Verantwortliche sollten auf der Seite der Betroffenen stehen

Internetseelsorger: Bei Hasskommentaren muss man sich positionieren

Veröffentlicht am 30.03.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Internetseelsorger: Bei Hasskommentaren muss man sich positionieren
Bild: © Privat

Aschaffenburg ‐ Hasskommentare in sozialen Netzwerken greifen um sich. Auch im kirchlichen Raum gibt es Menschen, die andere Meinungen mit Hass angreifen. Internetseelsorger Walter Lang erklärt im katholisch.de-Interview, wie Pfarreien und Betroffene am besten reagieren können.

  • Teilen:

Nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Mitgliedern des Reformprozesses Synodaler Weg ist das Thema Hasskommentare im Internet in den Fokus auch der kirchlichen Öffentlichkeit gerückt. Was kann dagegen getan werden? Walter Lang ist Diözesanbeauftragter des Bistums Würzburg für Internetseelsorge. Im Interview erklärt er, wie Seelsorge in einem solchen Fall aussehen kann – und welche Haltung Seelsorgende brauchen.

Frage: Herr Lang, wer ist vor allem von Hassbotschaften im Internet betroffen?

Lang: Angreifbar sind Menschen, die exponiert sind, eine andere Lebensform haben, die auffallen, weil sie nicht zur angeblichen Normalität gehören. Bei Hasskommentaren geht es oft um rassistische, antisemitische oder sexistische Kommentare. Wer eine andere Sexualität als die Mehrheitsgesellschaft lebt und sich für dessen Akzeptanz einsetzt, wird beispielsweise angegriffen.

Frage: Wie groß ist die Bedeutung von Hassbotschaften im kirchlichen Raum?

Lang: Es ist immer schwierig zu sagen, was "groß" bedeutet. Es gibt sie auf jeden Fall: Manche Menschen, die von einer sehr klaren Definition von christlichem Glauben ausgehen, neigen eher dazu, das, was nicht in ihren Rahmen passt, anzugreifen. Da sind die Grenzen auch oft fließend: Da werden Dinge angedeutet, bei vorhergehenden Kommentaren wird nochmal nachgelegt – oder auch im christlichen Kontext andere Menschen ganz klar angegriffen. Da wird zum Teil ganz offen Hass verbreitet. Diese Menschen wollen nicht akzeptieren, was sich andere Menschen unter ihrem christlichen Glauben vorstellen.

Frage: Viele von denen, die Sie gerade beschreiben, sagen, sie würden nur die kirchliche Lehre vertreten...

Lang: Die eine kirchliche Lehre gibt es nun mal nicht. Natürlich wäre das für manche Menschen einfach und klar, wenn es nur schwarz und weiß gibt. Die kirchliche Lehre hat sich im Lauf der Geschichte immer weiter entwickelt, wurde diskutiert und der jeweiligen Zeit angepasst. Hat sich die Geschichte weiterentwickelt, wurde auch die Lehre weiter gedacht. Das gelingt aber nur im Diskurs, in der ehrlichen Auseinandersetzung und nicht, indem ich der anderen meine Meinung um die Ohren haue.

Bild: ©stock.adobe.com/prima91

Soziale Netzwerke bestimmen den Alltag, auch in der kirchlichen Diskussion.

Frage: Wie kann auf solche Kommentare aus christlicher Sicht reagiert werden?

Lang: Ich würde die Situation in einem weiteren Kommentar direkt ansprechen: Gezielt nachfragen, auf welche Beispiele und Fakten sich so ein Kommentar bezieht. Das Problem ist natürlich, dass im Moment gerade in der kirchlichen Diskussion oft verschiedene Fakten einfach nebeneinander stehen bleiben. Da ist es wichtig anzusprechen, dass es dazu eine jeweils andere Meinung gibt. Diese Beziehung zwischen Fakten und Meinung kann man herausarbeiten, um einem angreifenden Kommentar etwas entgegenzusetzen. Man sollte sich nicht auf dieses Niveau des Hasses einlassen, sondern sachlich dagegen argumentieren. Das sollte man selbst und dazu möglichst bald machen. Darauf zu warten, dass sich jemand anderes einschaltet, ist nicht sinnvoll. Belehrungen und Beleidigungen funktionieren ebenso wenig, sondern sorgen nur für Eskalation.

Frage: Stellen wir uns die Facebookseite einer Pfarrei vor, auf der auch kirchenpolitische Themen besprochen werden – und es zu Hasskommentaren kommt. Was kann dann aus einer seelsorglichen Perspektive geschehen?

