Einziger Kirchenmann aus den heutigen Niederlanden auf dem Stuhl Petri

Vor 500 Jahren wurde Hadrian VI. zum Papst gewählt

Veröffentlicht am 09.01.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Das Grabmal von Papst Hadrian VI.
Bild: © KNA-Bild

Rom ‐ Die Karriere von Adrian Florensz ist einzigartig: Der spätere Papst Hadrian VI. war Theologieprofessor, kaiserlicher Erzieher und Statthalter in Spanien. Außerdem ist er der bislang einzige Bischof von Rom, der aus den Niederlanden stammte. Vor 500 Jahren wurde er auf den Papstthron gewählt.

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Die Zeit drängte. Schon seit zwei Wochen waren die Kardinäle zum Konklave versammelt, um einen Nachfolger für Papst Leo X. zu wählen, bisher noch ohne Erfolg. Eine Einigung schien nicht möglich, da die Parteiungen unter den Kardinälen zu stark waren. So stand vor dem Wahlgang am 9. Januar 1522 Kardinal Giulio Medici auf und schlug seinen Mitbrüdern die Wahl eines Kardinals vor, der nicht am Konklave teilnahm: Adrian Florenszoon Boyens, ein gebürtiger Niederländer und Bischof von Tortosa in Spanien sowie Statthalter Kaiser Karls V. in diesem Land.

Wie das Wahlprotokoll ausweist, wurde der Vorschlag Kardinal Medicis zwar aufgegriffen, aber die 15 Stimmen, die Adrian im nächsten Wahlgang erhielt, reichten nicht für die erforderliche Mehrheit. Nach der Auszählung der Stimmen brachte Kardinal Cajetan die Wende: er, der Adrian persönlich kannte, pries seine Vorzüge und erklärte, der Wahl beizutreten. Viele andere Kardinäle taten es ihm gleich und so wurde Adrian zum Papst gewählt.

Nach geschehener Wahl wurden die Kardinäle aber von Furcht ergriffen: was, wenn Adrian in Spanien bleiben und nicht nach Rom kommen würde? Was, wenn er Kaiser Karl, seinem ehemaligen Schüler zu nahe stehen würde? So wurde eine Gruppe von Legaten ernannt, die sich auf den Weg nach Spanien machte, um Adrian die Wahl mitzuteilen, seine Annahme zu erbitten und ihn aufzufordern, so schnell als möglich nach Rom zu kommen.

Adrian nimmt seine Wahl zum Papst an

Adrian selbst hörte zwei Wochen später Gerüchte über seine Papstwahl, hoffte aber, dass diese nicht stimmten. Erst einen Monat nach der Wahl kam am 9. Februar 1522 Antonio Studillo, der Kaplan von Kardinal Carvajal mit der offiziellen Mitteilung bei ihm an. Adrian nahm aus Gottesfurcht die Wahl an und begann, seine Abreise aus Spanien vorzubereiten. Auf Grund der politischen Situation war dies nicht so einfach und er konnte letztlich erst am 5. August auf dem Seeweg nach Rom reisen, wo er am 29. August ankam und am 31. August 1522 zum Papst gekrönt wurde.

Wer war dieser Mann, der das Papsttum – im Gegensatz zu vielen Teilnehmern des Konklaves von 1521/22 – nicht anstrebte? Adrian Florensz (Florenszoon) wird am 2. März 1459 in Utrecht geboren. Sein Vater Florens Boyens ist Schiffszimmermann. Er stirbt früh und Adrian wächst mit seinen Geschwistern bei der Mutter Gertrud auf. Seine Schulbildung erhält er zunächst in Utrecht, später in Zwolle, wo er vermutlich auch in Kontakt mit den Brüdern vom gemeinsamen Leben und der so genannten Devotio moderna kommt.

Am 1. Juni 1476 schreibt er sich an der Universität in Löwen ein, wo er zwei Jahre später den Titel des Magister artium erwirbt und mit dem Theologiestudium beginnt, das zu seiner Zeit zwölf Jahre dauerte. Gleichzeitig unterrichtet er an der Artistenfakultät Philosophie, Ethik und Dialektik. 1490 erwirbt er sein Lizenziat und wird am 18. Juni 1491 zum Doktor der Theologie promoviert.

