UKA-Vorsitzende Margarete Reske im Interview

Juristin über Missbrauchsaufarbeitung: Wichtig, im Gespräch zu bleiben

Veröffentlicht am 19.02.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ "Mein Traum wäre es, wenn wir zu einer Beruhigung beitragen könnten", sagte die Vorsitzende der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA), Margarete Reske. Im Interview erklärt sie, warum sie die Arbeit der UKA für unverzichtbar hält.

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Vor mehr als einem Jahr hat die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) ihre Arbeit aufgenommen. Das Gremium legt die Höhe der Zahlungen fest, die Betroffene von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche erhalten, und leitet die Auszahlung in die Wege. Bislang gingen bei der in Bonn ansässigen UKA 1.626 Anträge ein, von denen sie 729 mit einer Entscheidung abschloss. Im Interview mit der UKA-Vorsitzenden Margarete Reske soll es allerdings weniger um Zahlen gehen, sondern um Inhalte. Und um die Kritik, die es immer wieder an der UKA gibt.

Frage: Frau Reske, lassen Sie uns die Arbeit der UKA ein wenig durchbuchstabieren. Warum fehlt im Kürzel des von Ihnen geleiteten Gremiums eigentlich das "M" für "Missbrauchsbetroffene"?

Reske: Der Name stand bereits fest, als wir unsere Arbeit aufgenommen haben. Genauso wie die Verfahrensordnung, die Basis unserer Arbeit ist.

Frage: Diese Verfahrensordnung ist offenbar ein Grund dafür, warum manche Betroffene die UKA auch nach über einem Jahr ihres Bestehens immer noch für eine Art Black Box halten. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Reske: Dass die UKA eine Black Box ist, mag man von außen eventuell so sehen, weil wir Entscheidungen zu den Anerkennungszahlungen fällen, ohne sie nach außen näher zu begründen. Wir haben aus der Verfahrensordnung selbst eine Orientierung, nämlich die von staatlichen Gerichten ausgesprochenen Schmerzensgelder. Die Schmerzensgeldtabellen sind öffentlich zugänglich. Von daher ist die Box vielleicht eher grau als schwarz.

Frage: Es gibt Betroffene, die darüber klagen, dass sie zu wenig Gehör bei der UKA finden oder durch die Antragstellung erneuert traumatisiert werden.

Reske: Es gibt im gesamten Verfahren für die Zahlung der Anerkennungsleistungen drei Ebenen. Erstens die Geschäftsstelle der UKA, zweitens die inzwischen elf Kommissionsmitglieder. Drittens die Ansprechpersonen vor Ort in den Bistümern. Sie hören die Betroffenen an und sollen ihnen zum Beispiel bei der Antragstellung helfen. Nach meinem Eindruck funktioniert das grundsätzlich gut.

Frage: Im juristischen Sprachgebrauch gibt es die Formel vom Rechtsfrieden. Glauben Sie, dass die UKA und das von ihr praktizierte Verfahren dazu beitragen kann, irgendwann einmal einen solchen Rechtsfrieden herzustellen?

Reske: Das ist schwer zu sagen. Mein Traum wäre es, wenn wir zu einer Beruhigung beitragen könnten. Dafür ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben. In unserem Fall übernehmen idealerweise die Ansprechpersonen in den Bistümern die Aufgabe, unsere Arbeit zu erklären und den Betroffenen verständlich zu machen. Welche wichtige Rolle die Ansprechpersonen haben, da haben wir sicher viel dazugelernt in den zurückliegenden Monaten. Es gibt aber noch einen zweiten Aspekt.

Frage: Der da wäre?

Reske: Wir haben es überwiegend mit Missbrauch zu tun, der Jahrzehnte zurück liegt. Viele Verwundungen werden sich nicht heilen lassen.

Frage: Kommen wir zum "K" für Kommission. Was ist Ihrer Ansicht nach gut gelaufen in der Arbeit des Gremiums?

Reske: Die Kommunikation der Kommissionsmitglieder untereinander. Wir haben uns bis weit über die Mitte des vergangenen Jahres nur virtuell gekannt und uns bislang nur ein einziges Mal persönlich getroffen. Aber das Zusammenwirken der verschiedenen Disziplinen – Mediziner, Juristen, Psychologen – bei der Findung angemessener Entscheidungen funktioniert sehr gut. Und vor allem: Wir haben dazu beigetragen, schon jetzt vielen Hundert Betroffenen zu einer Anerkennungsleistung zu verhelfen.

Bisher 13 Millionen Euro Anerkennungsleistungen für Missbrauchsopfer

Nach einem Jahr hat die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen erstmals Bilanz gezogen. Bei der Interpretation der Zahlen sei Vorsicht geboten, betonte das Gremium – und zeigte sich auch selbstkritisch.

Frage: Womit wir beim "A" wie "Anerkennungsleistungen" wären. Können Sie sagen, warum die Kirche das Wort "Entschädigungen" scheut wie der Teufel das Weihwasser?

Reske: Das weiß ich nicht, weil ich keinen kirchlichen Gremien angehöre. Ich kann das nur aus juristischer Perspektive zu erklären versuchen. Es handelt sich ja um freiwillige Leistungen, die ohne ein gerichtliches Verfahren erlangt werden können. Von daher passt das Wort Anerkennungsleistungen besser. Und es ist vielleicht auch ein bisschen anmaßend zu sagen: "Ich gewähre eine Entschädigung."

