Hin zur liturgischen Einheit, weg von der Alten Messe
Papst Franziskus meint es ernst damit, wenn er nichts von einem römischen Ritus in zwei Formen wissen will. Das konnte, wer es wollte, schon im Sommer im Begleitbrief zum Motu Proprio "Traditionis Custodes" (TC) nachlesen: dort forderte er die Bischöfe nachdrücklich auf, "die liturgischen Bücher, die von den heiligen Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. in Übereinstimmung mit den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgiert wurden, als einzige Ausdrucksform der Lex orandi des Römischen Ritus anzusehen". Die von seinem Vorgänger Benedikt XVI. eingeführte Figur eines Ritus, der eine außerordentliche (die vor der Liturgiereform) und eine ordentliche (die der Liturgiereform) kennt, wurde bestenfalls zur pastoralen Großzügigkeit erklärt.
Wie ernst es Papst Franziskus mit seiner Einhegung der vorkonziliaren Liturgie ist, machen nun die "Responsa ad dubia" der Gottesdienstkongregation deutlich, die am Samstag veröffentlicht wurden. Jede der Antworten auf Fragen, die aus dem Kreis der Bischöfe an die Kongregation herangetragen wurden, wählt die strengstmögliche Auslegung der jeweiligen Norm, teilweise werden die Regeln noch über den Wortlaut hinaus verschärft – insbesondere da, wo es um die Befugnisse des Diözesanbischofs geht. Raum für eine versöhnliche Interpretation, dass der Papst ja eigentlich doch in Kontinuität zu seinem Vorgänger und dessen liturgischen Programm steht und nur einige Wildwüchse eindämmen will, kann man nun kaum mehr vertreten.
Der Bischof darf den Weisungen des Apostolischen Stuhls folgen
So ernst es dem Papst mit der Liturgiereform ist, so sehr bleibt dadurch eine andere Ansage aus dem erläuternden Schreiben ein Lippenbekenntnis: "Es war meine Absicht, im Motu Proprio klarzustellen, dass es dem Bischof als Leiter, Förderer und Wächter des liturgischen Lebens in der Kirche, in der er das Prinzip der Einheit ist, zukommt, die Feier der Liturgie zu ordnen." Das schien schon auf Grundlage des Wortlauts des Motu Proprio eine sehr beschönigende Darstellung. Die Formulierung findet sich dort wieder als Artikel 2. Angefügt wird aber ein weiterer Satz: "Daher ist es seine [des Diözesanbischofs] ausschließliche Zuständigkeit, den Gebrauch des Missale Romanum von 1962 in seiner Diözese zu gestatten und dabei den Weisungen des Apostolischen Stuhles zu folgen."
Die jetzt veröffentlichten Antworten zeigen, wo dieser Satz zu betonen ist: auf dem zweiten Glied. Die Freiheit und Vollmacht des Diözesanbischofs liegt darin, den Weisungen des Apostolischen Stuhls zu folgen und seine Priester zur liturgischen Einheit hin und damit weg von der Alten Messe zu führen. Was das konkret bedeutet, wird schon beim ersten Dubium deutlich. Dort wird gefragt, ob der Diözesanbischof falls notwendig die Feier der Alten Messe in einer Pfarrkirche gestatten darf. Genauer: Kann er die Gottesdienstkongregation um eine Ausnahme von der Bestimmung von TC bitten, dass die Alte Messe nicht in Pfarrkirchen gefeiert werden darf? Die Frage nimmt schon die Prämisse vorweg, dass es einer Sondergenehmigung zur Abweichung bedarf, und die Antwort ist restriktiv: Die Genehmigung wird nur in Fällen erteilt, "in denen feststeht, dass es unmöglich ist, eine andere Kirche, ein Oratorium oder eine Kapelle zu benutzen". Die Beurteilung dieser Unmöglichkeit müsse mit äußerster Sorgfalt erfolgen, und mehr noch: In der Gottesdienstordnung der Gemeinde darf die Alte Messe nicht auftauchen, und sie soll auch nicht gleichzeitig zu anderen pastoralen Aktivitäten der Gemeinde stattfinden.
