Neue Vorsitzende: Kirche kann vom BDKJ Demokratie lernen
Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) ist der Dachverband von 17 katholischen Kinder- und Jugendverbänden mit rund 660.000 Mitgliedern. Am vorvergangenen Wochenende wurde Lena Bloemacher als Bundesvorsitzende in den vierköpfigen Verbandsvorstand gewählt. Katholisch sein bedeutet für die 38-jährige Erziehungswissenschaftlerin zugleich politisch zu sein, weshalb sie sich für mehr Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft stark machen will. Im Interview mit katholisch.de spricht Bloemacher darüber, was Jugendliche heute noch von der Kirche erwarten und warum auch Strukturdebatten Ausdruck von gelebtem Glauben sein können. An Menschen, die sich mit einer größeren Vielfalt im Gottes- und Kirchenbild schwertun, hat sie eine klare Bitte.
Frage: Frau Bloemacher, als neue Bundesvorsitzende des BDKJ wollen Sie sich für mehr Jugendbeteiligung stark machen. Im Koalitionsvertrag der seit Mittwoch amtierenden Ampel-Regierung gibt es konkrete Pläne in diese Richtung. Unter anderem sollen eine Kindergrundsicherung eingeführt und das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt werden. Sind Sie mit diesen Schritten zufrieden?
Bloemacher: Mit vielen Punkten im Koalitionsvertrag bin ich sehr zufrieden. Es wird von einem Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung gesprochen und damit kommt das Thema endlich mehr auf den Schirm. Als zentrale Idee werden dann allerdings nur Jugendparlamente genannt. Da wünsche ich mir, dass die Politiker*innen sich einmal anschauen, was es etwa bei uns in den Jugendverbänden schon an Beteiligungsformaten gibt. Wir haben eine große Expertise, die wir zur Verfügung stellen können. Und ich hoffe, dass man uns da hört. Es darf nicht darauf hinauslaufen, dass in Jugendparlamenten stundenlang diskutiert wird und die Ergebnisse am Ende doch keinen Einfluss auf die tatsächliche Politik haben.
Frage: In den bald zwei Jahren der Pandemie ist vieles im Bereich der Jugendarbeit auf der Strecke geblieben oder war nur eingeschränkt umsetzbar. Haben die Verbände ausreichend Unterstützung von der Politik bekommen?
Bloemacher: Nein, diese Unterstützung hat größtenteils gefehlt, gerade am Anfang. Dafür habe ich zunächst auch Verständnis, weil die Situation für alle neu war. Aber nach so vielen Monaten, die wir uns jetzt schon in dieser Pandemie bewegen, bin ich der Meinung, dass die Grundbedürfnisse der Kinder und Jugendlichen viel zu kurz gekommen sind. Und dabei geht es nicht nur um die schulische Bildung, sondern auch um Sozialkontakte und Freizeitgestaltung. Den Kindern und Jugendlichen blieb praktisch nur die Familie als Bezugsort. Das ist vielleicht bei Kindern, die sich in ihrer Familie wohlfühlen, noch in Ordnung, wenn auch nicht perfekt. Aber für Kinder, die in ihrer Familie gefährdet sind, ist das eine Katastrophe. Als Jugendverbände machen wir den Kindern Angebote für eine selbstständige Freizeitgestaltung, aber auch die mussten natürlich massiv eingeschränkt werden. Ich hoffe sehr, dass die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen mehr gesehen werden.
Frage: Wie politisch darf ein kirchlicher Jugendverband sein – beziehungsweise muss er sein? Oder gibt es eine Grenze, an der sich die Kirche aus der Politik heraushalten sollte?
Bloemacher: Katholisch sein ist politisch sein, meiner Meinung nach. Was Jesus getan hat: sich für Arme einzusetzen, Vergebung zu predigen, starke Frauen in sein Umfeld zu holen – all das war politisches Verhalten in seiner Zeit. Von daher bin ich überzeugt, dass wir uns als katholische Kirche politisch verhalten müssen. Die Werte, die unseren Jugendverband prägen, sind mitunter moderner als das, was allgemein in der katholischen Kirche gilt. Umso stärker sehe ich deshalb die Pflicht, mit unseren Überzeugungen zu dieser Gesellschaft und Demokratie beizutragen. Politisch raushalten müssen wir uns höchstens da, wo wir als katholische Kirche Schuld auf uns geladen haben, etwa beim Thema Missbrauch. Da sollten wir engagiert bleiben, aber müssen uns den Entscheidungen und Bedürfnissen der Betroffen unterordnen.
Frage: Was kann die Kirche von einem basisdemokratisch organisierten Verband wie dem BDKJ lernen?
Bloemacher: Erstmal kann die Kirche lernen, wie Parität funktioniert. Alle unsere Ämter sind verpflichtend von gleich vielen Frauen wie Männern besetzt und auch die Geistlichen sind in einen gleichberechtigten Vorstand eingebunden. Frauen sind bei uns selbstverständlich auf allen Ebenen, das sollte sich die Kirche definitiv abschauen. Was sie außerdem lernen kann, ist demokratische Beteiligung. Als Bundesvorstand ist es meine Aufgabe, die Anliegen und Beschlüsse der Mitglieder umzusetzen. Dafür bin ich gewählt und darüber muss ich regelmäßig Rechenschaft ablegen. Ich werde nicht von einer höheren Instanz eingesetzt, sondern eine Gemeinschaft, der ich diene, entscheidet sich für mich. Und wenn ich meine Aufgabe nicht erfülle, werde ich nicht wiedergewählt oder kann sogar abgesetzt werden. Solche Beteiligungsformate und so eine Rechenschaftspflicht fehlen in der kirchlichen Hierarchie aber völlig und ich finde, das muss sich ändern.
