Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens: Franziskus' Friedensoffensive
Ein religiöser Akt als Waffe des Papstes gegen den Krieg in Osteuropa: Franziskus will heute gemeinsam mit allen Bischöfen der Welt die Ukraine und Russland dem Unbefleckten Herzen Mariens weihen. Nicht wenige Katholiken in Deutschland haben wohl mit einem fragenden Gesichtsausdruck oder vielleicht auch einem Achselzucken auf diese Ankündigung des Vatikan aus der vergangenen Woche reagiert. Hierzulande spielt die Herz-Mariä-Verehrung heute keine große Rolle mehr, doch diese Frömmigkeitsform mit Wurzeln in der Heiligen Schrift hat ihre Spuren bis in die Gegenwart auch in der deutschen Kirche hinterlassen.
Der Ursprung der Rede vom Herzen Mariens findet sich im Neuen Testament. Im Lukasevangelium wird berichtet, dass Maria die biblischen Geschehnisse rund um die Geburt Jesu und die Wiederauffindung ihres jugendlichen Sohnes im Tempel "in ihrem Herzen" (Lk 2,19.51) bewahrte. In der Sprache der Bibel symbolisiert das Herz eines Menschen sowohl den Sitz der Gefühle als auch den Ort des Urteilsvermögens bis hin zum Gewissen. Dieses lebenswichtige Organ wird damit zum Bild eines Menschen schlechthin. Bedeutende Theologen der ersten christlichen Jahrhunderte wie Augustinus oder Johannes Chrysostomus formulierten davon ausgehend erste Gedanken, die zu einer Verehrung des Herzens Mariä führten.
Bedeutender Teil der katholischen Volksfrömmigkeit
Mit dem 13. Jahrhundert wurde diese Spielart christlicher Frömmigkeit immer beliebter, da sich im Spätmittelalter eine intensive Verehrung der Gottesmutter entwickelt hatte: Maria galt fortan als Idealfigur eines christlichen Gläubigen, der nachgeeifert werden sollte. War der Blick auf das Herz Mariens zunächst vor allem eine Praxis der persönlichen Spiritualität jedes Einzelnen, änderte sich das im 17. Jahrhundert grundlegend. Der französische Priester Johannes Eudes betonte die enge Verbindung zwischen dem Herzen Jesu, dessen Verehrung in jener Zeit ebenfalls einen Höhepunkt erreichte, und dem Herzen Mariens. Der Geistliche führte 1643 in der von ihm gegründeten Priestergemeinschaft ein eigenes Herz-Mariä-Fest ein, das sich mit zunehmender Beliebtheit auf ganz Frankreich und Europa ausdehnte. Mehr als 200 Jahre später wurde 1855 die Feier dieses Festes für die Gesamtkirche erlaubt.
Dieser Schritt steht im Zusammenhang mit dem nur ein Jahr zuvor verkündeten Dogma von der Empfängnis Mariens ohne Erbsünde. Fortan spricht die Kirche daher vom Unbefleckten Herzen Mariä. Da in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Kulturkampf in vielen deutschen Staaten tobte, avancierte die Verehrung der Herzen Jesu und Mariens zu einem katholischen Bekenntnis. Durch die Wahl von entsprechenden Patronaten für Pfarrkirchen und die Errichtung von Statuen der Gottesmutter oder ihres Sohnes, die besonders anschaulich die von Flammen oder Blumen umgebenen und verwundeten Herzen zeigen, bekannte man als Katholik seine Treue zum Papst. Aber auch weltweit wurde die Verehrung des Herzens Mariens oder des Herzens Jesu ein bedeutender Teil der katholischen Volksfrömmigkeit, der auf anderen Kontinenten, wie Lateinamerika, bis heute lebendig ist – samt der entsprechenden Statuen, die von vielen Gläubigen in Deutschland heute eher als kitschig wahrgenommen werden.
