Kirche in Spanien lehnt unabhängige Missbrauchsstudie weiter ab
Die Aufarbeitung sexueller Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ist in vielen Ländern inzwischen ein Ereignis von nationaler Tragweite sowie ein wichtiger Fixpunkt für die Kirche geworden, um Vertrauen zurückzugewinnen. Bereits 2018 wurde in Deutschland die sogenannte MHG-Studie veröffentlicht, die Fälle von sexuellem Missbrauch in der Kirche zwischen 1946 und 2014 statistisch erfassen sollte. Weit mehr als 37.000 Fälle wurden seinerzeit registriert. Im Oktober legte in Frankreich die Ciase ihren Bericht vor, der – trotz aller Kritik an der Methodik – auf ein noch düstereres Ergebnis kommt.
In Spanien hingegen sprach sich die Kirche bislang immer gegen eine allgemeine und statistische Untersuchung aus. Stattdessen solle jeder Fall weiterhin einzeln geprüft werden. Dafür wurden im vergangenen Jahr Hilfsbüros eingerichtet, an die sich mutmaßliche Betroffene wenden können. Bisher seien dort allerdings kaum Anzeigen und Beschwerden eingegangen, so die Bischofskonferenz.
Die Recherchen von "El Pais"
Bei Spaniens größter Tageszeitung, "El Pais", hingegen schon. In einer großangelegten Langzeit-Recherche richtete die linksliberale Zeitung vor drei Jahren ein E-Mail-Postfach für Beschwerden sowie ein Register mit Betroffenen von sexuellem Missbrauchs in der katholischen Kirche ein. Ergebnis: 600 Nachrichten und 251 Anzeigen. 220 Fälle haben sich laut dem Register erst nach 2001 zugetragen. Mit Blick auf die gesammelten Zeugenaussagen könnte es in den vergangenen Jahrzehnten allerdings Tausende Betroffene gegeben haben, schreibt die Zeitung.
Das Reporterteam übergab Papst Franziskus die 385-seitigen Rechercheergebnisse während seiner jüngsten Reise nach Zypern und Griechenland – öffentlichkeitswirksam im Flugzeug. Das Kirchenoberhaupt setzte sich danach sofort mit dem Vorsitzenden der Spanischen Bischofskonferenz, Barcelonas Erzbischof Juan Jose Omella, in Verbindung, und wies die Glaubenskongregation an, das Material und die Missbrauchsvorwürfe zu untersuchen. Auch die Spanische Bischofskonferenz befasst sich bereits mit der Auswertung. Insgesamt 31 Diözesen und 31 Ordensgemeinschaften sind von den Missbrauchsvorwürfen betroffen.
77 Prozent der mutmaßlichen Missbrauchsfälle ereigneten sich demnach in religiösen Ordensgemeinschaften, die nicht der direkten Kontrolle und Verantwortung der Bischofskonferenz unterliegen. Der in Spanien von den Missbrauchsskandalen betroffene Maristen-Orden verurteilte in einer offiziellen Erklärung bereits "diese schrecklichen Ereignisse" und entschuldigte sich bei den Betroffenen dafür, nicht in der Lage gewesen zu sein, "sie zu schützen, sich um sie zu kümmern". "Wir haben eine Untersuchung eingeleitet, um die Ereignisse zu klären. Die Opfer stehen bei uns an erster Stelle. Wir glauben an ihr Wort und stehen ihnen für alles zur Verfügung, was sie brauchen", heißt es.
Orden äußern sich zu Fällen
Auch andere spanische Ordensgemeinschaften, in denen es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein soll, äußerten sich ähnlich. Der Salesianer-Orden erklärte nach den Rechercheergebnisse von "El Pais", im südspanischen Sevilla bereits Ermittlungen eingeleitet zu haben. "In einigen der auftauchenden Fälle gibt es sehr vage Referenzdaten, die aber trotzdem untersucht werden", sagte ein Sprecher der Salesianer spanischen Medien. In einem der konkreten Fälle sei der beschuldigte Geistliche bereits 1976 gestorben.
Auch die spanischen Augustiner verurteilen die mutmaßlichen Missbrauchsfälle in ihren Ordensniederlassungen im nordspanischen Santander sowie in der Mittelmeermetropole Valencia. Man habe keine Kenntnisse von diesen Vorfällen gehabt, die nun untersucht würden.
Bischofskonferenz weiter gegen Untersuchung
Abgesehen von den konkreten Missbrauchsfälle dürften die Untersuchungen allerdings noch weitergehen. Eine 2019 von Papst Franziskus verabschiedete Norm zur Beendigung der Vertuschung von Missbrauchsfällen verpflichtet jeden Bischof oder Ordensoberen, eine interne Untersuchung zu einem möglichen Fall einzuleiten. Der Bericht von "El Pais" soll dabei eine Liste dutzender Kardinäle und Bischöfe enthalten, die in jüngster Vergangenheit entweder Untersuchungen nicht eingeleitet oder sogar Verdächtige gedeckt haben sollen.
Obwohl der Bericht keine persönlichen Daten der Betroffenen enthält, um deren Anonymität zu gewährleisten, erklärte sich "El Pais" bereit, dem Vatikan die Kontakte zu den Betroffenen zur Verfügung zu stellen.
Trotz der Vorwürfe und der zu erwartenden Untersuchungen der vatikanischen Glaubenskongregation spricht sich die Spanische Bischofskonferenz bis auf weiteres gegen eine unabhängige Untersuchung von Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche aus. In einer am Montag veröffentlichten Erklärung bekräftigten die Bischöfe ihr "Interesse und ihre Bereitschaft, eine Untersuchung aller Missbrauchsfälle durchzuführen" und ermutigten "alle Opfer, Anzeige zu erstatten".
Angaben aus "El Pais" sollen konkretisiert werden
Mit Blick auf die Recherchen von "El Pais" begrüße die Spanische Bischofskonferenz "alle Initiativen von Institutionen und Medien", die dazu beitragen, "die Geißel des sexuellen Missbrauchs" gegen Minderjährige oder schutzbedürftige Menschen in der Kirche oder in der Gesellschaft zu beenden. Die spanischen Bischöfe hielten es aber auch für "wünschenswert", die in dem erwähnten Bericht enthaltenen Anschuldigungen zu konkretisieren, "vor allem dann, wenn die Namen der Angeklagten fehlen, die Jahre, in denen die Misshandlungen aufgetreten sind, oder sie sich auf Verstorbene beziehen", heißt es in dem Text.
Die Bischofskonferenz wünsche, dass die Informationen "auch an die Ämter für Jugendschutz und Missbrauchsprävention in den Diözesen und Ordensgemeinschaften übermittelt werden, um die auf der Grundlage der Informationen sachgerechten Ermittlungen durchführen zu können".