Frage: Die Frage nach Macht und Gewaltenteilung ist auch eines der großen Themen beim Synodalen Weg. Glauben die Jugendlichen noch an Veränderungen in der Kirche?
Bloemacher: Ich erlebe, dass die Jugendlichen im BDKJ und vor allem die Jungsynodalen, mit denen der BDKJ eng zusammenarbeitet, mit großer Ernsthaftigkeit an diesem Prozess mitarbeiten und sehr engagiert sind, um unsere Positionen einzubringen – immer in enger Rückbindung an unsere Basis. Aber natürlich gibt es auch Rückschläge, etwa dass die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nicht als Forderung in die Texte des Synodalen Wegs aufgenommen wurde. An diesen Punkten müssen wir gut ausloten, wie wir den Prozess mitgestalten können, ohne Grenzen zu überschreiten, an denen die Enttäuschung zu groß wird. Bisher ist der Wille zur Mitgestaltung ganz klar da, aber wie bei den Jugendparlamenten darf es nicht darauf hinauslaufen, dass wir uns drei Jahre intensiv miteinander beschäftigen und dann sagt am Ende jemand: Ne, jetzt doch nicht. Für die kirchliche Identifikation nicht nur der Jugendlichen wäre es verheerend, wenn die so oft geforderte und dringend notwenige Synodalität letztendlich auf autoritärer Ebene scheitern würde. Das wäre eine große Verletzung, die aber hoffentlich ausbleibt.
„Für die kirchliche Identifikation nicht nur der Jugendlichen wäre es verheerend, wenn die so oft geforderte und dringend notwenige Synodalität letztendlich auf autoritärer Ebene scheitern würde.“
Frage: Bei der BDKJ-Hauptversammlung am vergangenen Wochenende wurde unter anderem ein Beschluss zur "Vielfalt der Gottesbilder" gefasst. Ziel ist es, den Reichtum an Gottesbildern auszuschöpfen, um besser an die Lebenswelt der Jugendlichen anzuknüpfen. In eine ähnliche Richtung ging die viel diskutierte Entscheidung der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ), mit der Schreibweise "Gott*" die Begrenztheit der menschlichen Sprache im Reden über Gott ausdrücken zu wollen. Sind solche Vorhaben anschlussfähig in den Gemeinden oder verschrecken sie die Leute eher?
Bloemacher: Zunächst will ich dazu ein häufiges Missverständnis ausräumen: Die KSJ versteht die Sternchen-Schreibweise nicht als Geschlechterunterscheidung, sondern will – wie Sie schon angedeutet haben – für eine Vielfalt der Gottesvorstellungen sensibilisieren. Und genau das sagt eigentlich auch unser Beschluss vom Wochenende: Wir wollen hin zu einem Gottesbild, das Vielfalt abbildet. Bestimmt gibt es Gläubige, die dazu keinen direkten Zugang haben. Aber die möchte ich bitten, sich einmal so intensiv mit dem Thema zu beschäftigen, wie wir das gerade tun. Ich halte nichts von dieser Hasskultur, in der Menschen ein bestimmtes Stichwort lesen oder ein Sternchen finden und dann mit vernichtenden Worten über andere herfallen. Die Jugendlichen setzen sich so engagiert und differenziert mit ihren Gottesbildern auseinander und da gibt es natürlich auch bei uns eine große Meinungsvielfalt. Genau diesen Prozess wollen wir zu den Leuten bringen und mit ihnen darüber reden, warum er wichtig ist. Den Gläubigen muss erstmal bewusst werden, dass es Alternativen zum Bild von Gott als altem weißen Mann gibt. Meiner Erfahrung nach hilft es zum Beispiel schon, wenn der Priester, die Pastoralreferentin und auch wir Gläubigen nicht nur "er" sagen, wenn wir von Gott sprechen, sondern zwischendurch auch "sie", oder von "Vater und Mutter", was ja sogar biblisch gedeckt ist. Das schafft eine kurze Verwirrung bei den Zuhörer*innen, die zum Nachdenken anregen kann. Das ist ein sehr langer Prozess, der fängt bei der Gestaltung von Kinderbibeln an und hört bei der Predigt auf.
Frage: Aus konservativen Kreisen hört man oft den Vorwurf, der BDKJ würde sich nur an Strukturen abarbeiten und die eigentlich frommen Jugendlichen fänden sich in traditionellen Gruppierungen. Wie reagieren Sie darauf?
Bloemacher: Ich finde es nicht in Ordnung, Katholik*innen in fromm und weniger fromm zu unterteilen. Jeder hat eine eigene Gottesbeziehung und einen eigenen Zugang zum Glauben und da steht es mir nicht zu, das zu bewerten. Wenn man uns als Jugendverband wahrnimmt, dann muss man uns als kompletten Verband wahrnehmen: Der ist spirituell, der ist politisch engagiert, der hat aber auch eine Struktur, mit der er sich beschäftigen muss. Diese Struktur ist wichtig für uns, weil sie unser demokratisches Selbstverständnis sichert und umsetzt. Das klein zu reden in einer Organisation, in der Beteiligung allgemein nicht gut funktioniert, finde ich falsch. Unsere Struktur und unsere gesellschaftspolitischen Debatten tragen genauso zu unserer Identität bei wie die spirituellen Erlebnisse in unseren Jugendgottesdiensten. Das sind beides Ausdrucksformen des Glaubens, die man nicht gegeneinander ausspielen sollte.