Ein Aspekt dieser Frömmigkeit ist die persönliche Weihe an Maria, also die Widmung eines Gläubigen an die Gottesmutter. Damit erbittet er ihren besonderen Schutz und stellt sich ihr, aber auch Gott, zur Verfügung. Besonders der französische Priester Louis-Marie Grignion de Montfort förderte diese spirituelle Praxis im 18. Jahrhundert. Auch Länder wurden Maria geweiht, wie 1638 Frankreich durch König Ludwig XIII. Mit den Marienerscheinungen von Fatima im Jahr 1917 erfuhr die Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens erstmals einen großen Bekanntheitsschub: Die drei portugiesischen Seherkinder berichteten nach ihren Visionen im sogenannten "zweiten Geheimnis", dass die Gottesmutter im Besonderen um die Weihe Russlands an ihr Unbeflecktes Herz gebeten habe. Ansonsten würde Russland "seine Irrtümer in der ganzen Welt verbreiten und Kriege und Verfolgungen der Kirche fördern". Neben dem Wunsch nach Frieden war hier nicht zuletzt auch die Bekehrung Russlands ein entscheidender Punkt. In Europa tobte damals der Erste Weltkrieg (1914-18) und nur wenige Monate nach den Marienerscheinungen von Fatima fand in Russland die kommunistische Oktoberrevolution statt.
1942 weihte Papst Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs (1939-45) schließlich die ganze Menschheit dem Unbefleckten Herzen Mariens. Angesichts "von so viel materiellem und sittlichem Elend, von so viel Schmerz und Angst von Vätern und Müttern" während der Kriegsjahre bat Pius die Gottesmutter, bei der Weihe um Frieden auf der Welt. Ihm folgten weitere Päpste, die diese Weihe erneuerten: Paul VI. im Jahr 1964, Johannes Paul II. 1982 und gemeinsam mit allen Bischöfen der Welt noch einmal 1984 sowie schließlich Papst Franziskus im ersten Jahr seines Pontifikats 2013. Auch mehrere Länder wurden durch eine Weihe dem Schutz Mariens anempfohlen, so etwa Deutschland 1954. Selbst Städte, wie seit 2017 Aleppo in Syrien, stehen unter dem Schutz des Herzens Mariä. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr zudem die (Erz-)Bistümer Berlin und Passau dem Herzen Jesu und dem Herzen der Gottesmutter geweiht.
Marienweihe wird weltweit vollzogen
Auch wenn solche Frömmigkeitsakte nicht darüber hinwegtäuschen können, dass in Deutschland die Marienverehrung seit der Nachkriegszeit rapide abgenommen hat, erhält der Aufruf von Papst Franziskus unter deutschen Oberhirten eine sehr große Resonanz: Fast alle Bischöfe haben angekündigt, heute gemeinsam mit dem Pontifex die Weihe der Ukraine, Russlands und der ganzen Welt an das Unbefleckte Herz Mariens zu vollziehen. Die große Zahl der teilnehmenden Bischöfe wird von einigen Katholiken gelobt. Von anderen aber auch als eine unkritische Erfüllung der Bitte aus Rom angefragt, die nicht zur heutigen Spiritualität in Deutschland passe. In anderen europäischen Ländern und auf weiteren Kontinenten sind ebenfalls viele Bischöfe bereit, die Weihe mitzuvollziehen. Im Vatikan wird sich selbst der emeritierte Papst Benedikt XVI. an dem weltweiten Gebet beteiligen. Das Ansinnen von Franziskus, eine möglichst große spirituelle Kraft der Kirche für den Frieden in der Ukraine zu mobilisieren, scheint also aufzugehen.
Gleichzeitig ist die Marienweihe angesichts der Nennung der beiden Konfliktpartner des aktuellen Kriegs, der Ukraine und Russland, mehr als eine bloße Frömmigkeitsübung. So sieht der italienische Historiker Daniele Menozzi einen politischen Hintergrund hinter dieser geistlichen Friedensoffensive des Papstes. Waren vergleichbare Weihehandlungen in der Vergangenheit oft nationalistisch geprägt gewesen, so geht Franziskus heute darüber hinaus, glaubt Menozzi: "Für den Frieden zu beten und die Menschen beten zu lassen, ist ein Aspekt von Bergoglios Haltung zu diesem Krieg." Der Papst sei dadurch keineswegs neutral, sondern habe vielmehr einen Weg gefunden, seine Verurteilung der Gewalt zum Ausdruck bringen kann, "ohne Meinungsverschiedenheiten unter den Christen zu vertiefen und um den diplomatischen Dialog mit dem Kreml offen zu halten". Und diese diplomatischen Kanäle könnte Franziskus in Zukunft brauchen. Denn immer wieder werden der Vatikan oder auch die europäischen Bischöfe als künftige Vermittler zwischen den Kriegsparteien ins Spiel gebracht.