Bischof Bätzing: Benedikt XVI. "gebührt Respekt"
Nach der Veröffentlichung der persönlichen Stellungnahme des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zum Münchner Missbrauchsgutachten haben sich Kirchen- und Opfervertreter zu Wort gemeldet. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, begrüßte den Brief Benedikts und dessen Entschuldigung an die Missbrauchsopfer. Der Emeritus habe zugesagt sich zu äußern und das nun eingelöst, twitterte der DBK-Vorsitzende am Dienstag. "Dafür bin ich dankbar und dafür gebührt ihm Respekt."
Zuvor hatte Benedikt XVI. persönlich zu den Vorwürfen aus dem Münchner Missbrauchsgutachten Stellung genommen und eine Mitschuld der kirchlichen Verantwortlichen eingeräumt. In einem zweieinhalbseitigen Brief äußerte er "tiefe Scham" und eine "aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs". Gleichzeitig wehrt sich der frühere Papst gegen den Vorwurf, als Erzbischof von München (1977-1982) Missbrauchsfälle vertuscht zu haben. Auch habe er in seiner Einlassung zu dem Ende Januar veröffentlichten Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) weder getäuscht noch gelogen.
Auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx begrüßte die Stellungnahme des emeritierten Papstes. Benedikt bringe darin seine "tiefe Scham", seinen "großen Schmerz" und seine "Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs zum Ausdruck", erklärte Marx am Dienstag in München. Zugleich betonte der Kardinal erneut, die Erzdiözese und er selbst als Erzbischof nähmen das Gutachten, "in dem es besonders im Blick auf die Leitungsebene auch um persönliche und institutionelle Verantwortung geht, sehr ernst". Die Empfehlungen der Gutachter würden zusammen mit dem Betroffenenbeirat und der Unabhängigen Aufarbeitungskommission aufgegriffen.
Betroffene: Entschuldigungen von Ex-Papst "schwer erträglich"
Betroffene von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche kritisierten hingegen den Brief Benedikts. Für sie seien diese Art von Entschuldigungen "wirklich schwer erträglich", erklärte die Organisation "Eckiger Tisch" am Dienstag in Berlin. Die Aussagen von Benedikt XVI. reihten sich ein in die "permanenten Relativierungen der Kirche in Sachen Missbrauch", kritisierte die Initiative weiter: "Vergehen und Fehler seien geschehen, doch niemand übernimmt konkret Verantwortung. Stattdessen gehen die wortreichen Erklärungen weiter." Dies diene letztlich nur dazu, "den Opfern die Verantwortung aufzuhalsen, wenn sie diese Art von Betroffenheitsbekundungen nicht angemessen zu würdigen vermögen". Sie stünden am Ende "mit leeren Händen da". Die Organisation erneuerte zudem ihre Kritik daran, dass die Kirche die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen weiterhin nicht in unabhängige Hände abgeben wolle.
Der Sprecher des Münchner Betroffenenbeirats, Richard Kick, bezeichnete das Statement des emeritierten Papstes als "wirklich unsäglich". "Ich kann gar nicht mehr aggressiv darauf reagieren, ich bin nur noch bestürzt und betroffen", sagte Kick der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) auf Anfrage am Dienstag in München. Hier kenne ein ehemaliger Papst nur seine eigene Sichtweise und flüchte sich zuletzt in den Glauben, dass der "endgültige Richter" über ihn befinden werde.
Kick sagte, er hätte sich eine "reflektierte Sichtweise eines Menschen" gewünscht. Herausgekommen sei aber eine "egomanische" und nur auf die Kirche zentrierte Darstellung. Was dagegen völlig fehle, sei ein "wirklich empathisches Gegenübertreten" jenen Hunderttausenden von Menschen, die in ihrer Kindheit weltweit in der Kirche sexuell missbraucht, geschlagen und gedemütigt worden seien. Dabei spreche er doch nicht nur als Joseph Ratzinger, sondern als emeritierter Papst, erinnerte Kick. Weiter verwies er darauf, dass Benedikt in seiner Stellungnahme den Ball auch noch weiterspiele an seinen Nachfolger. So habe sich Franziskus ihm gegenüber wohlwollend geäußert. Kick beklagte, dass es vom amtierenden Papst bisher aber kein Statement zum Münchner Missbrauchsgutachten gebe. Das zeige den "völlig desolaten Zustand" der Kirche und die Hilflosigkeit ihrer Oberen.
Zollner: Erklärung persönlich, aber zu allgemein
Nach Ansicht des Kinderschutz-Experten Hans Zollner ist die Erklärung zwar sehr persönlich, aber zu allgemein gehalten. Zudem habe der emeritierte Papst die falsche Reihenfolge bei den Adressaten gewählt, sagte er der KNA am Dienstag. Hätte Benedikt zuerst sein Bekenntnis gegenüber Betroffenen und dann erst den Dank an Freunde geäußert, käme sein Brief sicher besser an, so Zollner.
Letztlich müssten aber Betroffene sagen, wie sie die Stellungnahme des früheren Papstes bewerten. Seiner Ansicht nach wäre es auch besser gewesen, wenn Benedikt statt einer theologischen Überhöhung in seinen Aussagen konkreter auf seine Zeit als Erzbischof von München und Freising eingegangen wäre. Gleichzeitig verwies der Leiter des bisherigen Kinderschutzzentrums und neuen Safeguarding-Instituts in Rom auf die unterschiedliche Wahrnehmung der jüngsten Stellungnahme Benedikts XVI. In Deutschland werde sie vielfach als ungenügend beurteilt, während sie in Italien zumeist als beeindruckendes Schuldbekenntnis gelesen werde.
