Privatsekretär des Emeritus verteidigt Zölibat und kritisiert Münchner Gutachten

Erzbischof Gänswein: Ich bin nicht der Ghostwriter von Benedikt XVI.

Veröffentlicht am 16.03.2022 um 14:10 Uhr – Lesedauer: 

Hamburg ‐ Erzbischof Gänswein als Ghostwriter von Benedikt XVI.? Der Ruhesitz des Emeritus als Wallfahrtsstätte für Franziskus-Gegner? In einem Interview äußert sich der Privatsekretär zu diesen Fragen – und noch einmal zum Münchner Missbrauchsgutachten.

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Georg Gänswein (65), Privatsekretär von Benedikt XVI., sieht sich nicht als Ghostwriter des emeritierten Papstes. "Was der Emeritus unter seinem Namen veröffentlicht, schreibt ausschließlich er, nicht ich", sagte Gänswein in einem Interview der "Zeit" (Donnerstag). "Die Behauptung, Benedikt schreibe nicht mehr selber, das mache alles der Gänswein, wäre vielleicht für mich ein Kompliment – aber es ist völliger Unsinn."

Den Vorwurf, Benedikt XVI. ziehe in seinem Ruhesitz "Mater Ecclesiae" die Opponenten des amtierenden Papstes Franziskus an, wies Gänswein zurück. "Das ist an den Haaren herbeigezogen. Es gibt nur einen Papst, und der heißt Franziskus; und es gibt nur ein päpstliches Lehramt, und das wird von Franziskus ausgeübt." "Mater Ecclesiae" sei keine "Pilgerstätte" für Franziskus-Gegner, fügte Gänswein hinzu. "Benedikt hat sich auf seinen Alters- und Ruhewohnsitz in den Vatikanischen Gärten zurückgezogen. Ein 'Schweigegelübde' hat er allerdings nicht abgelegt."

Gänswein verteidigt den Zölibat

Weiter verteidigte Gänswein die verpflichtende Ehelosigkeit von katholischen Priestern. Auf die Frage, ob ein Zölibat, der dauernd übertreten werde, nicht ein Risikofaktor für Vertuschung sei, antwortete Gänswein: "Wer im Zölibat lebt, tut das in Freiheit, niemand wird gezwungen. Der Großteil der Priester lebt den Verzicht für die größere Sache Gottes – mit den Worten Jesu: um des Himmelreiches willen!" Weiter sagte Gänswein: "Dass es Zölibatsbruch gibt, wie es Ehebruch gibt, ist leider eine Realität. Das Lebenszeugnis eines Priesters wird verfälscht und verliert durch die Unaufrichtigkeit an Strahlkraft." Es möge durchaus Männer geben, die sich in den Zölibat flüchteten, räumte Gänswein ein. "Doch man kann nicht vor sich selbst ins Priestertum flüchten. Genauso wenig kann man vor sich selbst in die Ehe flüchten."

Erneut wies Gänswein zudem die gegen den emeritierten Papst erhobenen Vertuschungsvorwürfe im Rahmen der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch zurück und kritisierte zugleich das von der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) erstellte Münchner Missbrauchsgutachten. Benedikt XVI. leitete von 1977 bis 1982 das Erzbistum München und Freising. Das im Januar veröffentlichte Gutachten sieht ein Fehlverhalten des damaligen Erzbischofs Joseph Ratzinger in vier Fällen. "Nicht einer der Vorwürfe hielt der sorgfältigen Prüfung des Aktenmaterials stand", betonte Gänswein. "Sie werden auch durch Wiederholung nicht wahrer." Das Gutachten sei "in Wirklichkeit eine Anklageschrift" geworden, beklagte er.

