Persönlicher Brief und "Faktencheck" zur Stellungnahme veröffentlicht

Benedikt XVI. weist Vorwurf der Lüge zum Münchner Gutachten zurück

Veröffentlicht am 08.02.2022 um 13:05 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Hat der emeritierte Papst gelogen? Seine falsche Angabe in seiner Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten sei bedauerlich – aber keine Lüge, betont er jetzt mit der Hilfe juristischer Berater in einem persönlichen Brief. Nicht nur dieser Vorwurf wird zurückgewiesen.

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Der emeritierte Papst Benedikt XVI. weist den Vorwurf der Lüge aufgrund einer falschen Aussage in seiner Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten zurück. In einem persönlich gehaltenen Schreiben, das am Dienstag veröffentlicht wurde, bezeichnete er die Angabe, bei einer entscheidenden Sitzung der Münchner Ordinariatssitzung im Januar 1980 nicht anwesend gewesen zu sein, als "Fehler, der bedauerlicherweise geschehen ist". Der Fehler sei "nicht beabsichtigt und ist, so hoffe ich, auch entschuldbar". "Daß das Versehen ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen, hat mich tief getroffen", so Benedikt weiter. Ein zusammen mit dem Brief veröffentlichter "Faktencheck" seiner juristischen Berater unterstreicht diese Angabe und weist auch zwei weitere Behauptungen zur angeblichen Kenntnis über Missbrauchsfälle und zur angeblichen Verharmlosung von Exhibitionismus zurück. Details zur eigenen Verantwortung enthält das Schreiben des emeritierten Papstes nicht.

Das dreiseitige Schreiben, das bereits im Nachgang der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens durch eine Presseerklärung seines Sekretärs, Erzbischof Georg Gänswein, angekündigt worden war, beginnt mit einem Dank an Unterstützer und Mitarbeiter. Der Mitarbeitergruppe sei der Fehler "bei der Riesenarbeit jener Tage" unterlaufen. Die Auswertung der von der Münchner Kanzlei WSW zur Verfügung gestellten 8.000 Seiten an Dokumenten habe der Emeritus nicht allein leisten können.

"Faktencheck" zur Debatte um Aussage

Erstmals wurden die juristischen Berater offengelegt. Die Gruppe besteht demnach aus dem Kirchen- und Staatskirchenrechtler Stefan Mückl, dem emeritierten Münchner Professor für Kirchenrecht Helmuth Pree, dem Kirchenrechtsanwalt Stefan Korta und dem Kölner Rechtsanwalt Carsten Brennecke, der für die äußerungsrechtlichen Teile der Stellungnahme verantwortlich zeichnet. Ihr "Faktencheck der Mitarbeiter von Benedikt XVI." weist insgesamt vier Behauptungen zur Aussage des emeritierten Papstes zurück, die die Debatte um die Rolle und die Kenntnis Benedikts in den im Gutachten geschilderten Fällen geprägt hatten.

Bild: ©KNA/Sven Hoppe/dpa-Pool

Martin Pusch (l.), und Marion Westpfahl (2.v.l.) Rechtsanwälte der Münchner Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl, übergeben während der Pressekonferenz zur Vorstellung des Gutachtens der Rechtsanwaltskanzlei zu Fällen von sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising am 20. Januar 2022 in München das Gutachten an Stephanie Herrmann (2.v.r.), Amtschefin des Erzbistums München und Freising, und Christoph Klingan (r.), Generalvikar von München und Freising.

Bei der Angabe zur Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 handle es sich zwar um eine falsche Darstellung, aber keine Lüge oder bewusste Falschaussage; erklärt wird die Diskrepanz mit einem Übertragungsfehler durch Korta, der die Daten der Akteneinsicht durch Mückl weiter verarbeitet hatte. "Diese irrtümliche fehlerhafte Eingabe der Abwesenheit ist den Mitarbeitern nicht aufgefallen. Sie haben sich auf die irrtümlich fehlerhafte Angabe verlassen und bei Benedikt XVI. nicht aktiv abgefragt, ob er an dieser Sitzung anwesend war. Vielmehr wurde unterstellt, dass Joseph Ratzinger entsprechend der fehlerhaft übertragenen Protokollierung nicht anwesend war", so die Stellungnahme. Der emeritierte Papst habe diesen Fehler aufgrund des Zeitdrucks nicht bemerkt. Ein Leugnen der Anwesenheit bei der Sitzung hätte zudem keinen Sinn ergeben, da sie bereits vorher durch die Papst-Biographie von Peter Seewald aus dem Jahr 2020 bekannt gewesen sei. Darauf hatte zuvor schon der Passauer Bischof Stefan Oster hingewiesen. Ratzinger habe auch weder Kenntnis davon gehabt, dass "Priester X." ein Missbrauchstäter sei, noch dass dieser in der Seelsorge eingesetzt worden sei.  