Overbeck skeptisch
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck äußerte sich skeptisch. Er befürchte, dass die Worte "den Betroffenen in ihrem Aufarbeitungsprozess wenig weiterhelfen", sagte der Ruhrbischof am Dienstagabend auf Anfrage der katholischen Wochenzeitung "Neues Ruhrwort". Besorgt nehme er wahr, "dass Betroffene sexueller Gewalt in ihren Rückmeldungen an unseren Interventionsbeauftragten enttäuscht und teilweise auch entrüstet auf die Äußerungen des früheren Papstes zu seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising reagiert haben". Das mache ihn äußerst nachdenklich, denn die Sicht der Betroffenen "sollte bei der Aufklärung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche ein großes Gewicht haben".
Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) hält die Bitte um Entschuldigung des früheren Papstes für nicht ausreichend. Er bleibe "relativ allgemein", sagte Irme Stetter-Karp am Dienstagabend den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Die Empathie gegenüber den Betroffenen fehlt." In seinem Schuldbekenntnis gehe "der Blick nicht zu den Brüdern und Schwestern und den Betroffenen", fügte die Präsidentin des höchsten repräsentativen Gremiums des deutschen Laien-Katholizismus hinzu: "Deshalb: Die zweite Reaktion von Papst Benedikt überzeugt leider nicht."
Themenseite: Das Missbrauchsgutachten im Erzbistum München und Freising
Die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl hat den Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising untersucht. Das Ergebnis: Zahlreiche aktuelle wie ehemalige Verantwortliche haben sich falsch verhalten – darunter auch der spätere Papst Benedikt XVI. Das sorgt für weltweites Aufsehen.
Auch die Gruppe "Wir sind Kirche" zeigte sich enttäuscht von der aktuellen Stellungnahme. "Ratzinger sieht sich selber immer noch als Opfer, das in übergroße Schuld hineingezogen wurde. Und er ist nicht bereit, zu der nichtdelegierbaren Gesamtverantwortung zu stehen, die ein Bischof hat", sagte Christian Weisner vom Bundesteam der Organisation am Dienstag in München. Bedauerlicherweise sei er außerdem weiterhin nicht bereit, gegenüber den Betroffenen des Pfarrers H. "ein persönliches Schuldbekenntnis zu leisten".
Zum Fall des Essener Diözesanpriesters H. gibt es im Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl einen Sonderband. Der Wiederholungstäter kam während Ratzingers Amtszeit als Erzbischof nach München, wo er als Seelsorger erneut an mehreren Orten Kinder missbrauchte. Benedikt XVI. besteht weiterhin darauf, nichts von dessen Vorgeschichte gewusst zu haben.
Die Theologin Doris Reisinger kritisierte vor allem die von Benedikt im Brief gewählten Bezeichnungen für Jesus als "Freund", "Bruder" und "Anwalt". In den Ohren Betroffener klinge das so, als stünde Jesus "nicht auf ihrer Seite, sondern auf der Seite derer, die sie all die Jahrzehnte gequält, ignoriert und verletzt haben", so die Autorin über Twitter. Der Brief sei eine "bodenlose Verhöhnung der Betroffenen", und ihr selbst werde "schlecht ob so viel Selbstgefälligkeit im Frommen Mäntelchen".
Bistumsleitung: Wollen mit Betroffenen ins Gespräch kommen
Unterdessen will das Erzbistum München und Freising infolge des Missbrauchsgutachtens noch stärker auf das Gespräch mit den Betroffenen setzen. Zudem sollen Foren geschaffen und die Schwelle noch niedriger gemacht werden, "so dass Betroffene leichter den Weg zu uns finden", sagte der Münchner Generalvikar Christoph Klingan der "Münchner Kirchenzeitung". Vor allem aber wolle man selbst aktiv auf Betroffene zugehen, was in der Vergangenheit nicht in der Intensität geschehen sei, wie es wünschenswert gewesen wäre.
"Wir wollen ihnen die Unterstützung anbieten, die sie brauchen", so Klingan. Natürlich gebe es auch Betroffene, die in keinen Dialog treten wollten, "auch das ist zu respektieren". Grundsätzlich aber gelte das Signal: "Wir sind für Euch da und wollen mit Euch in den Austausch kommen." Dazu gehöre gleichfalls der Dialog mit den beiden Gremien Aufarbeitungskommission und Betroffenenbeirat. Ziel sei, vom Reden noch stärker ins Handeln zu kommen. Wesentlich sei zudem der Bereich der Prävention, der weiter mit Leben gefüllt werden müsse.
Mit dem Gutachten sei unbestritten Entsetzliches zu Tage getreten, dem es sich zu stellen gelte, sagte Amtschefin Stephanie Herrmann. Für manche könne dies ein Anlass zum Austritt sein. "Aber Kirche ist eben auch mehr. Das Gute und Notwendige, das bewirkt wird, das Priester, Seelsorgerinnen und Seelsorger, Mitarbeitende in der Pastoral, auch Mitarbeitende in der Verwaltung, jeden Tag tun, gerät dadurch momentan etwas aus dem Blick." Deshalb hoffe sie, "dass wir, eben weil wir nicht wegsehen, sondern uns mit dem Thema auseinandersetzen durch transparente und nicht beschönigende Aufarbeitung, irgendwann den Blick wieder weiten und stärker nach vorne richten können." (tmg/cph/KNA)
8.2., 16:55 Uhr: Ergänzt um Betroffenenbeirat. 18:20 Uhr: Ergänzt um Zollner und Reisinger. 18:45 Uhr: Ergänzt um Stetter-Karp. 20:20 Uhr: Ergänzt um Overbeck.