbotschaft sei daher, "jegliche Sprache, die irgendeine Art von Intoleranz oder Verurteilung gegenüber einer religiösen Gruppe zum Ausdruck bringt, Stereotypen schürt oder eine religiöse Gruppe ausgrenzt", zu vermeiden. Eingeleitet wird der Abschnitt mit dem Bild eines Mannes in einer Moschee bei der Koranlektüre.
"Vorname" statt “Taufname”
Die als "Dos and Dont's" ausgegebenen grundsätzlichen Richtlinien lesen sich anders, als es die Darstellung von Parolin oder Hollerich erwarten lassen. Während Parolin eine Tendenz diagnostiziert, "alles zu vereinheitlichen und nicht einmal die berechtigten Unterschiede zu respektieren", und Hollerich die Befürchtung äußert, dass "das religiöse Element aus dem öffentlichen Diskurs" verdrängt werde, steht im Text das Gegenteil: Dort wird aufgefordert, "die Vielfalt der Kulturen, Lebensstile, Religionen und sozioökonomischen Hintergründe" unter anderem bei der Planung von Veranstaltungen zu berücksichtigen. In der visuellen Kommunikation sollen "verschiedene Arten von Kulturen, Festen und Ritualen, die in verschiedenen Teilen der EU und in verschiedenen Gemeinschaften beliebt sind", dargestellt werden.
Die größte Empörung zielte auf die sprachlichen Hinweise. So wird etwa die Richtlinie ausgegeben, von "Vorname" ("first name" oder "forename") zu sprechen anstatt von "Taufname" ("Christian name"). Die große Maria-und-Josef-Kontroverse liest sich im Leitfaden ebenfalls anders. Weder sollen die Eltern Jesu auf den Index gesetzt werden, noch geht es darum, christliche oder biblische Namen zu verbieten. Stattdessen lautet die Richtlinie: "Wählen Sie in Beispielen und Geschichten nicht nur Namen, die typisch für eine bestimmte Religion sind". Die Beispielsätze sind dafür "Maria und John sind ein internationales Paar" als Beispiel für einen Satz, in dem nur westliche, christlich konnotierte Namen auftauchen. Stattdessen wird der Satz "Malika und Julio sind ein internationales Paar" vorgeschlagen, in dem der in Nordafrika verbreitete arabische Name Malika und der lateinische Name (und spätere Papstname) Julius in seiner spanischen Form verwendet werden.
Ferienzeit kann anstrengend sein
Tatsächlich wird in einem Beispiel empfohlen, in dem Satz "Die Weihnachtszeit kann anstrengend sein", "Weihnachten" durch "Ferien" zu ersetzen. Zugleich wird aber auch unter den Empfehlungen explizit festgehalten, dass religiöse Feste wie Weihnachten und Chanukka durchaus weiterhin auch so genannt werden sollen. Vorgeschlagen wird eine Formulierung wie "für diejenigen, die Weihnachten, Chanukka feiern". Hintergrund dieser Empfehlung ist der Grundsatz, dass man nicht annehmen solle, dass alle Menschen Christen seien. "Nicht alle feiern die christlichen Feiertage, und nicht alle Christen feiern sie zu denselben Daten", heißt es in der Richtlinie, die auch die abweichenden Festkalender von Ost- und Westkirche im Blick hat: "Seien Sie sensibel für die Tatsache, dass Menschen unterschiedliche religiöse Traditionen und Kalender haben."
Eine weitere Empfehlung im Kontext von Religionen weist darauf hin, dass man geographische Herkunft nicht mit Glaubenszugehörigkeit verwechseln dürfe, etwa indem man "aus dem Nahen Osten" oder "arabisch" als Synonym für muslimisch verwendet oder "Israeli" und "jüdisch" gleichsetzt.
Der interne Leitfaden für die Arbeit der EU-Kommission ist nun vorerst aus dem Verkehr gezogen worden. Welche Überarbeitung sich die zuständige Kommissarin vorstellt, ist noch nicht bekannt. Denkbar ist, dass in einer künftigen Fassung noch weitere Beispiele aus anderen Religionen, Sprachen und Kulturen aufgeführt werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Denkbar ist allerdings auch, dass der Leitfaden das Reizthema Religion aussparen wird und ein eher französisches Verständnis von Laizität Einzug hält, wie es in der EU bisweilen tonangebend ist, das nicht darauf aus ist "verschiedene Arten von Kulturen, Festen und Ritualen" darzustellen. In welche Richtung Kommissarin Dalli hier vorgehen will, wird die Zukunft zeigen.