Johannes Wischmeyer über Beratungen bei Synodalversammlung

EKD-Beobachter: Keine "Protestantisierung" durch Synodalen Weg

Veröffentlicht am 13.02.2022 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 

Hannover ‐ Droht der katholischen Kirche in Deutschland eine "Protestantisierung" durch den Synodalen Weg? Johannes Wischmeyer kann dieser Kritik am kirchlichen Reformprozess nicht viel abgewinnen. Der evangelische Theologe und Beobachter beim Synodalen Weg erklärt im katholisch.de-Interview seine Meinung.

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Wenn sich die Mitglieder der Synodalversammlung zu ihren Beratungen treffen, sind neben den Experten aus den Synodalforen und zahlreichen Journalisten auch mehrere Beobachter aus dem Ausland oder anderer Kirchen anwesend. Johannes Wischmeyer vertritt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) beim Synodalen Weg. Bei der vor einer Woche zu Ende gegangenen dritten Synodalversammlung war der Theologe zum ersten Mal dabei. Zuvor hatte diese Aufgabe Thies Gundlach inne, der nun im Ruhestand ist. Im katholisch.de-Interview berichtet Wischmeyer davon, wie er die Synodalversammlung erlebt hat.

Frage: Herr Wischmeyer, Sie sind bei der dritten Synodalversammlung das erste Mal als Beobachter der EKD dabei gewesen. Haben Sie sich bei den Beratungen wie auf einer evangelischen Synode gefühlt?

Wischmeyer: Es ist in vielen Punkten anders. Ich sehe erstens Texte und Inhalte von einer theologischen Tiefe und Grundsätzlichkeit, die bei uns im Rahmen einer regelmäßig tagenden Synode auf diese Weise nicht verhandelt werden könnten. Zweitens sehe ich, dass hier unterschiedliche Gruppen erst zueinander finden müssen und dabei sind, einen gemeinsamen Gesprächshorizont zu etablieren. Was evangelische Synoden und die Beratungen beim Synodalen Weg verbindet, sind der spürbare gute Wille und viel Begeisterung. Es gehört sehr viel Herzblut dazu, sich in diese kirchenpolitische Arena zu begeben, um gemeinsam Dinge in der Kirche verändern zu wollen.

Frage: In Frankfurt nun wurden erste Beschlüsse gefasst. Wie bewerten Sie die verabschiedeten Texte?

Wischmeyer: Die Themen, die sich der Synodale Weg gesucht hat, betreffen unterschiedliche Bereiche. Einerseits eine theologische Selbstverständigung, andererseits aber auch das, was wir Evangelischen die Kirchenverfassung nennen. Die Beschlüsse greifen in rechtliche und organisatorische Zusammenhänge ein. Doch die katholische Kirche ist eine weltweit agierende Institution mit einem festgefügten Kirchenrecht, weshalb das Veränderungspotenzial, das vom Synodalen Weg ausgeht, erst in der Zukunft bewertet werden kann.

Frage: Trägt der Synodale Weg zu einer "Protestantisierung" der katholischen Kirche bei?

Wischmeyer: Das halte ich für die geringste Gefahr. Ich sehe in den Antragstexten und auch im Stil der Diskussion sehr viel "Katholisches" im besten Sinn. Ich habe den Eindruck, dass sich alle Seiten bemühen, die Tradition aufzurufen und auch für Veränderungsinitiativen ein möglichst enges Band an die Überlieferung zu knüpfen. Ich habe zudem den Eindruck, dass auch von der eher progressiven Seite eine hohe Wertschätzung gegenüber dem Weiheamt an den Tag gelegt wird. Und ich denke, dass insgesamt die Autorität der Bischöfe auch in einem veränderten Rahmen weiterhin eine sehr große Rolle spielen wird, die für uns Evangelische so nie bestanden hat und sicher nicht Grundlage eines gemeinsamen Kirchenbilds sein könnte.

Frage: Beim Synodalen Weg treten ganz offen Konflikte zutage zwischen den Gruppen der Reformwilligen und der Bewahrer. Gibt es diese Parteiungen auch bei evangelischen Synoden?

Wischmeyer: Selbstverständlich. In unseren Synoden ist teilweise institutionalisiert, teilweise eher offen, immer eine Fraktionsbildung zu betrachten. Das herkömmliche Modell besteht darin, dass es die theologisch eher konservativere Fraktion gibt, eine Mittelpartei, die volkskirchlich denkt, und eine größere Gruppe der Progressiven oder Liberalen. Ich halte das auch für ganz selbstverständlich. Für Evangelische ist diese Parteibildung kein Makel. Wir denken Synode und Synodalität ja in einem engen Zusammenhang mit einer demokratischen und parlamentarischen Kultur. Da zählt eine geordnete Pluralität von theologischen und kirchenpolitischen Meinungen zum Tagesgeschäft.