Gegen Ende seines Theologiestudiums, vermutlich 1489, wird Adrian zum Priester geweiht. Er zählt zu den wenigen Klerikern, die im 15. Jahrhundert überhaupt ein Universitätsstudium absolvierten. Schon 1490 beginnt er mit dem Unterricht an der Theologischen Fakultät. Wie aus seinen Aufzeichnungen ersichtlich ist, kommentiert er in seinen Vorlesungen ausgewählte Fragen aus den Sentenzen des Petrus Lombardus und beteiligt sich an den scholastischen Übungen der freien Disputation, den so genannten Quaestiones disputatae.

Eine Statue von Papst Hadrian VI. in Utrecht, Niederlande
Bild: ©picture alliance / Hauke-Christian Dittrich | Hauke-Christian Dittrich

Eine Skulptur von Papst Hadrian VI. steht vor dem Paushuize im Zentrum von Utrecht (Niederlande). Das Gebäude wurde ab 1517 von Adriaan Floriszoon Boeyens, dem einzigen niederländischen Papst, erbaut und gilt als wichtiges Monumentalgebäude der Stadt.

Unter seinen Studenten, zu denen auch Erasmus von Rotterdam gehört, genießt Adrian großes Ansehen. Über die Universität hinaus ist er als Seelsorger und Ratgeber geschätzt. Während seiner Zeit an der Theologischen Fakultät wird er zwei Mal zum Rektor der Universität Löwen gewählt und 1497 zu deren Kanzler ernannt. Als solcher öffnete er den Unterricht in Löwen vorsichtig dem Geist des beginnenden Humanismus.

Im Jahr 1507 beruft Kaiser Maximilian Adrian als Praeceptor religiosus (eine Art Religionslehrer und geistlicher Begleiter) seines Enkels Karl, des zukünftigen spanischen Königs (Carlos I°) und deutschen Kaisers (Karl V.). Bis 1512 übt er diese Funktion neben seiner Tätigkeit als Professor aus, übersiedelt aber dann nach Brüssel. Am 1. Oktober 1515 schickt ihn sein Schüler Karl als Sonderbotschafter nach Spanien, wo er König Ferdinand überzeugen soll, Karl als seinen Nachfolger einzusetzen. Nach Ferdinands Tod und in Abwesenheit des neuen Königs wird Adrian mit der Regentschaft beauftragt und übernimmt auch während Karls Anwesenheit in Spanien zwischen 1517 und 1520 eine wichtige Rolle in dessen Regierung. Unter anderem werden ihm die kirchlichen Angelegenheiten anvertraut und er ist daher auch für die Mission in Lateinamerika zuständig. Auf diese Weise trifft Adrian mehrfach Bartolomé de Las Casas und lässt sich von ihm über die Situation der Indios informieren.

Die Rückkehr in die Heimat bleibt ein Traum

Während seiner Zeit in Spanien wird Adrian zunächst zum Bischof von Tortosa, später zum Inquisitor und am 1. Juli 1517 durch Papst Leo X. zum Kardinal ernannt. Trotzdem gibt er die Hoffnung nicht auf, eines Tages in seine Heimat zurückkehren und seinen Lebensabend in Utrecht verbringen zu können, wo er auch ein Haus bauen lässt. Doch mit der Wahl zum Papst ist dieser Wunsch Makulatur.

Einmal in Rom angekommen und zum Papst gekrönt, steht Hadrian VI. vielen Herausforderungen gegenüber: Er muss die christlichen Fürsten einen, um die Gefahr des kriegerischen Eindringens der Türken in Europa zu bannen. Er hat sich mit der religiösen Situation in Deutschland auseinanderzusetzen, wo Martin Luther begonnen hat, seine Lehre zu verbreiten und immer mehr Anhänger gewinnt. Und er muss und will der immer lauter werdenden Forderung nach einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern Gehör schenken. In dem einen Jahr, das ihm letztendlich zur Verfügung steht, kann Hadrian VI. diese Aufgabe nicht bewältigen, auch wenn es ihm an der erforderlichen Bereitschaft dazu keineswegs fehlt.

Altar in der Anima-Kirche in Rom
Bild: ©Roland Juchem/KNA

In der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell'Anima in Rom befindet sich das Grabmal von Papst Hadrian VI.