Lang: In einer Pfarrei würde ich immer als erstes versuchen, die Menschen an einen – physischen – Tisch zu bekommen, soweit das möglich ist. Dann können sie sich gegenseitig aussprechen und auch aussprechen lassen, das ist eine gute Vertiefung des Online-Diskurses, der doch oft etwas schlagwortartig bleibt. Im Gespräch von Angesicht zu Angesicht kann man diese unterschiedlichen Meinungen sammeln. Zudem ist es wichtig, dass die Seelsorge auf der Seite derer ist, die diesen Hass abbekommen. Die Seelsorger müssen sich da positionieren und dürfen solche Ausfälle nicht einfach laufen lassen. Da müssen falsche Informationen berichtigt und Grenzen gesetzt werden. Gewisse Dinge dürfen auf einer Pfarreiseite schlicht nicht vorkommen, und das muss ausgesprochen werden. Das kann in Form einer Distanzierung geschehen oder indem Inhalte gelöscht werden. Der Ernstfall ist dann, einen Post zur Anzeige zu bringen.

Frage: Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie ist die Zahl der Kommentare gestiegen. Was können Pfarreien tun, die das Gefühl haben, dieses Kommentargeschehen wächst ihnen über den Kopf?

Lang: Einerseits müssen sich Verantwortliche gut überlegen, was sie wie posten. Andererseits können sie sich bemühen, die nötigen Personalressourcen für die Betreuung einer solchen Seite zu schaffen. Das können zum Beispiel Ehrenamtliche sein, die sich einschalten und die Arbeit der Pfarrei in diesem Bereich mittragen. In einem solchen Fall ist es wichtig, die Ehrenamtlichen zu schulen. Denn einmischen muss man sich, anders wird man dem nicht Herr werden.

„Gewisse Dinge dürfen auf einer Pfarreiseite schlicht nicht vorkommen, und das muss ausgesprochen werden.“

—  Zitat: Walter Lang

Frage: Braucht es dann auch eine seelsorgliche Begleitung derjenigen, die sich mit diesen Hasskommentaren auseinandersetzen?

Lang: Man brauch eine gemeinsame Absprache, so etwas wie einen Leitfaden zum Agieren und Reagieren im digitalen Raum. Weiterhin notwendig ist eine Intervention oder Supervision der Arbeit der Ehrenamtlichen, um über die Situation auf der Seite ins Gespräch zu kommen. Die oder der Einzelne darf nicht alleine mit diesem Aufkommen stehen gelassen werden, sondern das Erlebte muss aufgearbeitet werden.

Frage: Was würden Sie Menschen aus dem Familien- oder Freundeskreis von Menschen empfehlen, die Opfer von Hass im Netz werden?

Lang: Es gibt im Internet viele Beratungsstellen und -angebote. Da ist zum Beispiel die Seite "Zivile Helden", wo es auch Hilfen von der Polizei für solche Fälle gibt. Wichtig ist generell, sowas nie nur mit sich selbst auszumachen, sondern sich anderen mitzuteilen. Und wenn man nicht weiterweiß, sollte man sich an eine professionelle Stelle wenden.

Frage: Seit Anfang Februar müssen große soziale Netzwerke strafbare Inhalte im Prinzip auch an das Bundeskriminalamt melden, Klagen von Google und Facebook laufen noch. Halten sie solche Regelungen für sinnvoll?

Lang: Es ist sinnvoll in der Hinsicht, dass die Betreiber der Netzwerke einen anderen Blick auf ihre eigene Verantwortung bekommen. Gerade kriminelle Delikte melden zu müssen, ist auf jeden Fall sinnvoll. Wichtig ist zudem aber, dass alle, die sich im Netz bewegen, ein Bewusstsein für die Konsequenzen ihres Handelns zu haben. Um das zu erreichen, brauchen wir eine gute Medienbildung in der Schule, aber auch in der Erwachsenenbildung. Ich spüre in persönlichen Gesprächen immer wieder, wie unbedarft manche Menschen sich im Netz bewegen.

Frage: Was muss passieren, damit solche Kommentare einen vielleicht zwar pointierten, aber respektvollen Diskurs in der Gesellschaft nicht untergraben?

Lang: Das wird nur gelingen, wenn Menschen aus der Zivilgesellschaft immer wieder dagegenhalten und sich direkt einmischen. Das ist natürlich anstrengend, aber anders wird es nicht gehen. Sonst entsteht der Eindruck, dass man nur laut genug schreien und scharf genug formulieren muss, um Recht zu bekommen. Das kann für unsere Gesellschaft aber nicht gut sein.

Von Christoph Paul Hartmann