Dass sich der emeritierte Papst zu dem Gutachten einließ, betrachtet dessen Privatsekretär dennoch auch im Nachgang als richtige Entscheidung. "Welcher Sturm wäre über ihn hereingebrochen, wenn er sich geweigert hätte, an der Missbrauchsaufarbeitung mitzuwirken!" Benedikt selbst habe entschieden mitzumachen. "Ich habe nichts zu verbergen, ich stelle mich den Fragen", habe er wörtlich gesagt. "Ein Nein hätte zwangsläufig zu einer Vorverurteilung geführt: Alle Welt hätte geargwöhnt, der ehemalige Papst habe etwas zu verbergen."

Münchner Missbrauchsgutachten
Bild: ©picture alliance/dpa-Pool/Sven Hoppe

Das Münchner Missbrauchsgutachten belastet auch Benedikt XVI.

Als "folgenschweres Versehen" bezeichnete Gänswein eine Angabe des emeritierten Papstes zu einer Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980, in der über den Umgang mit einem Priester entschieden wurde, der sich später als notorischer Missbrauchstäter herausstellte. In seiner Einlassung zu dem Gutachten verneinte er die Teilnahme an der Sitzung, später revidierte er diese Aussage. Zuvor bezichtigten Kritiker den emeritierten Papst der Lüge.

"Zwischen einem Fehler und einer Lüge liegt ein himmelweiter Unterschied", sagte Gänswein. "Tatsache ist, dass Benedikt von den Vorwürfen gegen den Priester keine Kenntnis hatte. Auf seine An- oder Abwesenheit bei der Sitzung kam es also gar nicht an. Es ist sehr weit hergeholt, ihn dafür der Lüge zu bezichtigen. Das hat ihn getroffen."

Die Auseinandersetzung mit dem Missbrauchsgutachten beschrieb der Privatsekretär von Benedikt XVI. als sehr fordernd. Eine "saftige Überraschung" sei der "ellenlange Fragenkatalog aus München" gewesen, für den 8.000 Seiten Archiv-Dokumente digital hätten bewältigt werden müssen. "Viele Fragen waren unsauber und geradezu suggestiv formuliert. Nicht immer wurde zwischen Vermutung, Behauptung und Tatsachen unterschieden. Kurz: mehr Unterstellung als erkenntnisoffene Fragestellung." Er habe Benedikt geraten, "für diese Mammutaufgabe Hilfe von Experten in Anspruch zu nehmen", sagte Gänswein. Natürlich habe er den emeritierten Papst dann bei der Arbeit unterstützt. "In Kürze ist er 95! Computer, Laptop und dergleichen sind ihm als Arbeitsmittel fremd."

Gänswein: Kirche muss Verantwortung übernehmen

Bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche gibt es nach den Worten Gänsweins noch viel Luft nach oben. "Weder die Kirche noch die Gesellschaft werden bei der Aufarbeitung des Missbrauchs auch nur einen Schritt weiterkommen, wenn weiterhin die Verantwortung auf die 'anderen' abgeschoben wird", sagte der Privatsekretär. "Der einzig wirksame Schutz besteht darin, dass wir alle sensibel werden für frühe Anzeichen von Missbrauch. Hier hat die Kirche versagt, auf allen Ebenen. Das müssen wir ändern!" Zu lange habe der Blick auf dem Täter- anstatt dem Opferschutz gelegen.

Was den emeritierten Papst anbelange, so habe dieser nicht zuletzt in seinem vorhergehenden Amt als Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation viel im Kampf gegen Missbrauch in die Wege geleitet, obwohl er auf große Widerstände gestoßen sei. "Sein entschiedenes Handeln hat die Aufklärung in der katholischen Kirche in einer Art und Weise vorwärtsgebracht, die bleibende Maßstäbe setzt", so Gänswein wörtlich. "Aber Aufklärung braucht Zeit, innerhalb wie außerhalb der Kirche. Das Ausmaß des Missbrauch-Sumpfs wird mit jeder Studie klarer. Es braucht mehr als einen Menschen, und sei er Papst, um diesen Sumpf trockenzulegen." (tmg/KNA)