Was bei Hadrian vor allem hervorsticht ist die Tatsache, dass er theologisch gut vorbereitet sein Amt antritt. Schon als Professor war er zu einer theologisch begründeten pastoralen Auffassung des Papstamtes gekommen. Im Kontext der theologischen Auseinandersetzung seiner Zeit nimmt Adrian dabei schon in Löwen eine eigene Stellung ein. Während auf der einen Seite das Papsttum für viele vor allem ein Machtfaktor in Europa und erst in zweiter Linie eine geistliche Größe war und auf der anderen Seite der Streit darum ging, ob der Papst oder das Konzil die höchste Autorität in der Kirche seien, ist Adrians Position eine Eigene: Er unterscheidet einen Primat, dem es darum geht, über andere zu herrschen (ut presit) von einem Primat, dessen Anliegen es ist, anderen zu dienen (ut prosit). Die erste Form, in der einer seinen eigenen Ruhm und nicht die Ehre Gottes sucht, ist abzulehnen, die zweite, die den anderen dienen will, zu fördern. Wer als sichtbares Haupt der Kirche vorsteht, so ist schon der Löwener Professor überzeugt, hat den anderen zu dienen und das Wohl aller zu fördern. Das ist die Rolle des Papstes und seines Magisteriums in der Kirche, wie Hadrian VI. es versteht und wie er es zu leben versucht.

Das Amt des Papstes ist daher für ihn kein persönliches Verdienst oder die Möglichkeit, menschliches Streben zu befriedigen. Er ist geleitet von der Überzeugung, dass die Krise, in der die Kirche seiner Zeit steckt, nicht zuletzt dadurch verursacht wurde, dass Papst, Bischöfe und Priester ihre Pflichten vernachlässigten. Diese Auffassung macht er bereits kurz nach seiner Ankunft in Rom deutlich, als er sich am 1. September 1522, dem Tag nach seiner Krönung, an das Konsistorium der Kardinäle wendet. Er ermahnt sie, selbst ein Beispiel der Reform zu geben, und zwar in erster Linie durch eine bescheidene Lebensführung, wie sie auch Hadrian selbst pflegt. Die Reform der Kirche hat für ihn mit der Reform der römischen Kurie, ihrer Verwaltung und ihrer Rechtsprechung zu beginnen. Doch die wenigsten Kardinäle teilen seine Auffassung. Hadrian findet daher für sein Reformvorhaben kaum Mitarbeiter, die ihn unterstützen und die Pest, die im Herbst 1522 in Rom ausbricht, bremst sein Wirken zusätzlich.

Erst Konzil von Trient beschließt Reform der Kirche

Die Reformabsichten Hadrians VI. werden sehr deutlich in den Dokumenten, die er seinem Nuntius Francesco Chieregati mit auf den Reichstag von Nürnberg gibt, der vom 17. November 1522 bis 6. März 1523 tagt. Als Chieregati am 19. November 1522 erstmals vor der Versammlung spricht, wirbt er zunächst für die Einheit Europas und den gemeinsamen Kampf gegen das Heer Suleimans. Am 3. Januar 1523 verliest er vor dem Reichstag ein Breve und eine Instruktion Hadrian VI., in der dieser ein umfassendes Schuldbekenntnis ablegt und ein Versagen der römischen Kurie angesichts der Reformaufgaben eingesteht: die mangelnde Reformbereitschaft der Päpste und der Kurie haben auch andere zur Untätigkeit verleitet und Papst Hadrian verpflichtet sich, alles zu tun, um die Missstände abzustellen und die Kirche an Haupt und Gliedern zu erneuern. Dieses Bekenntnis Hadrians ist umstritten. Während einige darin einen Fehler sehen, zählen es andere zu den Sternstunden in der Geschichte des Papsttums. Der Reichstag aber gibt eine ausweichende Antwort.

Als Hadrian VI. am 14. September 1523 stirbt, ist sein Pontifikat Fragment und sind seine Reformabsichten Theorie geblieben. Die Inschrift auf dem Grab Hadrians in Santa Maria dell'Anima, die vermutlich einen Ausspruch des Papstes wiedergibt, fasst sein Wirken treffend zusammen: "Wie viel hängt doch davon ab, in welche Zeit auch des besten Mannes Wirken fällt." Hadrians Zeit kommt erst später: Das Konzil von Trient macht sich seine Absichten zu Eigen und seine pastorale Sichtweise des päpstlichen Amtes setzt sich im Laufe der Jahrhunderte durch.

Von Markus Graulich