Zurückgewiesen wird auch die Aussage, das Gutachten belaste Benedikt in drei weiteren Fällen. Richtig sei, dass er in keinem Fall "von Taten oder vom Tatverdacht sexuellen Missbrauchs der Priester" Kenntnis gehabt habe. Das Gutachten präsentiere keine Beweise dafür, dass es sich anders verhielte. Die Münchner Gutachter betrachteten die Kenntnis nach eigenen Aussagen als "überwiegend wahrscheinlich". Weiterhin habe es auch keine Verharmlosung von Exhibitionismus durch den emeritierten Papst gegeben, der zwar eine kirchenrechtliche Strafbarkeit verneinte, entsprechendes Verhalten aber mit deutlichen Worten verurteilte.

"Wort des Bekenntnisses" verweist allgemein auf Schuld

In seinem Brief schließt Benedikt den Dankesworten und dem Eingeständnis und der Erläuterung des Fehlers ein "Wort des Bekenntnisses" an. Benedikt verweist dabei auf das Schuldbekenntnis der Kirche zu Beginn der Messe. "Wir bitten den lebendigen Gott vor der Öffentlichkeit um Vergebung für unsere Schuld, ja, für unsere große und übergroße Schuld", so der emeritierte Papst. Das Bekenntnis frage ihn jeden Tag an, "ob ich nicht ebenfalls heute von übergroßer Schuld sprechen muß". Bei seinen Reisen als Papst habe er durch Begegnungen mit Missbrauchsbetroffenen "den Folgen der übergroßen Schuld ins Auge gesehen und verstehen gelernt, daß wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist und geschieht". Erneut drückte er in seinem Schreiben seine "tiefe Scham", "großen Schmerz" und "aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Mißbrauchs" aus. Er habe in der Kirche große Verantwortung getragen. "Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind", so Benedikt weiter.

Der Brief schließt mit einem Verweis auf Christus am Ölberg, dessen "Abscheu und Angst […], als er all das Schreckliche sah, das er nun von innen her überwinden sollte", er immer mehr verstehe. "Daß gleichzeitig die Jünger schlafen konnten, ist leider die Situation, die auch heute wieder von neuem besteht und in der auch ich mich angesprochen fühle", betonte der Emeritus verbunden mit einer Bitte um das Gebet der Gläubigen. Er werde bald "vor dem endgültigen Richter meines Lebens" stehen und hoffe auf einen gerechten Richter, der "Freund und Bruder" sei und "der mein Ungenügen schon selbst durchlitten hat und so als Richter zugleich auch mein Anwalt (Paraklet)" sei.

Das Missbrauchsgutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch wurde im Auftrag des Erzbistums München und Freising durch die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl angefertigt. Die unabhängige Untersuchung deckt den Untersuchungszeitraum von 1945 bis 2019 ab und attestiert allen Erzbischöfen in dieser Zeitspanne in unterschiedlichem Maß Fehlverhalten. In Ratzingers Amtszeit fallen vier der beschriebenen Fälle. Er war als Nachfolger von Kardinal Julius Döpfner und vor seiner Berufung an die Kurie als Präfekt der Glaubenskongregation von 1977 bis 1982 Erzbischof der Diözese. In seiner Stellungnahme, die dem Gutachten beigegeben wurde, wies er die Verantwortung in allen Fällen zurück. Insbesondere die Aussage zur Teilnahme an der Ordinariatssitzung von 1980 wurde kontrovers diskutiert, aber auch die Feststellung, dass Exhibitionismus vom damals geltenden Kirchenrecht nicht als Straftat erfasst gewesen sei. Am Montag nach der Veröffentlichung des Gutachtens korrigierte Benedikt seine Stellungnahme in Bezug auf die Teilnahme an der Sitzung. Mit Verweis auf sein Wirken als Papst verteidigte der Vatikan das Verhalten des Emeritus und würdigte seinen Einsatz für Missbrauchsbetroffene. Er war der erste Papst, der offiziell mit Betroffenen zusammentraf. In seine Amtszeit fallen auch ein entschiedeneres kirchenrechtliches Vorgehen gegen Täter und ein Hirtenbrief an die Katholiken Irlands, der ihn als ersten Papst, der die Opferperspektive eingenommen habe, auszeichne. (fxn)

