Eisenhüttenstadt in Brandburg hat viele Probleme

Eine Stadt am Rand

Veröffentlicht am 14.07.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Soziales

Eisenhüttenstadt ‐ Papst Franziskus fordert immer wieder, die Kirche solle an die Ränder gehen. Unser Autor Markus Kremser hat sich deshalb auf den Weg nach Eisenhüttenstadt gemacht - eine Stadt am Rand von Deutschland, im äußersten Osten, an der Grenze zu Polen. Bei seinem Besuch hat er festgestellt: Eisenhüttenstadt liegt nicht nur geografisch am Rand.

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Die Stadt ist seltsam ruhig. Breit sind die baumbestandenen Straßen; repräsentativ, ja fast wie Paläste, wirken die Häuser. Kaum einmal fahren Autos über die Lindenallee. Die wenigen Fußgänger hätten viel Zeit, die Straße zu überqueren. Hektisch ist Eisenhüttenstadt nicht. Herausgeputzt sind die Hauptstraßen in der Gegend, die hier Zentrum genannt wird. Dieses Zentrum hat mit den Stadtzentren der meisten anderen Städte jedoch nichts gemein: keine Kirche, kein Marktplatz, kein Rest einer Stadtmauer, kein Relikt aus vergangenen Jahrhunderten.

"Jede Stadt hat sonst etwas, das sie zusammenhält: einen alten Brauch, Traditionen, einen Gründungsmythos, eine alte Sage. Eisenhüttenstadt hat nichts davon", sagt Janine Schollbach. Die Islamwissenschaftlerin hat ihr Büro im evangelischen Gemeindezentrum. "Was wir hier machen ist klassische Migrationsarbeit", sagt die Mitarbeiterin des Diakonischen Werks Niederlausitz.

Viele Flüchtlinge landen in Eisenhüttenstadt

In Eisenhüttenstadt befindet sich das Zentrale Aufnahmelager für Asylbewerber des Landes Brandenburg. Die Einrichtung am Rande der Stadt ist für 500 Menschen ausgelegt. Rund 900 sind hier im Augenblick tatsächlich untergebracht. Die Flüchtlingsströme aus aller Welt reißen nicht ab. Die meisten kommen aus Eritrea, Syrien, Afghanistan, dem Irak. "Jeden Tag strömen die Menschen nach vorne zu dem großen Schaukasten um zu gucken, ob sie endlich auf ein Asylbewerberheim im Land verteilt werden", sagt Frau Schollbach. "Es ist nur ein Warten, endlich aus dieser Stadt heraus transferiert zu werden."

Bild: ©Markus Kremser

Janina Schollbach arbeitet in Eisenhüttenstadt in der Beratung für Asylbewerber.

Über 25.000 Menschen haben Eisenhüttenstadt seit der Wiedervereinigung verlassen. Da sind die Asylbewerber, für die die Stadt nur eine Episode ihrer Flucht ist, nicht eingeschlossen. 53.000 Einwohner hatte die Stadt zur Wende. 28.000 sind es heute, Tendenz weiter sinkend. Die Prognosen sagen voraus, dass es im Jahr 2030 nur noch 20.000 sein werden. Arbeit gibt es hier nur wenig. Die Eisenhütte, die der Stadt ihren Namen gibt und dem Weltmarktführer ArcelorMittal gehört, ist der größte Arbeitgeber. Rund 3.000 Arbeitsplätze bieten das Hüttenwerk und Zulieferunternehmen.

Es gibt viele Arbeitslose

Rund zehn Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit in der Stadt trotz des allgemeinen Aufschwungs, der die Republik erfasst hat. Die Arbeitslosenzahlen sinken zwar auch in Eisenhüttenstadt, aber nicht so deutlich wie in anderen Gegenden Deutschlands, wo mitunter schon von "Vollbeschäftigung" die Rede ist. Langzeitarbeitslose, die in sogenannten "Maßnahmen" oder Ein-Euro-Jobs untergebracht sind, werden von der Statistik zudem nicht erfasst. Ihre Zahl beläuft sich aber immerhin auf rund 1.900. Jeder fünfzehnte Eisenhüttenstädter ist damit ein Jahr oder länger arbeitslos.

Chancen auf dem Arbeitsmarkt bietet allenfalls der demografische Wandel, denn 36 Prozent der Einwohner sind älter als 60 Jahre, auch hier: Tendenz steigend. Pflegeberufe haben Zukunft. Kinder und Jugendliche machen den kleinsten Teil der Stadtgesellschaft aus: 13 Prozent. Kerstin Jainz hat genau diesen kleinen Teil als Zielgruppe. Sie betreibt das einzige Spielwarengeschäft in der Stadt. "Die großen Supermärkte und Drogerieketten machen uns das Leben schwer. Die verkaufen Spielzeug teilweise unter dem Einkaufspreis", sagt Jainz und wendet sich einer Kundin zu.

