Wer leitet die Pfarrei, wenn kein Priester mehr da ist?
50 Jahre Pastoralreferentinnen und Referenten: Prophetinnen, Propheten sollen sie sein, Anwälte, heilsame Irritation bringen. Gerade aus dem Mund von Bischöfen geht das runter wie Öl. Aber auch von Kompetenzgerangel und "Kindern des Priestermangels" ist die Rede. Nach 50 Jahren scheint noch immer unklar zu sein, ob sie nun ein kirchliches Amt bekleiden. Vor 30 Jahren hat mich mein Bischof mit dem pastoralen Dienst beauftragt. Er hat uns schon damals ganz selbstverständlich Seelsorger genannt. Und von Anfang an die Unterscheidung in Pastoral- und Gemeindereferenten aufgehoben.
Aktuell gestaltet das Bistum Münster – wie fast alle Diözesen – die pastorale Struktur neu. Beim Auftakt dieses Prozesses zeigte sich die Bistumsleitung tief betroffen von der Tatsache, dass erstmals in der weit über tausendjährigen Geschichte des Bistums 2022 kein einziger Priester geweiht wird. In ganz Deutschland stehen immer weniger Priester für die Leitung der wachsenden Pfarreien und Räume zur Verfügung. Gleichzeitig drängen Priester zunehmend in Orden, in die Emeritierung und in die zweite Reihe. Vor Kurzem noch hat man für das Ideal, dass ein Pfarrer eine Pfarrei zu leiten hat, selbst jahrhundertealte Pfarreien per Rechtsakt aufgehoben. Die Zahl der Pfarreien sollte der Zahl der zukünftigen leitenden Pfarrer angepasst werden.
Wer wird Pfarreien und Gemeinden leiten, wenn die Pfarrerzahlen noch weiter sinken?
Aber wie lange kann man einen solchen Weg gehen? Wer wird Pfarreien und Gemeinden leiten, wenn die Pfarrerzahlen noch weiter sinken? Merkwürdig verdruckst wird diskutiert, wenn dann Laien im pastoralen Dienst ins Spiel gebracht werden. Man dürfe Laien nicht klerikalisieren, denn das Hirtenamt komme nur dem Pfarrer zu. Andere Bistümer setzen dennoch zunehmend auf Laien im kirchlichen Dienst. Das sind spannende Prozesse. Wie wird sich die Rolle der Pastoral- und Gemeindereferenten bis zum nächsten Jubiläum verändern? Wird dann die Pastoralreferentin die Frau Pastor sein?
„Ich habe meinen Beruf nie als Alternative für zölibatsscheue verhinderte Priester verstanden, selbst wenn es einzelne Kollegen und sogar Kolleginnen gibt, die gern Priester oder Priesterin geworden wären.“
Im Grunde gibt es meine Berufsgruppe länger als ein halbes Jahrhundert. Schon in den 1920er Jahren zeigte sich, dass die Priester Unterstützung in der Seelsorge brauchten, gerade auch die Hilfe von Frauen. Neben Ordensschwestern wurden Seelsorgehelferinnen ausgebildet, die sich um Katechese, Kirche, Frauengruppen, Pfarrbüro und mehr kümmerten. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entdeckte man in dem Beruf eine Form des Laienapostolates und wertete ihn auf. Neben Frauen wurden nun Männer ausgebildet. Es wurden Volltheologen eingestellt, die in ihrer Qualifikation den geweihten Kollegen in nichts nachstanden.
Ich habe meinen Beruf nie als Alternative für zölibatsscheue verhinderte Priester verstanden, selbst wenn es einzelne Kollegen und sogar Kolleginnen gibt, die gern Priester oder Priesterin geworden wären. Manches Bistum stellte erst später Männer ein, um nicht potentielle Priesteramtskandidaten zu verlieren. Und es blieb ein wesentlicher Teil der bischöflichen Rahmenordnungen und ihres Verwaltungshandelns, dass wir Laien auch Laien bleiben sollten. Immer wieder wurden Berufskollegen energisch in ihre Schranken gewiesen. Manch einer hat eine Abmahnung in der Personalakte, weil er zwar richtig predigte, aber leider an der falschen Stelle.
Wer möchte dauerhaft im Schatten der eigentlichen Amtsträger stehen?
De facto gelingt es heute in keiner Diözese mehr, die ordentliche Seelsorge und den "Betrieb" der Gemeinden ohne Laien in kirchlichen Berufen zu gewährleisten. Einige von uns werden als "bunte Vögel" wahrgenommen und manche präsentieren sich auch so. Aber, wer möchte dauerhaft im Schatten der eigentlichen Amtsträger stehen und seinen Dienst unauffällig tun? In unserer Ausbildung wurde uns das Ziel vor Augen gestellt, man möge Ehrenamtler so befähigen, das man selbst überflüssig werde. Meine Berufserfahrung zeigt mir, dass das Unsinn ist. Allenfalls sollte man sich nicht als Person unentbehrlich machen. Aber letztlich ist man ja selbst Werkzeug der Evangelisierung.