Dokumentation: Brief des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zum Missbrauchsbericht des Erzbistums München und Freising

Aus dem Vatikan, am 6. Februar 2022

Liebe Schwestern und Brüder!

Nach der Vorstellung des Missbrauchs-Gutachtens für die Erzdiözese München und Freising am 20. Januar 2022 drängt es mich, ein persönliches Wort an Sie alle zu richten. Denn wenn ich auch nur knapp fünf Jahre Erzbischof von München und Freising sein durfte, so bleibt doch die innere Zugehörigkeit mit dem Münchener Erzbistum als meiner Heimat inwendig weiter bestehen.

Zunächst möchte ich ein Wort herzlichen Dankes sagen. Ich habe in diesen Tagen der Gewissenserforschung und Reflexion so viel Ermutigung, so viel Freundschaft und so viele Zeichen des Vertrauens erfahren dürfen, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können. Besonders danken möchte ich der kleinen Gruppe von Freunden, die selbstlos für mich meine 82-seitige Stellungnahme für die Kanzlei verfaßt hat, die ich allein nicht hätte schreiben können. Es waren über die von der Kanzlei mir gestellten Fragen hinaus nahezu 8000 Seiten digitale Aktendokumentation zu lesen und auszuwerten. Diese Mitarbeiter haben mir nun auch geholfen, das fast 2000-seitige Gutachten zu studieren und zu analysieren. Das Ergebnis wird im Anschluß an meinen Brief auch veröffentlicht.

Bei der Riesenarbeit jener Tage – der Erarbeitung der Stellungnahme – ist ein Versehen erfolgt, was die Frage meiner Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 betrifft. Dieser Fehler, der bedauerlicherweise geschehen ist, war nicht beabsichtigt und ist, so hoffe ich, auch entschuldbar. Das habe ich bereits in der Pressemitteilung vom 24. Januar 2022 durch Erzbischof Gänswein mitteilen lassen. Es ändert nichts an der Sorgfalt und an der Hingabe an die Sache, die den Freunden selbstverständliches Gebot war und ist. Daß das Versehen ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen, hat mich tief getroffen. Um so bewegender sind für mich die vielfältigen Stimmen des Vertrauens, herzlichen Zeugnisse und berührenden Briefe der Ermutigung, die mich von sehr vielen Menschen erreicht haben. Besonders dankbar bin ich für das Vertrauen, für die Unterstützung und für das Gebet, das mir Papst Franziskus persönlich ausgedrückt hat. Endlich möchte ich noch eigens der kleinen Familie im Monastero „Mater Ecclesiae“ danken, deren Mitsein in frohen und schwierigen Stunden mir jenen inneren Zusammenhalt gibt, der mich trägt.

Dem Wort des Dankes muß aber nun auch ein Wort des Bekenntnisses folgen. Es berührt mich immer stärker, daß die Kirche an den Eingang der Feier des Gottesdienstes, in dem der Herr uns sein Wort und sich selbst schenkt, Tag um Tag das Bekenntnis unserer Schuld und die Bitte um Vergebung setzt. Wir bitten den lebendigen Gott vor der Öffentlichkeit um Vergebung für unsere Schuld, ja, für unsere große und übergroße Schuld. Mir ist klar, daß das Wort „übergroß“ nicht jeden Tag, jeden einzelnen in gleicher Weise meint. Aber es fragt mich jeden Tag an, ob ich nicht ebenfalls heute von übergroßer Schuld sprechen muß. Und es sagt mir tröstend, wie groß auch immer meine Schuld heute ist, der Herr vergibt mir, wenn ich mich ehrlich von ihm durchschauen lasse und so wirklich zur Änderung meines Selbst bereit bin.

