Die Politik geht die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts langsam an
Das kirchliche Arbeitsrecht ist von mehreren Seiten unter Druck: Seit Jahren schränken Gerichte, angeführt vom Europäischen Gerichtshof, die Möglichkeiten der Kirche als Arbeitgeberin ein. Auch bei den Bischöfen, die zugleich Gesetzgeber und oberste Dienstherren in der Kirche sind, ist klar, dass die bisherigen Anforderungen an die persönliche Lebensführung ihrer Mitarbeiter nicht zu halten sind. Nach dem Coming-out von queeren Kirchenmitarbeitenden in der Aktion "#OutInChurch" und einer klaren Abstimmung der dritten Synodalversammlung beeilten sich immer mehr Bischöfe und Generalvikare, die anstehende Reform der Grundordnung in Form von Selbstverpflichtungen vorwegzunehmen – zum Druck von den Gerichten kommt der Druck der Gläubigen und Beschäftigten.
Druck könnte auch die Politik ausüben: Nach 16 Jahren CDU-geführter Regierungen steht den Kirchen erstmals wieder eine Regierungsmehrheit gegenüber, die die Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts durchweg kritisch sieht. Doch schon der Koalitionsvertrag war zurückhaltender, als es Gewerkschaften gehofft und Kirchen gefürchtet hatten: Lediglich einen Prüfauftrag hat die Ampel dort formuliert. "Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen", hieß es dort unter dem Schlagwort "Mitbestimmung" im Kapitel zur Arbeitspolitik. Während derzeit vor allem die Loyalitätspflichten im Bereich der persönlichen Lebensführung im Blick sind, ist es gerade den Gewerkschaften ein Dorn im Auge, dass das Betriebsverfassungsgesetz für Religionsgemeinschaften nicht gilt und die Kirchen stattdessen eigene Mitarbeitervertretungsordnungen erlassen, die weniger Rechte für Beschäftigte vorsehen. Der "Dritte Weg" der Kirchen im Arbeitsrecht setzt auf die Einigung von Kommissionen aus Dienstnehmern und Dienstgebern statt auf Mittel des Arbeitskampfes, um Arbeitsbedingungen zu regeln.
Noch keine konkreten Pläne bei den zuständigen Ministerien
Allzu hohe Priorität scheint der Prüfauftrag des Koalitionsvertrags in der Regierung nicht zu haben. Ein Sprecher des Arbeitsministeriums verweist auf Anfrage auf die für das Staats-Kirche-Verhältnis zuständigen Ministerien des Inneren und der Justiz, ohne auf konkrete Anfragen zu Ausnahmen für Kirchen bei der betrieblichen Mitbestimmung und im Antidiskriminierungsrecht einzugehen. Ein Sprecher des Innenministeriums belässt es "in Abstimmung mit dem Bundesjustizministerium" bei diplomatischen Formeln: "Der regelmäßige und respektvolle Austausch mit den Religionsgemeinschaften bleibt für die Bundesregierung ein wichtiges Anliegen."
Erst Mitte Februar hatte sich der arbeitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Frank Bsirske dagegen sehr deutlich geäußert: Die Koalition habe den "klaren Willen", das kirchliche Arbeitsrecht einzuschränken. Dem ehemaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft ver.di wäre es demnach sogar am liebsten, "wenn wir es zu einem Relikt der Vergangenheit machen und komplett abschaffen würden". Seine Fraktion jedenfalls hat anscheinend anderes zu tun: "Leider sind unsere Abgeordneten in diesem Themenbereich momentan zeitlich stark eingebunden und können Ihre Anfrage deswegen nicht bearbeiten", teilte eine Sprecherin der Grünenfraktion mit.
Mehr Zeit für die Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechts hatten die zuständigen Fachpolitiker bei den beiden anderen Koalitionären SPD und FDP. Die liberale Sprecherin für Religionspolitik Sandra Bubendorfer-Licht verwies darauf, dass man noch ganz am Anfang der Legislaturperiode stehe. Bei diesem "wichtigen und sensiblen" Thema dürfe nichts überstürzt werden. Dabei verweist sie auf die innerkirchlichen Bewegungen: Die Initiative "#OutInChurch" habe gezeigt, dass aus der Kirche heraus Veränderungen gewollt seien, zudem mache der Synodale Weg Hoffnung auf echte Reformen. "Ich glaube, wir sind aktuell in einer Aufbruchszeit, die auch die Kirchen wahrnehmen", so Bubendorfer-Licht, die selbst katholische Christin ist. Innerhalb der Koalition stünden zunächst Gespräche an, danach werde der Austausch mit den Kirchen gesucht.