Alte Messe in Pfarrkirchen bleiben die absolute Ausnahme
Das ist eine Regelung, die die Rechte des Diözesanbischof erheblich einschränkt. Gemäß dem universalen Kirchenrecht kann der Diözesanbischof Gläubige von Disziplinargesetzen dispensieren – auch von allgemeinen, also vom Papst gesetzen (can. 87 § 1 CIC). Von dieser Möglichkeit im Zusammenhang mit der Regelung zu Pfarrkirchen hat neben einigen US-Bischöfen anscheinend auch der Erzbischof von Freiburg mit seinem Allgemeinen Ausführungsdekret zu TC Gebrauch gemacht, das er im September übergangsweise erlassen hatte. Darin hatte er "für die Übergangszeit" bis zu einer neuen Regelung die bislang für die Alte Messe vorgesehenen Pfarrkirchen in Walldürn und Freiburg dispensiert. Insbesondere in der an Kirchen nicht eben armen Bischofsstadt dürften die nun geäußerten strengen Kriterien für eine Ausnahme kaum zutreffen. In Deutschland mit seinen vielen Kirchengebäuden ist die neue, strenge Interpretation kein Problem – ganz anders dürfte es in Hochburgen der Alten Messe wie den USA aussehen, wo die Kirche jünger ist und weniger "überzählige" und historische Kirchengebäude zur Verfügung stehen.
Das zweite aufgeführte Dubium widmet sich einer Frage, die weltweit kontrovers diskutiert wurde: wie mit liturgischen Formen außerhalb der Messe zu verfahren sei. Bezieht sich TC lediglich auf die Feier der Messe und lässt die Feier von Sakramenten und Sakramentalien ungeregelt, die Rechtslage dafür also unverändert? Oder muss man TC, obwohl dem Wortlaut nach dort nur die Feier der Messe reguliert wird, dem erklärten Willen des Gesetzgebers entsprechend weit auslegen und auch die Spendung von Sakramenten nach den liturgischen Büchern in der Fassung vor der Liturgiereform als grundsätzlich abgeschafft betrachten? Die Ausführungsbestimmungen im Bistum Rom wählten die zweite Interpretation, die im Erzbistum Freiburg die erste. In einer als Fußnote beigegebenen nichtamtlichen Erläuterung wird argumentiert, dass TC sich nur mit der Messfeier, nicht mit der Spendung anderer Sakramente (oder Sakramentalien) nach der "alten" Ordnung befasse und somit die von Benedikt XVI. im Motu Proprio "Summorum Pontificum" erteilte Erlaubnis zur Feier der Sakramente in der vorkonziliaren Form weiterhin gültig sei; lediglich die Zuständigkeit für die Genehmigung wechsle nach der Freiburger Interpretation vom Pfarrer auf den Bischof.
Kaum mehr Sakramente in der alten Form
Kirchenrechtlich ist die Freiburger Auslegung naheliegend: Ähnlich wie im weltlichen Recht gilt auch im kirchlichen Recht die Auslegungsregel, dass Gesetze, die "die freie Ausübung von Rechten einschränken oder eine Ausnahme vom Gesetz enthalten", einer engen Auslegung unterliegen (can. 18 CIC). Versteht man TC als Einschränkung zuvor gewährter Rechte, wäre diese Regel einschlägig. Man dürfte dann nicht einfach aus den Regeln für die Feier der Messe in TC einen Analogieschluss auf die im Motu Proprio gar nicht geregelten anderen Sakramentenfeiern ziehen. Die Gottesdienstkongregation sieht es aber anders: Wenn TC die "vorausgehenden Normen, Instruktionen, Gewährungen und Gewohnheiten, die nicht dem entsprechen, was in diesem Motu Proprio festgelegt wird", außer Kraft setzt (Art. 8 TC), dann ist für die Kongregation damit auch "Summorum Pontificum" in Gänze gemeint, nicht nur in den Punkten, in denen TC explizit andere Regelungen trifft.