Bei all meinen Begegnungen vor allem auf mehreren Apostolischen Reisen mit von Priestern sexuell mißbrauchten Menschen habe ich den Folgen der übergroßen Schuld ins Auge gesehen und verstehen gelernt, daß wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist und geschieht. Wie bei diesen Begegnungen kann ich nur noch einmal meine tiefe Scham, meinen großen Schmerz und meine aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Mißbrauchs zum Ausdruck bringen. Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind. Jeder einzelne Fall eines sexuellen Übergriffs ist furchtbar und nicht wieder gut zu machen. Die Opfer von sexuellem Missbrauch haben mein tiefes Mitgefühl und ich bedauere jeden einzelnen Fall.

Immer mehr verstehe ich die Abscheu und die Angst, die Christus auf dem Ölberg überfielen, als er all das Schreckliche sah, das er nun von innen her überwinden sollte. Daß gleichzeitig die Jünger schlafen konnten, ist leider die Situation, die auch heute wieder von neuem besteht und in der auch ich mich angesprochen fühle. So kann ich nur den Herrn anflehen und alle Engel und Heiligen und Euch, liebe Schwestern und Brüder, bitten, für mich zu beten bei Gott unserem Herrn.

Ich werde ja nun bald vor dem endgültigen Richter meines Lebens stehen. Auch wenn ich beim Rückblick auf mein langes Leben viel Grund zum Erschrecken und zur Angst habe, so bin ich doch frohen Mutes, weil ich fest darauf vertraue, daß der Herr nicht nur der gerechte Richter ist, sondern zugleich der Freund und Bruder, der mein Ungenügen schon selbst durchlitten hat und so als Richter zugleich auch mein Anwalt (Paraklet) ist. Im Blick auf die Stunde des Gerichts wird mir so die Gnade des Christseins deutlich. Es schenkt mir die Bekanntschaft, ja, die Freundschaft mit dem Richter meines Lebens und läßt mich so zuversichtlich durch das dunkle Tor des Todes hindurchgehen. Mir kommt dabei immer wieder in den Sinn, was Johannes in seiner Apokalypse am Anfang erzählt: Er sieht den Menschensohn in seiner ganzen Größe und fällt vor ihm zusammen, wie wenn er tot wäre. Aber da legt er seine Hand auf ihn und sagt: Fürchte dich nicht, ich bin es!... (vgl. Offb 1, 12 – 17).

Liebe Freunde, in diesem Sinn segne ich Euch alle.

Benedikt XVI.

Dokumentation: Faktencheck der Mitarbeiter von Benedikt XVI.

Prof. Dr. Dr. Stefan Mückl (Rom) (Kirchenrecht)
Prof. i. R. Dr. Dr. Mag. Helmuth Pree (LMU München) (Kirchenrecht)
Dr. Stefan Korta (Buchloe) (Kirchenrecht)
Rechtsanwalt Dr. Carsten Brennecke (Köln) (Äußerungsrecht)

Behauptet wird:
Kardinal Joseph Ratzinger habe den Priester X. Anfang 1980 in Kenntnis seiner Missbrauchstaten in der Seelsorge eingesetzt und damit dessen sexuelle Missbrauchstaten vertuscht.
Begründung: Joseph Ratzinger war entgegen seiner Angabe in der Stellungnahme gegenüber den Gutachtern in der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 anwesend, in der über den Priester gesprochen wurde.

Das ist falsch. Richtig ist:
Joseph Ratzinger hatte weder Kenntnis davon, dass Priester X. ein Missbrauchstäter ist, noch dass dieser in der Seelsorge eingesetzt wird.

Die Akten zeigen, dass in der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 nicht über einen seelsorgerlichen Einsatz des Priesters X. entschieden wurde.

Die Akten zeigen auch, dass in der fraglichen Sitzung nicht thematisiert wurde, dass der Priester sexuellen Missbrauch begangen hat.

