Erste Aussage eines deutschen Bischofs in einem Missbrauchsprozess

Erzbischof Heße räumt vor Gericht Fehler in Missbrauchsfall ein

Veröffentlicht am 18.01.2022 um 17:35 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Im Missbrauchsprozess gegen einen Geistlichen aus dem Erzbistum Köln hat Hamburgs Erzbischof Stefan Heße bei seiner Aussage vor Gericht eigene Fehler eingeräumt. Er habe sich in dem Fall auf die Einschätzung der juristischen und kirchenrechtlichen Fachleute im Erzbistum Köln verlassen.

  • Teilen:

Mit dem Hamburger Erzbischof Stefan Heße (55) hat am Dienstag erstmals in Deutschland ein katholischer Bischof in einem Missbrauchsprozess vor Gericht ausgesagt. Heße räumte in der Verhandlung vor dem Landgericht Köln ein, als früherer Personalchef im Erzbistum Köln Fehler im Umgang mit dem Fall des angeklagten Priesters U. gemacht zu haben. Die 2010 bekannt gewordenen Vorwürfe gegen den Geistlichen hätten an den Vatikan gemeldet werden müssen, so der Erzbischof, der in dem Prozess als Zeuge geladen war.

Damals habe er sich auf die Einschätzung der juristischen und kirchenrechtlichen Fachleute im Erzbistum Köln verlassen, erklärte Heße weiter. Demzufolge hätten sich die Nichten des Geistlichen an einem kirchlichen Verfahren nicht beteiligen wollen. Der damalige Kirchenrichter des Erzbistums, Günter Assenmacher, habe erklärt, dass es somit nichts gebe, was nach Rom geschickt werden könne. "Das leuchtete mir ein", so Heße.

Heße soll Verhör pflichtwidrig nicht protokolliert haben lassen

Der Angeklagte U. muss sich vor Gericht verantworten, weil er in den 1990er-Jahren seine drei minderjährigen Nichten zum Teil schwer missbraucht haben soll. Zudem soll er sich 2011 an einem elfjährigen Mädchen vergangen haben. Die bisherigen Zeugenaussagen deuten daraufhin, dass es weitere Opfer auch nach dieser Zeit gegeben haben könnte.

2010 zeigte eine Nichte des Angeklagten ihn erstmals wegen Missbrauchs an. Das Erzbistum beurlaubte den Geistlichen und befragte ihn zu den Vorwürfen. Dieses Verhör soll Heße pflichtwidrig nicht protokolliert haben lassen. Nachdem später die Anzeige zurückgenommen wurde, stellte die Staatsanwaltschaft ihr Verfahren ein, und das Erzbistum setzte U. wieder als Krankenhauspfarrer ein. Eine Meldung nach Rom und weitere kirchenrechtliche Schritte unterblieben.

Vor Gericht wurde ein Protokoll eines Gesprächs zwischen Heße und dem nun angeklagten Ex-Pfarrer U. aus dem Jahr 2011 verlesen. Darin berichtete U. offen, er sei trotz seiner Beurlaubung weiterhin seelsorgerlich tätig und feiere Gottesdienste. Heße habe mit ihm vereinbart, dass er nicht mehr als Hauptzelebrant, sondern nur noch zusammen mit anderen Priestern als Konzelebrant auftreten dürfe. Doch selbst damit habe U. gegen seine Suspendierung verstoßen, räumte Heße ein.

Heße: Ich hätte dem ein Ende bereiten müssen

"Ich hätte dem ein Ende bereiten müssen", sagte der Erzbischof. Er sehe, dass Fehler gemacht worden seien. Er habe seine "Verantwortung artikuliert", als er Papst Franziskus im März 2021 seinen Rücktritt angeboten habe. Zuvor war im Erzbistum Köln ein Aufarbeitungsgutachten vorgestellt worden, das Heße elf Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen vorhält – darunter der Fall U. Franziskus hatte das Rücktrittsgesuch im September abgelehnt. "Die Entscheidung des Papstes macht das alles nicht leichter", erklärte Heße vor dem Landgericht. Das Erzbistum Köln hatte den Fall U. 2018 im Zuge seiner Missbrauchsaufarbeitung erneut aufgerollt. Es wandte sich an die Behörden und untersagte U. die Ausübung priesterlicher Dienste.

Vor Heßes Zeugenaussage gab es eine Protestaktion. Vor dem Landgericht demonstrierte am Dienstagmittag rund ein halbes Dutzend Missbrauchsbetroffener. "Bislang haben sich Gerichte und der Staat immer weggeduckt", sagte Martin Schmitz von der Initiative Selbsthilfe Rhede. Der Staat müsse sich aber in die Aufklärung von Missbrauch einschalten. Allein schaffe es die Kirche "niemals". Den aktuellen Prozess gegen den 70 Jahre alten Priester U. bezeichnete Jens Windel von der Betroffeneninitiative Hildesheim als "großen Schritt nach vorne". Die Betroffenen schichteten vor dem Gerichtsgebäude Aktenordner zu einem angedeuteten Lagerfeuer auf. "Geheime Archive" und "Pflichtverletzungen" stand etwa auf den Kladden. (stz/KNA)