Der religionspolitische Sprecher der SPD, Lars Castellucci, würdigte zunächst "die hohen Standards der kirchlichen Einrichtungen in den Bereichen der Altersversorgung, der Pflege, der Kinderbetreuung und darüber hinaus". Bei aller Wertschätzung wurde der Sozialdemokrat von den angefragten Politikern aber am deutlichsten: "Das kirchliche Arbeitsrecht ist ein alter Zopf, er gehört abgeschnitten", betonte der Sozialdemokrat, der sich in der evangelischen Kirche engagiert. Auch er stellte eine Beratung der Frage unter den Koalitionären in Aussicht. Gemeinsam mit den Kirchen wolle man dafür sorgen, "dass grundsätzlich das allgemeine Arbeitsrecht gilt und nur bei einer gerechtfertigten beruflichen Anforderung im Bereich der Verkündigung Abweichungen vom allgemeinen Arbeitsrecht möglich sind", betonte er weiter: "Wir sind sicher, dass es unser gemeinsames Anliegen ist, überall Diskriminierungen abzubauen."
Bei den konkreten Fragestellungen im Kontext der politischen Möglichkeiten blieben sowohl der SPD-Politiker wie die FDP-Abgeordnete zurückhaltend. Castellucci sieht beim Abbau von Diskriminierung zunächst die Kirchen in der Pflicht und plädierte für eine Änderung der Grundordnung. Auch wenn jeder Arbeitgeber Loyalität von seinen Beschäftigten erwarten dürfe: "Die Loyalität wird nicht beeinträchtigt von der geschlechtlichen Identität, sexuellen Orientierung sowie privaten Lebensentscheidungen", so der Sozialdemokrat.
Der ganze Komplex sei komplex und schwierig, betonte Bubendorfer-Licht und erläuterte, dass es mit einer Abschaffung von Ausnahmen in einfachen Gesetzen wie dem Betriebsverfassungsgesetz und dem Antidiskriminierungsgesetz nicht getan wäre: Das kirchliche Arbeitsrecht ist im Grundgesetz über die Religionsfreiheit und das Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht abgesichert. "Daher haben wir als Gesetzgeber hier die Pflicht zu einer gewissen Zurückhaltung und auf jeden Fall zu einer hohen Sensibilität", so die Liberale.
Auch aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion kommen vorsichtig kritische Stimmen
Die einschlägigen Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs zum kirchlichen Arbeitsrecht begrüße sie daher: "In diesen wurde deutlich, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen seine Grenzen im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht findet, das in Artikel 2. Abs. 1 GG klar festgelegt ist." Beide Gerichte hatten in den Fällen eines katholischen Chefarztes, dem nach Wiederheirat von einer katholischen Klinik gekündigt wurde, und einer konfessionslosen Bewerberin bei der evangelischen Diakonie, deren Bewerbung aufgrund ihrer fehlenden Religionszugehörigkeit abgelehnt wurde, den Spielraum der Kirchen im Arbeitsrecht deutlich eingeschränkt. Nun sei der Dialog mit den Kirchen wichtig, zeigte sich Bubendorfer-Licht überzeugt: "Wir müssen Modernisierungsschritte einleiten, die einerseits zur gesellschaftlichen Entwicklung passen und andererseits auch im Einvernehmen mit allen Akteuren sind."
Während in der Opposition die Linke erst noch auf die Abstimmungen der Regierung warten will, bevor sie sich äußert, kommen auch aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion vorsichtig kritische Stimmen. Zwar habe sich der "Dritte Weg" der Kirchen im Arbeitsrecht und das Leitbild der "Dienstgemeinschaft", das unter anderem für den Ausschluss des Streikrechts herangezogen wird, "grundsätzlich bewährt", betonte der kirchenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Thomas Rachel. "In der konkreten Ausgestaltung in der katholischen Kirche gibt es allerdings klaren Veränderungsbedarf, um Benachteiligungen von bestimmten Personen bzw. Personengruppen zu beseitigen." Dies zeigten die Erfahrungen der vergangenen Jahre "nachhaltig". Jede Kirche sei und bleibe auch bei der Regelung ihrer Angelegenheiten "an die Schranken der für alle geltenden Gesetze gebunden", zitiert der evangelische CDU-Abgeordnete die Kirchenartikel des Grundgesetzes.
Dass Änderungsbedarf herrscht, ist also parteiübergreifend Konsens – doch ebenso scheint Konsens zu sein, dass die mit einer politischen Reform des kirchlichen Arbeitsrechts verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen so komplex sind, dass man sich darin nicht verkämpfen will. Und warum auch: Gerichte und Gläubige nehmen die Kirche in die Verantwortung, ihr Arbeitsrecht zu verändern – ganz ohne Beschlüsse des Parlaments.