Es ging ausschließlich um die Unterbringung des jungen Priesters X., weil er sich in München einer Therapie unterziehen sollte. Diesem Anliegen wurde entsprochen. Der Grund der Therapie wurde in der Sitzung nicht benannt.

In der Sitzung wurde somit nicht entschieden, dass ein Missbrauchstäter in der Seelsorge eingesetzt wird.

Behauptet wird:
Benedikt XVI. habe zu seiner Anwesenheit in der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 bewusst falsch ausgesagt, er habe gelogen.

Das ist falsch. Richtig ist:
Die Darstellung in der Stellungnahme von Benedikt XVI., er habe an der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 nicht teilgenommen, war zwar falsch. Dennoch hat Benedikt XVI. nicht gelogen oder bewusst falsch ausgesagt:

Benedikt XVI. wurde bei der Abfassung der Stellungnahme von einem Mitarbeiterteam unterstützt. Dieses besteht aus Rechtsanwalt Dr. Carsten Brennecke (Köln) und den kirchenrechtlichen Mitarbeitern Prof. Dr. Dr. Stefan Mückl (Rom), der im Auftrag von Benedikt XVI. die Akteneinsicht vorgenommen hat, Prof. Dr. Dr. Helmuth Pree und Dr. Stefan Korta. Die Mitarbeiter wurden hinzugezogen, weil Benedikt XVI. die Menge der Fragen in der Kürze der Zeit nicht alleine bearbeiten konnte, und die mit dem Gutachten beauftragte Kanzlei Fragen mit kirchenrechtlichem Bezug gestellt hat, so dass für eine Antwort eine kirchenrechtliche Einordnung erforderlich war. Ausschließlich Prof. Mückl wurde die elektronische Akteneinsicht gewährt, ohne dass die Möglichkeit bestand, Dokumente zu speichern, auszudrucken oder zu kopieren. Kein anderer der Mitarbeiter konnte die Akten einsehen. Nachdem die Daten der Akteneinsicht (8.000 Seiten) durch Prof. Mückl aufbereitet waren, unterlief Herrn Dr. Korta in einem der weiteren Arbeitsschritte ein unbemerkter Übertragungsfehler. Dr. Korta hielt irrtümlich fest, dass Joseph Ratzinger bei der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 abwesend war. Diese irrtümliche fehlerhafte Eingabe der Abwesenheit ist den Mitarbeitern nicht aufgefallen. Sie haben sich auf die irrtümlich fehlerhafte Angabe verlassen und bei Benedikt XVI. nicht aktiv abgefragt, ob er an dieser Sitzung anwesend war. Vielmehr wurde unterstellt, dass Joseph Ratzinger entsprechend der fehlerhaft übertragenen Protokollierung nicht anwesend war. Benedikt XVI. hat diesen Fehler aufgrund des hohen Zeitdrucks, unter dem seine Überprüfung der Stellungnahme in wenigen Tagen wegen enger Fristsetzung der Gutachter notwendig war, nicht erkannt, sondern sich auf die vermeintliche schriftliche Protokollierung seiner Abwesenheit verlassen.

Diesen Übertragungsfehler kann man Benedikt XVI. nicht als bewusste Falschaussage oder „Lüge“ anlasten.

Es hätte auch keinen Sinn ergeben, dass Benedikt XVI. absichtlich seine Anwesenheit bei der Sitzung leugnet: Denn im Protokoll der Sitzung wurden Äußerungen von Joseph Ratzinger protokolliert. Die Anwesenheit von Joseph Ratzinger war damit offensichtlich. Zudem haben bereits im Jahr 2010 mehrere Presseartikel - unwidersprochen - davon berichtet, dass Kardinal Ratzinger in der Sitzung anwesend war. Gleiches hält eine 2020 erschienene Biographie über Benedikt XVI. fest. Dort heißt es: „Als Bischof hatte er 1980 bei einer Sitzung des Ordinariatsrates lediglich zugestimmt, den betreffenden Priester für eine Psychotherapie nach München kommen zu lassen.“ (Peter Seewald, Benedikt XVI., Droemer Verlag 2020, Seite 938).

Behauptet wird:
Außerdem belastet das Gutachten Benedikt XVI. in drei weiteren Fällen mit einem Fehlverhalten. Denn er habe auch in diesen Fällen Kenntnis davon gehabt, dass die Priester Missbrauchstäter sind.

