Moraltheologe: Schweineherz-Transplantation ist ethisch in Ordnung
Jochen Sautermeister (47) ist Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Seit zehn Jahren leitet er ein Forschungsprojekt zu Xenotransplantationen. Im Interview gibt er eine Einschätzung zur weltweit ersten Transplantation eines Schweineherzens in einen menschlichen Körper.
Frage: In den USA hat erstmals ein Mensch ein genetisch verändertes Schweineherz transplantiert bekommen. Wie werten Sie das?
Sautermeister: Es war nur eine Frage der Zeit, bis das geschieht. Seit Jahrzehnten wird hier bereits geforscht. Das ist ein großer Erfolg und ein wichtiger Schritt für die Medizin. Er dürfte vergleichbar sein mit der ersten Herztransplantation von Mensch zu Mensch vor über 50 Jahren. Heute wissen wir, dass die Transplantationsmedizin vielen Menschen hilft. Grundsätzlich sehe ich keine Einwände. Es geht darum, Leben zu retten.
Frage: Der Patient in den USA hat offenbar vor der Operation mitgeteilt, dass es für ihn um eine Entscheidung über Leben und Tod gegangen sei. Gibt es aus ethischer Sicht Gründe, Schweineherz-Transplantation nicht gut zu finden?
Sautermeister: Da es sich um eine informierte Entscheidung des Patienten gehandelt und er sich aus freien Stücken dazu entschlossen hat, liegt die Bedingung des sogenannten "informed consent" vor, also einer informierten Zustimmung. Damit verwirklicht er sein Recht auf Patientenautonomie. Aus einer lebensweltlichen Perspektive ist es gut, dass die Frau und die Familie des Patienten der Operation auch zugestimmt haben. Eine solche Akzeptanz hilft sicher dem Patienten, aber auch der ganzen Familie, mit der Situation umzugehen.
Frage: Ist der Patient ein menschliches Versuchskaninchen? Wir wissen nicht, wie erfolgreich die Transplantation ist.
Sautermeister: Ich wäre mit dieser Bezeichnung sehr zurückhaltend. Um solche medizinischen Eingriffe vornehmen zu können, bedarf es langjähriger vorklinischer Studien auch im Tiermodell. Dies ist sogar rechtlich vorgeschrieben. Es gibt im Fall der Xenotransplantation auch Standards für vorklinische Versuche, was erforderliche Erfolgs- und Qualitätskriterien für die Transplantation von Schweineherzen in nicht-menschliche Primaten sind, bevor die Anwendung am Menschen erfolgt. Erst wenn diese erfolgreich verlaufen, lässt sich ein solcher Heilversuch medizinisch verantworten.
Hinzu kommt die Extremsituation des Patienten: Er ist lebensgefährlich erkrankt und hatte keine Aussicht auf ein menschliches Spenderherz. Für ihn war die Transplantation eines Schweineherzens gewissermaßen seine letzte Chance. Angesichts des drohenden Todes wird die Ungewissheit, wie der Eingriff verlaufen wird, relativiert. Bei der ersten Herztransplantation von Mensch zu Mensch vor 54 Jahren war dies auch so.
Frage: Welchen Unterschied macht es, ob ein Herz von einem Schwein oder von einem verstorbenen Menschen kommt?
Sautermeister: Entscheidend ist zunächst die medizinische Erfolgsaussicht: Welches Herz ist mit dem Organismus des Organempfängers kompatibel? Nicht jedes menschliche Herz eignet sich physiologisch für eine Transplantation. Wenn die Eignung gegeben ist, ist ein menschliches Herz aber physiologisch passender als ein Schweineherz. Als Problem kommt hinzu: Es gibt zu wenig geeignete Spenderorgane, und die Organverteilung läuft angesichts knapper Ressourcen nicht immer gerecht ab.
Es gibt auch einen psychischen Aspekt: Die psychische Integration des neuen Herzens in die eigene Identität spielt auch eine Rolle. Was bedeutet es für den Organempfänger, wenn er ein menschliches oder tierisches Herz eingepflanzt bekommt? Hierbei sind soziokulturelle und religiöse Aspekte nicht unerheblich hinsichtlich der soziokulturellen Akzeptanz.
Frage: Und die ethische Komponente?
