Vereidigung der neuen Bundesregierung: Mit oder ohne Gottes Hilfe?
Es sind nur fünf kurze Worte, doch ob sie gesprochen werden oder nicht, findet alle Jahre wieder vor allem mediale Beachtung: "So wahr mir Gott helfe". Immer dann, wenn Bundeskanzler oder Bundesminister bei ihrem Amtsantritt vor dem Bundestag den vom Grundgesetz geforderten Eid leisten, sind diese fünf Worte ein Thema. Wer fügt die religiöse Beteuerung am Ende des Eids hinzu und beruft sich damit auf Gottes Hilfe? Wer verzichtet darauf? Und was sagt das eine wie das andere über das Wertefundament und die zu erwartende Amtsführung des jeweiligen Politikers aus?
Angela Merkel (CDU) hat die religiöse Beteuerung bei ihren vier Vereidigungen als Bundeskanzlerin immer mitgesprochen – zuletzt am 14. März 2018. Ihr Nachfolger Olaf Scholz (SPD) wird dies am heutigen Mittwoch dagegen sehr sicher nicht tun. Jedenfalls erklärte der 63-Jährige bereits vor der Bundestagswahl im September, im Fall eines Wahlsiegs den Amtseid bei seiner Vereidigung als Bundeskanzler ohne den Zusatz sprechen zu wollen. "Das habe ich noch nie", sagte der vor einigen Jahren aus der evangelischen Kirche ausgetretene Politiker damals der "Bild am Sonntag" mit Blick auf seine Vereidigungen als Minister und Erster Bürgermeister in Hamburg. Zugleich betonte er jedoch, dass die Werte des Christentums für ihn von zentraler Bedeutung seien: "Dass wir Menschen füreinander verantwortlich sind. Dass wir gegeneinander gerecht sein müssen. Nennen wir es Solidarität oder Nächstenliebe. Diese Werte des Christentums prägen mich sehr."
Vor Scholz verzichtete nur Schöder auf die religiöse Beteuerung
Scholz gehört mit seiner Absage an die religiöse Beteuerung zur absoluten Minderheit unter den bisherigen Amtsinhabern. Vor ihm verzichtete nämlich nur ein Regierungschef auf den Bekenntniszusatz: Gerhard Schröder (SPD). 1998, bei Schröders erster Vereidigung, löste dies eine breite gesellschaftliche Diskussion aus. Die Gottlosen hätten nun das Ruder übernommen, hieß es, Religion werde aus dem öffentlichen Raum gedrängt. Der damalige Erfurter Bischof Joachim Wanke gab zu bedenken, dass mit der fehlenden Rückbindung an eine transzendente Instanz auch andere "letzte Überzeugungen" verloren gingen.
Schröder selbst begründete seinen Verzicht indes mit dem Hinweis, der Glaube sei Privatsache. Schon als Ministerpräsident von Niedersachsen hatte er – obwohl Mitglied der evangelischen Kirche – die religiöse Formel bei seinen Vereidigungen weggelassen und sich dabei auch auf die Bergpredigt berufen. Dort heißt es: "Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde" (Mt 5,34).
Schröders Verzicht stand zudem im Einklang mit der Verfassung. Die stellt es Politikern nämlich frei, ob sie ihren Eid mit der religiösen Formel abschließen. Zwar schreibt Artikel 64 einen Eid für Kanzler und Minister bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag zwingend vor und verweist dafür auf den bereits in Artikel 56 aufgeführten Eid des Bundespräsidenten: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe." Unmittelbar danach heißt es im Grundgesetz aber, dass der Eid "auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden" kann.
Der langjährige Präsident des Bundesverfassungsgerichts und spätere Bundespräsident Roman Herzog schrieb mit Blick auf den Gottesbezug in der Eidesformel einmal: Ein Politiker, der die religiöse Beteuerung verwende, wolle "den rechtlichen Bindungen des Grundgesetzes eine weitere, für ihn besonders verpflichtende, hinzufügen". Dass es in der Tagesarbeit vielleicht nicht immer gelinge, dieser hohen Anforderung gerecht zu werden, sei "kein Beweis gegen den Sinn dieser Selbstverpflichtung". Allerdings, so Herzog weiter, entbehre es "nicht jeder Pikanterie", dass sich ein weltanschaulich neutraler Staat der Gläubigkeit seiner wichtigsten Amtsträger bediene, damit sie sich "weit über die Rechts- und Verfassungsbindung hinaus binden lassen".
Mehrere konfessionslose Mitglieder in der neuen Bundesregierung
Neben Gerhard Schröder haben in der Geschichte der Bundesrepublik bislang nur wenige andere Bundespolitiker auf diese Bindung verzichtet. Einer der ersten war 1969 der SPD-Arbeitsminister Walter Ahrendt; fünf Jahre später sprachen neben Ahrendt auch Werner Maihofer und Josef Ertl von der FDP den Eid ohne Gottesbezug. 1998, beim Start der ersten rot-grünen Bundesregierung, folgten sieben Minister Schröders Vorbild und sprachen den Schlusssatz nicht – darunter Oskar Lafontaine, Joschka Fischer und Jürgen Trittin. Einen "Trend" konnten SPD und Grüne damit aber nicht setzen: 2013, zum Auftakt der zweiten Großen Koalition unter Angela Merkel, fügten alle Minister von Union und SPD ihrem Eid den Zusatz "So wahr mir Gott helfe" an.
Diese Quote wird bei der Vereidigung von Olaf Scholz und seinem ersten Kabinett ziemlich sicher nicht erreicht. Dies dürfte aber nicht nur am ersten konfessionslosen Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik liegen. Mit Robert Habeck (Grüne), Christian Lindner (FDP) und Karl Lauterbach (SPD) sind schließlich noch mindestens drei weitere Vertreter der neuen Ampelkoalition konfessionslos. Hinzu kommen mehrere weitere künftige Ministerinnen und Minister, die über ihren religiösen "Status" öffentlich bislang keine Auskunft gegeben haben. Inwieweit sie sich in ihrer künftigen Amtsführung trotzdem auf die Unterstützung durch eine höhere Instanz verlassen, bleibt somit vermutlich ebenfalls ihr Geheimnis. Klar ist aber: Wer beim Amtseid auf Gottes Hilfe verzichtet, muss nicht unbedingt eine gottlose Politik betreiben.