Die junge Frau steht vor einem Ständer mit japanischen Manga-Sammelkarten, sucht ein Geschenk für ihren Sohn. "Haben Sie die Packungen für einen Euro", fragt die junge Frau. "Im Augenblick haben wir nur die größeren für 3,99 Euro", antwortet Kerstin Jainz. Die junge Frau tut sich sichtlich schwer. "Na, für einfach mal so zwischendurch sind 3,99 Euro viel Geld", sagt sie. Schließlich, nach langem Betrachten der Packungen, kauft sie eine Tüte mit Sammelkarten für ihren Sohn. "Das ist hier häufig so", sagt Jainz, die jeden Tag von 10 bis 18 Uhr in ihrem Laden steht; unterstützt nur von einer Aushilfskraft. "Das Geschäft ist schwer", sagt sie. 2011 hat sie den Warenbestand von ihrer ehemaligen Chefin gekauft, als die ihr Spielzeuggeschäft dicht machte. "Ich will nicht zum Amt betteln gehen", sagt Jainz. Ihr Mann hat ein kleines Baugeschäft, arbeitet überwiegend in Hamburg für Reedereien. "Zusammen geht's" sagt sie.

Bild: ©Markus Kremser

Die Lindenallee in Eisenhüttenstadt gilt als Zentrum - hat aber wenig mit dem gemeinsam, was man sich normalerweise unter einem Stadtzentrum vorstellt.

Schräg gegenüber steht Ute Lübben in der Touristeninformation von Eisenhüttenstadt. Ein Foto des US-Schauspielers Tom Hanks hängt hier an der Wand. Darunter T-Shirts mit der Aufschrift "Iron Hut City". "So hat Tom Hanks Eisenhüttenstadt übersetzt", berichtet Frau Lübben. Hanks ist seit einem Besuch in der Stadt in diesem Mai so etwas wie der berühmteste Sohn von Eisenhüttenstadt. Historische Persönlichkeiten hat diese Stadt bisher nicht hervorgebracht. Keinen Goethe wie Frankfurt und Weimar. Keinen Bach wie Leipzig. Keinen Adenauer wie Köln. Der DJ Paul van Dyk war bisher der berühmteste Eisenhüttenstädter, abgesehen von einigen Sportlern die - jeder zu seiner Zeit - mit Medaillen in Gold, Silber und Bronze ein bisschen Glanz der großen weiten Welt nach Eisenhüttenstadt brachten.

Eisenhüttenstadt ist "tiefste Diaspora"

Am anderen Ende der Stadt, im Stadtteil Fürstenberg, sitzt Winfried Pohl am Besprechungstisch im Pfarramt. Pohl ist seit 1991 Pfarrer in der Stadt, zuständig aber auch für Beeskow und Storkow. Die Fahrt zum am weitest entfernten Gottesdienstort dauert rund eine Stunde. "Sonntags sind wir hier etwas über hundert zur Heiligen Messe", sagt der Pfarrer. Er weiß, dass Eisenhüttenstadt tiefste Diaspora ist. 2,2 Prozent der Eisenhüttenstädter gehören der katholischen Kirche an, 6,1 Prozent sind evangelisch. Auch eine Moschee gibt es in der Stadt nicht. Das heißt, dass 91 Prozent der Eisenhüttenstädter ohne Bekenntnis sind.

In verschiedenen Studien wird geschrieben, die Niederlausitz sei die Region in Europa, in der die Menschen am wenigsten glauben. Selbst in Russland, im Norden Skandinaviens oder Tschechien, wo die Kommunisten die Kirche nahezu ausgelöscht hatten, sind die Menschen religiöser als hier. "Ich würde mir wünschen, dass nicht mehr von 'gottloser Gegend' gesprochen wird", sagt Winfried Pohl. "Ich will mit den Menschen hier ein spirituelles Leben führen", ergänzt der 69-Jährige.

Bild: ©Markus Kremser

Der Koch Henryk Dytfeld kommt aus Breslau in Polen und hat vorher in verschiedenen Restaurants gekocht. Im November 2013 hat er das Restaurant „Aktivist“ in Eisenhüttenstadt übernommen.

"Nein, dass unser Angebot von der Kirche kommt, interessiert unsere Klienten nicht", sagt Angelika Schneider. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Bogdan Merker sitzt die Mitarbeiterin der Caritas im zweiten Stock eines Plattenbaus. "Ja, das sieht hier im Büro jetzt ganz nett aus. Wir wissen aber immer nicht, wie lange unsere Projekte bewilligt werden", schildert Frau Schneider die Sorgen der Caritas-Mitarbeiter.

Viele junge Leute ziehen weg

Ein relativ neues Projekt ist die Begleitung von psychisch Kranken. "Darunter sind viele junge Leute, die meisten sind arbeitslos", erzählt Angelika Schneider. Ihre Kinder haben die Stadt verlassen, leben in Süddeutschland. "Meine zwei sind auch weg", fügt Bogdan Merker hinzu. Dabei steht die Stadt vor großen Herausforderungen. "Ich weiß nicht, wer die ganzen Alten hier einmal pflegen soll. Woher das Geld dafür kommen soll, keine Ahnung...", sagt Merker.

Einer der sein Geld selbst verdient ist Henryk Dytfeld. Der Koch kommt aus dem polnischen Breslau, hat vorher in verschiedenen Restaurants gekocht. Im November 2013 hat er das Restaurant "Aktivist" übernommen. Die "sozialistische Großgaststätte" war zu DDR-Zeiten ein beliebter Treffpunkt. Familienfeiern, Tanz, Mittagstisch - all das bietet Dytfeld jetzt wieder an. Die Gaststätte im Stalin-Zuckerbäckstil ist gerade erst denkmalgerecht von der Wohnungsbaugesellschaft saniert worden. "Die Leute nehmen unser Angebot gut an", sagt Dytfeld. Wie findet er die Stadt? Dytfeld sagt nur einen Satz: "Sie ist irgendwie seltsam".

Von Markus Kremser