Sakramente in der alten Form können nur in "kanonisch errichteten Personalpfarreien" gefeiert werden, nicht in jeder Gottesdienstgemeinschaft, die die alte Form feiert, und auch lediglich die Sakramente, die im "Rituale Romanum" von 1952 zu finden sind; Priesterweihen, die im "Pontificale Romanum" zu finden sind, dürften demnach wohl gar nicht mehr in der alten Form gespendet werden – das würde auch der dem Diözesanbischof zugedachten Rolle des Anwalts der einheitlichen Liturgie zuwidersprechen. Von Beerdigungen ist keine Rede, da diese aber im "Rituale Romanum" beschrieben sind, dürften sie in Personalpfarreien weiterhin in der vorkonziliaren Form möglich sein. Doch derartige Personalpfarreien gibt es im deutschsprachigen Raum lediglich im Schweizer Bistum Chur. Neue dürfen, da war bereits das Motu Proprio selbst eindeutig, nicht errichtet werden. Faktisch dürfte das außerhalb von Gemeinschaften wie der Petrusbruderschaft in Deutschland größtenteils das Aus für Sakramente außerhalb der Eucharistie in der vorkonziliaren Form bedeuten. In Orden und Gemeinschaften, die die 1962er Form anwenden, dürften wohl auch noch Priesterweihen möglich sein, da sie nicht in der Zuständigkeit der Gottesdienstkongregation liegen.
Dass mindestens zwei Regelungen der Freiburger Bestimmungen wahrscheinlich kaum mehr zu halten sind, liegt nicht etwa daran, dass dort eine besondere Sympathie für die Alte Messe bestünde. Das Freiburger Ausführungsdekret trägt die Handschrift des soliden Kirchenrechtlers, der an seiner Spitze steht, der schlicht kanonistisches Handwerkszeug anwendet und damit folgerichtig zu Entscheidungen kommt, die eher auf Kontinuität als auf Revolution setzen. Die Stoßrichtung der Gottesdienstkongregation – und damit wohl des Papstes – ist das aber nicht, und das steht auch in den Responsa. Es gelte, in die "vom Motu proprio angegebenen Richtung voranzuschreiten" und diese Richtung zu bekräftigen, heißt es an einer Stelle.
Einschränkungen für Priester, die nach der alten Form zelebrieren wollen
Wer nicht in diese Richtung geht, hat es nun noch schwerer. Generell wird es den Gottesdienstgemeinden für die vorkonziliare Messe nicht einfacher gemacht, Zelebranten zu finden. Priester, die nach Erscheinen von TC geweiht werden, brauchen für die Zelebration nach dem alten Messbuch eine Genehmigung ihres Bischofs, die dieser erst erteilten darf, nachdem er den Apostolischen Stuhl konsultiert hat – so jedenfalls die deutsche Textfassung von Art. 4 § 1. Im maßgeblichen lateinischen Normtext heißt es dagegen "a Sede Apostolica licentiam rogabit" – der Bischof konsultiert demnach nicht nur, sondern erbittet eine Erlaubnis. "Dabei handelt es sich nicht nur um eine beratende Stellungnahme, sondern um eine notwendige Ermächtigung, die dem Diözesanbischof von der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung erteilt wird", erläutert nun die Kongregation ohne Interpretationsspielraum. Beibehalten wird lediglich, dass die Federführung der Zentrale als subsidiäre Unterstützung dargestellt wird: "Diese Regel will dem Diözesanbischof bei der Beurteilung eines solchen Ersuchens helfen".