Frage: Warum?

Reske: Weil das voraussetzt, dass jemand tatsächlich entschädigt wird. Das ist sicher das Ziel des Verfahrens. Aber je ambitionierter Sie dieses Ziel beschrieben, desto eher drohen Sie, an diesen Ansprüchen zu scheitern. Man mag das Wort Anerkennungsleistung schrecklich finden, aber dahinter steckt auch eine Anerkennung des Leids.

Frage: Das heißt, die Kirche stiehlt sich mit dem Begriff nicht sprachlich aus der Verantwortung?

Reske: Das hoffe ich nicht!

Frage: Allen Tabellen und Vorgaben zum Trotz gibt es immer wieder Debatten über den Umfang der Zahlungen. Halten Sie höhere Beträge für denkbar?

Reske: Das ist eine Debatte, die nicht auf der Ebene der Kommission geführt werden kann. Allerdings: Wenn man jetzt das ganze System umkrempeln wollte, fände ich das gegenüber denjenigen schwer vermittelbar, über deren Anträge wir schon entschieden haben. Aber noch einmal: So etwas ist Entscheidung der Bischöfe. Ziel der geltenden Verfahrensordnung ist, den Betroffenen Beträge zur Verfügung zu stellen, die sie erhalten würden, wenn sie vor staatlichen Gerichten klagen würden. Ein Defizit sehe ich bei den Heimkindern, die sich an uns wenden.

Frage: Wieso?

Reske: Heimkinder haben oft unter körperlicher und sexueller Gewalt zu leiden gehabt. Es bleiben also immer wieder sehr unschöne Dinge übrig, über die wir nicht mitentscheiden können, weil unser Auftrag auf sexualisierte Gewalt beschränkt ist. Vielleicht müsste man in diesem Bereich noch einmal nachbessern.

Frage: Wie schaut es mit dem "U", also der Unabhängigkeit der UKA aus?

Reske: Als Gremium sind wir aus der Deutschen Bischofskonferenz heraus ausgewählt worden. Aber seitdem wir unsere Arbeit begonnen haben, hat sich niemand in unsere Entscheidungen eingemischt. Das heißt, wir bekommen die Anträge und die Akten, lesen sie und setzen Beträge fest, die dann auch zwingend gezahlt werden müssen.

Margarete Reske
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht

"Die Arbeit der UKA sollte unbedingt weitergeführt werden", sagt die Juristin Margarete Reske. "Denn es ist Aufgabe der katholischen Kirche, den Missbrauch in der eigenen Institution aufzuarbeiten."

Frage: Ziffer 8 Absatz 3 der Verfahrensordnung besagt aber, dass bei Zuerkennung besonders hoher Beträge die Zustimmung der jeweiligen kirchlichen Institutionen erforderlich ist.

Reske: Oberhalb von 50.000 Euro informieren wir tatsächlich das zuständige Bistum oder die zuständige Institution. Aber da gab es bislang nie Widerstände.

Frage: In letzter Zeit mehren sich die Rufe, dass der Staat die Aufarbeitung von Missbrauch in die Hand nehmen solle. Was halten Sie davon?

Reske: Grundsätzlich würde ich so etwas begrüßen, jedoch ohne uns wegrationalisieren zu wollen.

Frage: Warum?

Reske: Eine staatliche Aufarbeitungskommission würde wahrscheinlich den Fokus viel mehr auf den Missbrauch auch in anderen Bereichen der Gesellschaft lenken, im Sport, in Heimen und an anderen Orten. Das ist zweifellos sehr wichtig. Sexueller Missbrauch ist ein allgemeines gesellschaftliches Problem, wie Lügde und andere Fälle zeigen.

Frage: Aber?

Reske: Die Arbeit der UKA sollte unbedingt weitergeführt werden. Denn es ist Aufgabe der katholischen Kirche, den Missbrauch in der eigenen Institution aufzuarbeiten. Und ich fürchte, dass die Einrichtung einer allgemeinen Kommission dazu führen könnte, dass die Schadenersatzleistungen tatsächlich verzögert würden. Um der vielen alten und kranken Menschen willen, mit denen wir zu tun haben, darf das nicht sein.

Frage: Missbrauchsgutachter haben immer wieder Lücken in kirchlichen Aktenbeständen bemängelt. Sind Ihnen auch schon unvollständige oder geschwärzte Akten untergekommen?

Reske: Es hat Fälle gegeben, in denen uns Akten unvollständig schienen. Dann haben wir das über die Geschäftsstelle moniert. Ich kenne keinen Fall, in dem die Unterlagen, die wir brauchten, dann nicht nachgesandt wurden.

Frage: Ein letzter Buchstabe noch – "T" für "Täter". Wenn pädophile Priester aus dem Klerikerstand entlassen werden, leben sie doch weiter unter uns. Wie gehen wir mit diesen Menschen um?

Reske: Da würde ich auf das Konzept der Resozialisierung verweisen. Also dass Straftäter im Rahmen der Haft oder auch später eine Betreuung erfahren, die dazu beiträgt, dass es nicht mehr zu Rückfällen oder Wiederholungen der Taten kommt.

Frage: Gibt es dafür ausreichend Personal?

Reske: Das wird nicht von heute auf morgen bereit stehen. Aber wir müssen als Gesellschaft weiter über Missbrauch und den Kampf dagegen reden.

Von Joachim Heinz (KNA)