De facto entsteht durch den Priestermangel ein Vakuum, das Laien in zuvor priesterliche Aufgabenbereiche bringt, ohne dass deren theologischer Ort klar definiert ist. Es gibt Kollegen, für die ist das gar kein Problem, sie würden auch taufen und trauen und Gemeinden leiten. Andere lehnen entschlossen ab, was sie in die Nähe einer priesterlichen Rolle bringt, meiden liturgische Kleidung, wünschen sich Leitungsteams mit Ehrenamtlern. Wie in einem Brennglas zeigen sich Unschärfen und Probleme der amtlich-sakramentalen Struktur der Kirche im Beruf der Pastoral- und Gemeindereferent*in. Leider ist es in den 50 Jahren der Existenz dieses Berufsstandes nicht gelungen, den Ort der Laienseelsorger in der theologisch-amtlichen Konstruktion von Kirche und Gemeinde stimmig zu definieren.
Theologische Idee und Wirklichkeit
Dass beim Synodalen Weg das Priesteramt in Frage gestellt wird, sollte Bischöfen und lehramtstreuen Katholiken weniger als Aufreger dienen, sondern vielmehr nachdenklich machen. Klaffen etwa schöne theologische Idee und Wirklichkeit so weit auseinander, dass die sakramentale Weihe obsolet erscheint? Ich bin schon häufig im Rahmen von Trauerfeiern als "Herr Pastor" angesprochen worden. Die Menschen unterscheiden da nicht (mehr), ob ihnen als Gesicht der Kirche nun ein Diakon, Gemeinde-/Pastoralreferent oder Pfarrer entgegen kommt. Hauptsache, sein Dienst gelingt, ist hilfreich und relevant für sie.
Trotzdem, zu zwei Fragen erhoffe ich mir bald mehr Klarheit: Was ist das Eigentliche des priesterlich/bischöflichen Leitungsdienstes und wie wird das sichtbar und spürbar? Um dieses Thema mogelt sich die gelebte Theologie in den Bistümern seit Jahren herum. Damit setzt man letztendlich das priesterliche Amt aufs Spiel. Das Charisma der Leitung eines geweihten Priesters erschöpft sich nicht in der mehr oder weniger gut ausgefüllten Rolle des Chefs. Das Amt wird nicht attraktiver, wenn im Zweifel alle nach meiner Pfeife tanzen müssen. Wer Leitung nicht auch teilen und delegieren kann, der ist am Ende für alles und jedes allein verantwortlich und kommt in Arbeit um. Wer Letztverantwortung der Geweihten will, fordert ja, dass sie auch für kirchliches Versagen alleine gerade zu stehen haben. Das Phänomen zeigt sich deutlich in der Missbrauchskrise.
„Ich bedauere es sehr, dass über das Motu proprio "Antiquum ministerium", mit dem Papst Franziskus das Amt des Katecheten in der Kirche fest eingerichtet hat, in Deutschland fast nicht debattiert wird.“
Angesichts des Priestermangels erwarte ich eine klare Antwort der Kirche, wie und durch wen Leitung und Organisation von Gemeinden, Gruppen und Institutionen funktioniert, wenn kein Priester präsent ist. Wir dürfen Dienste von Laien oder Diakonen nicht abwerten, um das priesterliche Amt zu profilieren. Es erhebt dieses nämlich nicht, wenn Gläubige empfinden, dass eine aus der Hand des Priesters gespendete Kommunion heiliger sei als jene, die mir ein Laie reicht. Da wo Priester mit einer Vielzahl an Aufgaben überfordert sind, braucht es klare Beauftragung und Sendung von Laien, auch für Predigt, Taufe und Trauassistenz. Ich wünsche mir als Laie kein Kompetenzgerangel, möchte aber auch niemanden vertrösten oder wegschicken, der sich an die Gemeinde wendet. Daher braucht es Klarheit im Grundsätzlichen und Vertrauen im Detail.
"Ich leite die Gemeinde ..."
Ich bedauere es sehr, dass über das Motu proprio "Antiquum ministerium", mit dem Papst Franziskus das Amt des Katecheten in der Kirche fest eingerichtet hat, in Deutschland fast nicht debattiert wird. Nicht einmal beim Synodalen Weg. Noa, ein befreundeter Katechist in Uganda stellt sich mir ganz selbstbewusst so vor: "Ich leite die Gemeinde ..." in seinem ugandischen Dorf. Hierzulande berichten sogar überregionale Tageszeitungen, wenn eine Frau die Leitung einer katholischen Gemeinde übernimmt. Der Papst schreibt: "Zahlreiche fähige, standhafte Katecheten leiten auch in unseren Tagen in verschiedenen Regionen der Welt Gemeinden und üben bei der Weitergabe und der Vertiefung des Glaubens eine unersetzliche Mission aus."
Er verweist auf vielfältige und gleichwertige Dienste, die es in der Leitung der Gemeinden genauso braucht wie Priester. Ich kann mir auch hier haupt- und nebenberufliche Katechisten vorstellen, die das Gemeindeleben vor Ort zusammen mit ehrenamtlich engagierten Gemeindemitgliedern gestalten. Das ist für mich das kirchliche Amt des Pastoralreferenten, eingebunden in eine Vielfalt von Ämtern, Diensten und verschiedenen engagierten Menschen, die wertschätzend und einander ergänzend in den Dörfern, Quartieren, Einrichtungen und Städten für die Sache Jesu begeistern.
Der Autor
Markus Gehling (*1967) ist nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann seit 1991 im pastoralen Dienst des Bistums Münster tätig. Seit 2013 ist er Pastoralreferent in der Pfarrei St. Peter und Paul Voerde und seelsorglich hauptsächlich in den Gemeinden St. Paulus Voerde und St. Barbara Möllen tätig.