Sautermeister: Ethisch relevant ist auch die Frage, ob mit einer Xenotransplantation Krankheitserreger von Tier auf den Menschen übertragen werden können, insbesondere bestimmte Viren, gegen die das menschliche Immunsystem nicht gut gewappnet ist und die vom Organempfänger auch auf andere Menschen übertragen werden können. Auch hierzu gibt es erhebliche Forschungsbemühungen, um das Risiko zu minimieren – wenngleich eine gewisse Restunsicherheit nicht auszuschließen ist.
Frage: Hebt die neue Transplantationsart die Mensch-Tier-Grenze auf?
Sautermeister: Nein. Solche Fragen diskutieren wir aber durchaus: Verändert sich der Mensch wesentlich durch ein solches Xenotransplantat? Oder wird dadurch ein Mensch-Tier-Mischwesen im Sinne neuer Lebewesen geschaffen? Hierfür sehe ich aber keine Anzeichen.
Frage: Welche Grenzen sollte Xenotransplantation haben?
Sautermeister: Sie wäre dann ethisch nicht mehr vertretbar, wenn die biologische Grenze zwischen Mensch und Tier überschritten oder klar verwischt würde. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn sich Mensch-Tier-Mischwesen bilden würden – indem etwa die Keimbahn, also die Bildung von Ei- und Samenzellen des Menschen, beeinflusst und verändert würde. Man kann sagen: Überall dort, wo die Identität des Menschen und das praktische Selbstverständnis des Menschen in seiner Würde verletzt oder beeinträchtigt würde, liegt eine moralische Grenze. Dann wären wir auch nicht mehr so einfach in der Lage, uns moralisch mit diesen neuen Lebewesen zu orientieren. Eine weitere Grenze besteht dort, wo Tierschutz und Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzt würden.
Frage: Ist die Hoffnung berechtigt, Xenotransplantation könnte den massiven Bedarf an Spendeorganen decken – und so auch kriminellem Organhandel das Handwerk legen?
Sautermeister: Bei genauerer Betrachtung muss man sagen, dass es sich ja um ganz verschiedene Organe und Gewebe handelt. Insofern muss hier differenziert werden. Je komplexer das Zusammenspiel zwischen tierischem Organ und menschlichem Organismus ist, desto schwieriger wird es. Ich wäre daher vorsichtig, schnelle Hoffnungen auf eine breit etablierte medizinische Praxis schüren zu wollen.
Außerdem gibt es ja auch andere Richtungen in der biomedizinischen Forschung, um den Organmangel zu beheben, etwa im Bereich Gewebe- und Organzüchtung. Aber auch hier ist es noch ein langer Weg. Klar ist: Je besser der Organmangel auf medizinisch machbare und ethisch verantwortbare Weise behoben werden kann, desto mehr wird ein krimineller Organhandel zurückgedrängt.
Frage: Die Zeiten sind vorbei, in denen sich die Menschheit ungefragt als Krone der Schöpfung sehen kann. Wie steht es um das Schwein aus ethischer Sicht?
Sautermeister: Die Tierethik diskutiert die Frage: Ist es ethisch vertretbar, Tiere speziell zum Zweck der Organerzeugung zu züchten? Die Anstrengungen um Xenotransplantation sollten nur solange verfolgt und betrieben werden, bis es andere therapeutische Verfahren zur Gewinnung von Spenderorganen gibt, die medizinisch mindestens genauso gut, in der Herstellung verfügbar und ethisch vertretbar sind. Aber auch hier ist es noch ein weiter Weg.
Frage: Das heißt?
Sautermeister: Es ist sehr gut, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Sensibilität gegenüber dem Eigenwert der Tiere gewachsen ist. Es gilt, den Aspekt des Tierwohls und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne des Tierschutzes zu beachten. Aber solange das Schwein selbstverständlich gegessen und anderweitig genutzt wird, sehe ich keinen zwingenden Grund, Xenotransplantation abzulehnen. Hier sieht man, wie die Tierethik in weitere ethische Aspekte und gesellschaftliche Praktiken einzubetten ist. Bei den monotheistischen Religionen steht aufgrund des Grundsatzes des Lebensschutzes und unter Betonung eines achtsamen und verantwortungsvollen Umgangs mit Tieren das Leben des Menschen über dem des Tieres.