Was der Diözesanbischof allerdings uneingeschränkt darf, ist die Zelebrationserlaubnis zeitlich einzuschränken; das sei auch "empfehlenswert", um nach Ende des festgelegten Zeitraums genau zu überprüfen, wie der so ermächtigte Priester mit der Sondergenehmigung zur Feier der sogenannten Alten Messe umgegangen ist. Die Erlaubnis ist zu widerrufen bei Priestern, die sich insbesondere bei der Chrisammesse der Konzelebration in der Form der Liturgiereform verweigern. Fast schon von selbst versteht sich, dass die Erlaubnis nur in der jeweiligen Diözese gilt (was die Möglichkeit der Zelebration von Gästen deutlich einschränkt und Kongresse und andere Zusammenkünfte von Traditionalisten besonders erschweren dürfte) und auch vertretungsweise zelebrierende Priester eine formale Berechtigung benötigen. Eine solche Berechtigung braucht es nun auch für Diakone und zu Diensten Beauftragte, die an der Feier nach dem Missale Romanum von 1962 teilnehmen. Dieses Erfordernis war so nicht aus dem Motu Proprio herauszulesen. Je nach Auslegung von "zu Diensten Beauftragte" kann diese Klausel sehr weitreichend sein: Wenn damit alle gemeint sind, die liturgische Dienste wahrnehmen, wären sogar Ministranten erfasst. Der Wortlaut "Beauftragte" deutet zwar an, dass damit nur Dienste gemeint sind, für die eine Beauftragung notwendig ist – angesichts der expansiven Stoßrichtung heißt das aber nicht, dass das wirklich damit gemeint ist.
Die Konfliktlinien wurden schärfer gezogen
Weitere Regeln schränken die Möglichkeit der Bination, also der mehrfachen Messfeier an einem Tag ein: Wer werktags regulär eine Messe in der Form der Liturgiereform leitet, darf am selben Tag keiner zweiten Messe in der alten Form vorstehen, und auch zwei Messen in der alten Form am selben Tag sind für denselben Priester nicht zulässig. In beiden Fällen liege weder ein "gerechter Grund" noch eine "pastorale Notwendigkeit" vor, die vom Kirchenrecht für die Erlaubnis zur Bination gefordert werden, da das Recht der Gläubigen, die Eucharistie zu feiern, in keiner Weise verweigert werde, "da ihnen die Möglichkeit geboten wird, an der Eucharistie in ihrer derzeitigen rituellen Form teilzunehmen". Über Sonn- und Festtage wird nichts geregelt; es gibt aber auch keine Anhaltspunkte, warum dieselbe Argumentation nur für Werktage greifen sollte. Für die nun in der Volkssprache zu haltenden Lesungen können Gesamtausgaben der Bibel verwendet werden – was nicht überrascht, da im Messbuch von 1962 die Lesungen nur auf Latein enthalten sind. Überraschender ist, dass volkssprachliche Lektionare, die den Lesezyklus des vorherigen Ritus wiedergeben, nicht genehmigt werden können. Die Begründung ist nicht ganz eingängig: Das Lektionar der Liturgiereform im Gegenzug zum Messbuch, das zuvor alle Lesungen enthielt, sei eine wertvolle Frucht des Konzils, das den Wunsch umsetzt, den "Tisch des Gotteswortes reicher zu bereiten" – anscheinend wird angenommen, dass ein 1962er-Lektionar mit dem deutlich geringeren Umfang an verwendeten Schrifttexten dieses Ziel konterkarieren würde.
Die neue Regelung zur Alten Messe zielt auf die Einheit der Kirche. In der gesamten Kirche des Römischen Ritus soll "ein einziges und übereinstimmendes Gebet" wieder hergestellt werden. Einheit betont auch Liturgiepräfekt Arthur Roche in seinen einleitenden Worten zu den Responsa. "Es ist traurig zu sehen, wie das tiefste Band der Einheit – die Teilhabe an dem einen gebrochenen Brot, das Sein Leib ist, der geopfert wird, damit alle eins seien (vgl. Joh 17,21) – zu einem Grund für Spaltung wird", so der Erzbischof. Und auch, wenn er betont, Hirten sollen sich "nicht zu unnützen Streitereien hinreißen lassen, die nur zu Spaltungen beitragen und bei der das Rituelle oft für ideologische Ansichten instrumentalisiert wird": Auf dem Weg zurück zu liturgischer Einheit scheinen der Papst und sein Präfekt bereit zu sein, einiges Porzellan zu zerbrechen. Die Responsa haben einiges klarer gemacht. Sie haben damit aber auch die Konfliktlinien umso schärfer gezogen.