Das ist falsch. Richtig ist:
In keinem der Fälle, die das Gutachten untersucht, hatte Joseph Ratzinger Kenntnis von Taten oder vom Tatverdacht sexuellen Missbrauchs der Priester. Das Gutachten präsentiert keine Beweise dafür, dass es sich anders verhält.

Zum öffentlich diskutierten Fall des Priesters X., dessen Unterbringung für eine Therapie in der Ordinariatssitzung 1980 besprochen wurde, hat selbst einer der Gutachter in der Pressekonferenz vom 20.01.2022 zur Vorstellung des Missbrauchsgutachtens bestätigt, dass es keinen Beweis für eine Kenntnis von Joseph Ratzinger gibt: Auf Nachfrage einer Journalistin, ob die Gutachter beweisen könnten, dass Joseph Ratzinger Kenntnis davon gehabt hat, dass der Priester X. sexuellen Missbrauch begangen hat, stellte der Gutachter klar, dass es keinen Beweis für eine Kenntnis von Joseph Ratzinger gibt. Das sei nur nach der subjektiven Meinung der Gutachter "überwiegend wahrscheinlich".

Die Pressekonferenz ist unter dem nachstehenden Link abrufbar: https://vimeo.com/668314410

Bei Spielminute 2:03:46 findet sich die Frage der Journalistin: „Auch meine Frage bezieht sich noch einmal auf den Fall des Priesters X. Kann die Kanzlei beweisen, dass Kardinal Ratzinger damals wirklich informiert war darüber, dass der Priester X. ein Täter war? Was heißt in diesem Zusammenhang „überwiegend wahrscheinlich“? (…)

Ein Gutachter antwortet: „(…) „Überwiegend wahrscheinlich“ heißt: Wir gehen mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon aus. (…).“

Das Gutachten enthält keinen Beweis für einen Vorwurf des Fehlverhaltens oder der Mithilfe bei einer Vertuschung.

Als Erzbischof war Kardinal Ratzinger nicht an einer Vertuschung von Missbrauchstaten beteiligt.

Behauptet wird:
Benedikt XVI. habe in der Stellungnahme exhibitionistische Handlungen verharmlost. Als Beleg dafür dient diese Angabe in der Stellungnahme: „Pfarrer X ist als Exhibitionist aufgefallen, aber nicht als Missbrauchstäter im eigentlichen Sinn.“

Das ist falsch. Richtig ist:
Benedikt XVI. hat in der Stellungnahme Exhibitionismus nicht verharmlost, sondern ausdrücklich verurteilt. Der Satz, der als vermeintlicher Beleg für eine Verharmlosung des Exhibitionismus dient, ist aus dem Zusammenhang gerissen.

Benedikt XVI. sagt in der Stellungnahme in aller Deutlichkeit, dass die Missbrauchstaten, einschließlich des Exhibitionismus, „furchtbar“, „sündhaft“, „moralisch verwerflich“ und „nicht wieder gut zu machen“ sind. Es wurde lediglich in der kirchenrechtlichen Bewertung geäußert, dass es sich nach dem damals geltenden Recht nach Einschätzung der kirchenrechtlichen Mitarbeiter bei Exhibitionismus nicht um eine kirchenrechtliche Straftat handelte, da die einschlägige Strafvorschrift derartige Verhaltensweisen tatbestandlich nicht erfasste.

Damit hat die Stellungnahme von Benedikt XVI. Exhibitionismus nicht verharmlost, sondern klar und deutlich verurteilt.

Dieser Faktencheck wurde durch die Mitarbeiter in der deutschen Fassung erstellt. Sollte es im Zuge der Übersetzung sprachliche Abweichungen geben, ist die deutsche Fassung maßgeblich.

Prof. Dr. Dr. Stefan Mückl (Rom) (Kirchenrecht)
Prof. i. R. Dr. Dr. Mag. Helmuth Pree (LMU München) (Kirchenrecht)
Dr. Stefan Korta (Buchloe) (Kirchenrecht)
Rechtsanwalt Dr. Carsten Brennecke (Köln) (Äußerungsrecht)