Johannes Wischmeyer
Bild: ©privat

Der promovierte Theologe Johannes Wischmeyer leitet die Abteilung "Kirchliche Handlungsfelder" im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover. Er ist Beobachter der EKD beim Synodalen Weg.

Frage: In der katholischen Kirche ist der Begriff Synodalität aktuell sehr bedeutsam. Papst Franziskus benutzt ihn oft und es gibt derzeit einen weltweiten synodalen Prozess. Wie verstehen Sie diesen Begriff und in welchem Verhältnis steht er zur Demokratie?

Wischmeyer: Es gibt im Moment unterschiedliche Ansätze in der katholischen Weltkirche, die versuchen, den Gedanken der Repräsentation der Gläubigen zu stärken. Aber alle diese Ansätze unterscheiden sich von einer politisch verstandenen Demokratie doch recht deutlich, wofür es sicher gute ekklesiologische Gründe gibt.

Frage: Die katholische Kirche befindet sich derzeit in einer tiefen Krise, was man jüngst etwa rund um die Diskussionen über das Münchener Missbrauchsgutachten, die Rolle des früheren Papstes Benedikt in diesem Zusammenhang, aber auch im Rahmen der Aktion "#OutInChurch" gemerkt hat. Wie blicken Sie auf diese Krise?

Wischmeyer: Zunächst einmal muss man feststellen, dass der Krisenmodus beide großen Kirchen in Deutschland erfasst hat. Die Wege, die wir jeweils zu finden versuchen, um aus der Krise herauszukommen, sind unterschiedlich. Ich habe den Eindruck, dass der Synodale Weg hier an Strukturen arbeitet, die vielleicht erst die Voraussetzungen darstellen, um dann tatsächlich wieder zeigen zu können, in wie vielen Weisen die Kirche positiv in die Gesellschaft hineinwirkt. Ich warne aber davor, zu denken, dass sich mit positiven Abschlüssen, die hier erzielt werden können und denen ich von Herzen alles Glück und gutes Gelingen wünsche, das Bild der Gesellschaft auf die Kirche rasch wieder zum Positiven verändern könnte. Ich denke, Reformen sind tatsächlich erst die Voraussetzung, um sich auf eine neue Weise darauf zu besinnen, wie – mit viel Demut und deutlich bescheidener als zuvor – die kirchliche Rolle in der Öffentlichkeit in Zukunft aussehen kann.

Frage: Sehen Sie, dass sich die Krise in der katholischen Kirche auch negativ auf die evangelische Kirche auswirkt? Oder sind es eigene Probleme, die die Protestanten haben?

Wischmeyer: Eine gemeinsame Wurzel für viele Schwierigkeiten, die die beiden großen Kirchen momentan bewegen, ist der Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit. Meinem Eindruck nach haben wir im Moment noch immer ganz unterschiedliche Strategien, damit umzugehen. Und ich fürchte, beide Kirchen haben noch nicht in vollem Ausmaß realisiert, dass ihre Bedeutung in der Gesellschaft, ihre Außenwirkung und die Erwartungen der Menschen sehr deutlich zurückgegangen sind. Bei allen konfessionellen Unterschieden, die sicher in Zukunft auch bleiben werden, und bei den großen Aufgaben, die innerhalb der katholischen Kirche im Rahmen der Selbstverständigung anstehen, sollte die Perspektive für mehr Gemeinsamkeit der Kirchen offenbleiben. Es muss eine neue Wertschätzung der praktizierten Ökumene auf der Basis der Gemeinden geben – besonders dort, wo nicht zuletzt im Rahmen der Corona-Situation gemeindliches Leben noch enger zusammengewachsen ist, wo teilweise seit Jahrzehnten stabile persönliche Beziehungen gewachsen sind. Ich würde mir wünschen, dass wir im ökumenischen Gespräch auf diese Ebene der gemeinsamen gelebten pastoralen Praxis noch mehr Wert legen – und nicht nur auf die Ebene der Lehrgespräche und der theologischen Verständigung.

Frage: Aktuell verlassen viele Menschen die Kirchen und es sind auch Protestanten, die austreten. Können die Menschen die Konfessionen nicht mehr auseinanderhalten?

Wischmeyer: Das ist ganz selbstverständlich so und es bestätigen auch aktuelle Studien zum Kirchenaustritt, die wir durchführen. Die Öffentlichkeit unterscheidet weithin nicht mehr zwischen den Konfessionen. Das kann uns ärgern, aber wir müssen auf der anderen Seite sehen, dass die beiden großen Kirchen in Deutschland im Rahmen unserer Religionsverfassung erhebliche Privilegien genießen, die wir nur so lange fortführen werden, wie wir institutionell im gleichen Boot bleiben.

Von Roland Müller